Future-Tech und Kastendenken
Was Japan in den 1980ern Japan für Cyberpunk war, das sind Indien und China für die SciFi-Techno-Thriller des noch jungen 21. Jahrhunderts. Alan Dean Foster, mit derzeit 108 Büchern einer der fleißigsten Genre-Vielschrieber, hat diesen Trend erkannt und einen Near-Future-Krimi für den westlichen Geschmack verfasst, würzig, aber nicht zu scharf.
Sagramanda, der namensgebende Schauplatz des Romans, ist eine fiktive Megalopolis im Indien der nahen Zukunft. Mit 100 Millionen Einwohnern ein nahezu unkontrollierbarer, multi-religiöser und verpesteter Moloch, in dessen Spannungsfeld von Armenvierteln und Luxuskaufhäusern täglich Unruhen auflodern und Morde kaum noch gezählt werden können. In diesem Hexenkessel taumeln fünf völlig unterschiedliche Personen und ein Tiger aufeinander zu:
Taneer Buthlalee. Der Biochemiker versteckt sich vor zwei unterschiedlichen Verfolgern: Vor seinem ehemaligen Arbeitgeber und vor seinem Vater. Ersterem hat er die Daten zu einer bahnbrechenden genetischen Forschung gestohlen und will sie jetzt für eine gigantische Summe an die Konkurrenz verkaufen. Letzterer will seinen Sohn niederstrecken, weil dieser sich mit einer Angehörigen der niedrigsten Kaste, einer Unberührbaren, verloben will.
Sanjay Gosh. Ein ehemaliger Kleinbauer, der jetzt einen Souvenirshop betreibt, dessen Sortiment jedoch nicht nur Postkarten umfasst, sondern gelegentlich auch bewusstseinserweiternde Substanzen. Gosh hat eine abhörsichere Kommunikationsanlage und wird von Buthlalee als Vermittler angeheuert, was ihn bisweilen an den Rand seines Karmas treibt.
Chal Schneemann. Halb-Inder, löst auf diskrete und illegale Weise unangenehme Probleme von Großkonzernen. In diesem Fall ist er Buthlalee auf den Fersen, soll ihn allerdings lebend überbringen. Gegen seine High-Tech-Ausrüstung würde James Bond M verkaufen.
Jena Chalmette. Die Französin spricht nicht nur Hindi, sondern verfügt auch über sensationelle Fähigkeiten im Enthaupten. Weil sie ihr Leben der Todesgöttin Kali gewidmet hat, arbeitet sie daran, so viele Seelen wie möglich aus ihrer körperlichen Hülle zu befreien.
Keshu Singh. Chefinspektor der Polizei von Sagramanda. Er darf mit dem Tarnkappen-Chopper ins Büro fliegen und möchte nach der Arbeit so schnell es geht nach Hause, um sich von seiner Frau bekochen zu lassen. Weil die Kali-Jüngerin Jena auch Ausländer entleibt, muss er Überstunden machen.
Tiger. Ein großes, altes und erfahrenes Männchen, das Geschmack an Menschenfleisch findet. Taucht nur gelegentlich auf, ist aber nicht zu unterschätzen.
Schillernde Charaktere, konstruiertes Finale
Alan Dean Foster ist das weltenbummelnde Chamaläon im Genrebetrieb. Seit er sich vorgenommen hat, so viel wie möglich von dieser Erde zu sehen, schreibt er auch darüber. Mal in Form von Krimis, meist jedoch verfasst er Science Fiction. Eine ausgedehnte Reise durch den indischen Subkontinent hat ihn zu seinem an exotischen Details reichen "Sagramanda" inspiriert: "In Indien, wo eine Kleinstadt drei Millionen Einwohner hat, habe ich überlegt, wie es in einer wirklich großen…indischen Metropole der nahen Zukunft zugehen könnte." Morgen wie heute, so entschied er, leben dort Gut und Böse in den unterschiedlichsten sozialen Ausprägungen nebeneinander. Foster benutzt den Kastenhintergrund der indischen Gesellschaft und lädt ihn mit einem Technoplot auf, der an die Bridge-Trilogie von William Gibson erinnert.
Die Figuren haben zum Teil schillernde Charaktere, eine Stärke des Romans, die Foster bis zum Ende durchhält. Mit feiner Ironie verfolgt er ihre Gedanken und Motivationen und führt elegant die jeweiligen Handlungsstränge nebeneinander her. Einzig das Ende wirkt leicht konstruiert.
Dennoch macht "Sagramanda" Appetit auf mehr, Foster sollte ruhig noch einmal nach Indien reisen und sich anregen lassen. Das Land bietet mit Sicherheit reichlich Stoff für ein Dutzend Science-Fiction- und Fantasy-Romane.
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