Das Flüstern der Toten

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2006
  • 3
Das Flüstern der Toten
Das Flüstern der Toten
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2007

Mörderjagd im Diesseits & Jenseits

Seit vielen Jahren leben sie unter uns: Die ";Violetten”, denen die Fähigkeit gegeben ist, mit den Seelen der Toten Kontakt aufzunehmen. Ihren Spitznamen verdanken sie der typischen Augenfarbe, die sie in der Öffentlichkeit meist mit Kontaktlinsen tarnen. Die ";normalen” Menschen meiden sie, denn sie fürchten - nicht zu Unrecht -, verstorbene Familienmitglieder oder Freunde könnten sich durch die ";Violetten” zu Wort melden und unschöne Geheimnisse offenbaren.

Weniger als 200 ";Violette” sind in Nordamerika gemeldet. Die Regierung der USA kontrolliert sie mit Hilfe der ";Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation” streng, weil sich aus ihren Mündern auch die großen Geister der Vergangenheit zu Wort melden. Unverzichtbar sind sie außerdem im Rahmen der Verbrechensbekämpfung: Kein Mörder bleibt unentdeckt, wenn sein Opfer aus dem Jenseits gegen ihn aussagen kann.

Seit einiger Zeit sehen sich die ";Violetten” allerdings selbst mit dem gewaltsamen Tod konfrontiert. Der ";Schwarze Mann”, ein maskierter Mörder, attackiert sie gezielt und bringt sie um. Offenbar will er die ";Violetten” ausrotten, was die ";Gesellschaft” zwar vertuscht aber keineswegs dulden mag. Mit dem Fall wird eine ";Investigation Support Unit” des FBI betraut. In Los Angeles vertritt der Spezialagent Dan Atwater diese Behörde. Er hat den Auftrag bekommen, dem Medium Nathalie Lindstrom zur Seite zu stehen. Die wenig begeisterte Frau stimmt wohl oder übel zu, nachdem der Mörder ebenso erfolgreich wie dreist viele ihrer ";violetten” Freunde getötet hat.

Atwater gedenkt nicht sich auf die Rolle des Leibwächters zu beschränken. Er arbeitet aktiv mit seiner exotischen ";Partnerin” zusammen. Während Lindstrom die Seelen ihrer ermordeten Freunde befragt, sichtet Atwater die ";diesseitigen” Spuren. Leider führen beide Fährten lange ins Leere. Die einzige Chance des Duos liegt offenbar im Warten auf einen Fehler des Killers, der freilich auf die Idee kommen könnte, Lindstrom als nächstes Opfer ins Visier zu nehmen ...

Die Toten haben uns viel zu sagen

Der Glaube daran, dass ein Mordopfer auch nach dem Tod Auskunft über sein gewaltsames Ende geben könne, ist ein fester Bestandteil der menschlichen Geschichte. Auch hierzulande wurden potenzielle Täter im Mittelalter an die Bahre ihres möglichen Opfers geführt; begannen dessen Wunden dabei zu bluten, galt der Mörder als überführt.

Die moderne Kriminalistik musste von dieser Form der ";Ermittlung” Abstand nehmen. Der Lügendetektor gilt zumindest in den USA als Ersatz. Aber selbst er kann natürlich nicht mit der Aussage des Ermordeten konkurrieren. Leider ist diese trotz moderner Hightech weiterhin nicht aufzunehmen; diejenigen Medien, die Kontakt mit dem Totenreich versprachen, wurden noch immer als Betrüger und/oder Spinner entlarvt.

Glücklicherweise bleibt die Literatur nicht auf die Realität beschränkt. Hier klappt die Verbindung mit dem Jenseits zuverlässig; Geisterseher & Totenhorcher zeigen den faszinierten Lesern, wie so etwas laufen könnte. Stephen Woodworth ist keineswegs der erste Autor, der sich dieses Plots bedient. In ";Das Flüstern der Toten” präsentiert er folglich eine nicht gerade innovative Geschichte. ";Genrezwitter” aus Phantastik und Krimi liegen zudem im Trend. Sie bringen zwar keinen frischen aber immerhin einen spürbaren Wind in die Unterhaltungsliteratur und werden von zahlreichen Autoren aufgegriffen.

Eine Gabe kann auch Fluch sein

Einmal mehr ist es deshalb die Variation des Bekannten, auf die der Leser gespannt sein darf. Woodworth wartet mit einer Version des Totenreiches auf, das wenig Hoffnung auf ein paradiesisches Nachleben gewährt. Schwarz ist das Jenseits, still und einsam. Die Seelen der Toten zieht es deshalb verständlicherweise ins Leben zurück. Die einzige Möglichkeit bieten die ";Violetten”, denen eine genetische Mutation nicht nur die verräterische Augenfarbe, sondern auch die Gabe beschert, mit den ";Seelen” der Verstorbenen zu kommunizieren. Das ist unter der skizzierten Prämisse kein Vergnügen, denn der Andrang aus dem Jenseits ist groß, und da es dort weder Himmel noch Hölle zu geben scheint, reihen sich auch unerfreuliche Zeitgenossen in die Reihen derer ein, die im Hirn der ";Violetten” ";anklopfen”.

Woodworth setzt eine alternative Historie voraus, in der die ";Violetten” seit vielen Jahrzehnten präsent sind. Die ";Normalen” fürchten sie, aber sie nutzen die Mutanten gleichzeitig aus, indem sie diese mehr oder weniger ";freiwillig” separieren und ";zum Wohle der Gesellschaft” einsetzen. Was dies im Detail bedeutet, definiert die ";Nordamerikanische Gesellschaft für Jenseitskommunikation”, die den ";Violetten” keineswegs grundlos als verhasste Kontrollinstanz gilt und als stiller Bösewicht im Hintergrund fungiert.

Dieser Handlungsstrang kann mit seinem Hauch von ";1984"-Dystopie überzeugen. Dagegen fällt die Jagd auf den ";Violetten”-Killer sehr konventionell aus. Woodworth beherrscht sein Handwerk, doch vor allem das Finale wirkt übertrieben und künstlich in die Länge gezogen. Auch ohne übernatürlich begabt zu sein weiß der thrillerkundige Leser, wer hinter dem Ganzen stecken muss. Immerhin überrascht Woodworth mit einer - hier nicht verratenen - Volte, die ein gar zu kitschiges Happy-End verhindert und die Weichen für eine Fortsetzung stellt, die neugierig machen kann.

Misstrauen als brüchige Basis einer Beziehung

Grundsätzlich regiert in der Figurenzeichnung nüchtern betrachtet das Klischee: Atwater ist ein unglücklicher Mann mit einem tragischen Geheimnis, der mit genau derjenigen Person in ein Boot gezwungen wird, die dieses lüften könnte. Lindstrom ist die von den Seelen der Toten gehetzte Unschuld, die zusätzlich die Staatsgewalt verabscheut, der ausgerechnet Atwater angehört.

Die Konflikte zwischen den ";Normalen”, der ";Gesellschaft” und den ";Violetten” bilden wie gesagt die zweite und gelungenere Ebene dieses Romans. Dan Atwater und Nathalie Lindstrom stehen stellvertretend für die ";Normalen” bzw. die ";Violetten”. Im Stile eines ";buddy movies” treffen sie voller Misstrauen und Vorurteile aufeinander. Die Handlung zwingt sie, diese zu überwinden und sich zusammenzuraufen. Am Ende stehen zwei Menschen, die etwas ";gelernt” haben und sich als das akzeptieren, was sie sind. Dieser Storyverlauf mag banal und ausgelutscht wirken, weil er uns so häufig aufgetischt wird, doch hier funktioniert er.

Die allmähliche Annäherung wirkt authentisch, weil Woodworth sie ohne allzu aufdringliche Sentimentalitäten inszeniert. (Die aufgesetzte Lovestory mit US-typisch krampfigen ";Sexszenen” wollen wir ihm verzeihen.) Darüber hinaus treffen Atwater und Lindstrom im Verlauf des Geschehens viele Personen, über die man ebenfalls mehr erfahren möchte. Die Chancen stehen gut, denn aufgrund des Erfolg seines Romanerstlings hat der Verfasser diesem inzwischen mehrere Fortsetzungen folgen lassen. Sie stellen die ";Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation” ins Zentrum und beleuchten ihr zwielichtiges Treiben, das schon in ";Das Flüstern der Toten” mehrfach angedeutet wird. Auch generell gibt es offene Fragen genug, die den Leser neugierig zum nächsten Band greifen lassen dürften.

Das Flüstern der Toten

Stephen Woodworth, Heyne

Das Flüstern der Toten

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