Die Gruselgeschichten des Jahres 2
- Heyne
- Erschienen: Januar 1987
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13 Erfahrungen, die man keinesfalls teilen möchte
Eine Sammlung der ‚besten‘ Horror-Storys des Jahres 1984:
- Stephen King: Mrs. Todds Abkürzung (Mrs. Todd's Shortcut), S. 9-43: Sie liebt die rasante Autofahrt über möglichst obskure Nebenstrecken, die nicht immer durch diesseitige Regionen verlaufen.
- Charles L. Grant: Hast du Angst im Dunkeln? (Are You Afraid of the Dark?), S. 44-66: Wollen Eltern freche und deshalb unbrauchbare Kinder loswerden, rufen sie eine ganz besondere ‚Nanny‘.
- John Gordon: Fang dir den Tod (Catch Your Death), S. 67-83: Dieses Mal trifft der böse Geisterhund auf ein Opfer, das sich den Tod (un-) redlich verdient hat.
- Gardner Dozois: Abendgesellschaft (Dinner Party), S. 84-104: Der Soldat hat seine tödliche Pflicht erfüllt, und dafür will ihm der Vater des Opfers danken.
- Daniel Wynn Barber: Tiger im Schnee(Tiger in the Snow), S. 105-111: Nicht der Tiger wird Justins Sorge sein, denn der eigentliche Schrecken liegt schon hinter ihm.
- Ramsey Campbell: Ja, wo ist denn das Vögelchen?(Watch the Birdie), S. 112-120: Erzürnte Okkultisten arbeiten schlau einen Papagei in ihren Rachefluch ein.
- David J. Schow: Bald auch in Ihrem Theater(Coming Soon to a Theatre Near You), S. 121-146: Vietnam-Veteran Jack ficht seinen letzten Kampf in einem heruntergekommenen Kino aus.
- Leslie Halliwell: Hände mit langen Fingern(Hands with Long Fingers), S. 147-162: Der schwarzmagisch bewanderte Sekretär sorgt dafür, dass die Konkurrenten ihm das begehrte Erbe nicht streitig machen.
- Fred Chappell: Unheimliche Geschichten(Weird Tales), S. 163-178: Nicht nur H. P. Lovecraft ahnte, dass hinter den Kulissen der Welt schreckliche Mächte die Fäden ziehen.
- Jovan Panich: Der Kleiderschrank(The Wardrobe), S. 179-198: Seit es in seinem Zimmer steht, hasst Andrew das riesige, düstere Möbelstück, das des Nachts ein unheimliches Eigenleben entwickelt.
- Vincent McHardy: Angst um die Erinnerungen(Angst for the Memories): S. 199-210: Sie finden sich körperlos in endloser Finsternis wieder und versuchen ihrem Gefängnis zu entkommen.
- David Langford: Das Ding im Schlafzimmer(The Thing in the Bedroom), S. 211-224: Bei einem grässlichen Unfall in seinem Zimmer verlor der unglückliche Pensionsgast ein wichtiges Körperteil, das dort des Nachts herumspukt und weibliche Bewohner erschreckt.
- John Brizzolara: An der Grenze(Borderland), S. 225-237: An der Grenze zwischen Mexiko und den USA verschwinden viele Menschen spurlos, doch in der Nacht zu Allerseelen kehren sie zurück.
- Roger Johnson: Die Vogelscheuche(The Scarecrow), S. 238-254: Der alte Fluch des ebenso bösen wie böse geendeten Junkers trifft auch in der modernen Gegenwart unvorsichtige Zeitgenossen.
- James B. Hemesath: Das Ende der Welt(The End of the World), S. 255-270: Im US-amerikanischen Hinterland ist das Menschenopfer als Methode der Problemlösung eine lebendige Tradition.
- John Gordon: Werd niemals erwachsen(Never Grow Up), S. 271-280: Die gestörte Mutter hasst es, dass ihr kleiner Sohn heranwächst, weshalb er dafür sorgt, dass dies nicht geschehen wird.
- Charles Wagner: Schein-Werfer(Deadlights), S. 281-292: Auch viele Jahre nach seinem Tod überprüft der eifersüchtige Bill Phillips, ob er seine Freundin des Nachts in einem fremden Automobil entdecken kann.
- Dennis Etchinson: Gespräch im Dunkeln(Talking in the Dark), S 293-317: Victor kann sein Glück nicht fassen, als ihn sein Lieblingsautor besucht, wird aber die Antwort auf die Frage, woher dieser seine Ideen bezieht, nur kurzfristig überleben.
Die vielen Gesichter des Schreckens
„Die besten Storys des Jahres“ ist kein juristisch geschützter Begriff, weshalb er in der Buchwerbung ebenso beharrlich wie skrupelfrei zum Einsatz kommt. In der Regel werden recht beliebige Erzählungen unter dem vermeintlichen Gütesiegel zusammengewürfelt, woran eine genre-prominente Herausgeberschaft nicht zwangsläufig etwas ändert. Karl Edward Wagner möchte man dies eigentlich ungern unterstellen, denn er war nachweislich jemand, der die Phantastik kannte und sich durchaus ein Urteil gestatten konnte.
Andererseits geben Sammlungen, für die eine Einzelperson verantwortlich zeichnet, stets die subjektive dieses Herausgebers wider, der gleichzeitig darauf achten muss, seine Auswahl im Hinblick auf möglichst viele Leser = Käufer zu gestalten. Vor allem dieser Zwang versöhnt mit einer Sammlung wie dieser, die viel Mittelmaß, einige Ausfälle sowie echte Kandidaten für die „jahresbeste“ Horror-Story enthält.
Seit „Die Gruselgeschichten des Jahres 2“ erschien, sind mehrere Jahrzehnte vergangen, was eine ‚objektive‘ Beurteilung (durch einen ebenfalls subjektiven Rezensenten) erleichtert: Mit der Zeit hat sich erwiesen, welche Erzählung ihren Unterhaltungswert erhalten konnte. Wie erwartet ergibt sich - dies sei vorweggenommen -, dass gerade jene Storys Staub angesetzt haben, deren Verfasser sich einst betont ‚modern‘ gaben.
Glanz setzt Patina an
Man kann froh sein, dass Wagner in dieser Hinsicht skeptisch war. So sah er den „Splatter-Punk“ - gerade als „Zukunft des Horrors“ gefeiert - nicht als den endlich gefundenen Stein der Weisheit. (Damit lag er richtig, obwohl der Blut-Sperma-Schmodder sich als Nische behauptete und dort an Drastik so weit zunahm, dass er inzwischen zur eigenen Parodie verkommen ist.) Mit David J. Schow (*1955) erteilt Wagner dennoch einem der ‚Stars‘ des Splatter-Punks das Wort; dieser liefert - aus heutiger Sicht - Klischees.
Wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass im 21. Jahrhundert nicht mehr erschrecken kann, was 1985 womöglich Schnappatmung verursachte. Storys mit ‚schockierender‘ oder wenigstens unerwartet drastischer Auflösung, wie sie Charles Lewis Grant (1942-2006), Vincent McHardy (*1955) oder Dennis Etchison (1943-2019) präsentieren, funktionieren heute nur noch bedingt oder gar nicht mehr; hier macht sich zusätzlich bemerkbar, dass uns heute diese Plots erst recht bekannt sind.
Kommt eine gar zu offensichtliche Moral hinzu, wird aus Patina womöglich Rost, wie Gardner Raymond Dozois (1947-2018) zweifelsohne unfreiwillig beweist. Überhaupt ist Emotion ein Drahtseil, auf dem sich diejenigen, die den Balanceakt wagen, meist mehr schlecht (Jovan Panich [*1960], John Gordon [1925-2017]) als (halbwegs) recht (Daniel Wynn Barber [*1947]) halten. So reicht es nicht, Kinder in Gefahr zu bringen - wie es gleich mehrere Autoren tun -, wenn man den daraus resultierenden Schrecken nur behauptet, statt ihn durch erzählerisch aufkommen zu lassen. Auch der beliebte Irrsinn wirkt, wenn er sich schon viele Seiten vor der finalen Entladung mehr als ankündigt, kontraproduktiv (Dennis Etchison [1943-2019]).
Handwerk schlägt Kunst
Wieder haben sich jene Storys am besten gehalten, die quasi zeitlos sind und/oder auf bewährten Plots basieren, welche einfallsreich variiert wurden. Sollte man sich wundern, dass unter denjenigen Autoren, denen das gelingt, hier Stephen King (*1947) findet? Wahrscheinlich nicht, denn er ist keineswegs grundlos seit Jahrzehnten mehr als ein „Bestseller-Autor“. Mit „Onkel Ottos Lastwagen“ beweist King, wie eine spannende Story gefühlvoll, aber ‚emotional diszipliniert‘ (diesen von mir geschaffenen Begriff setze ich lieber in ‚Als-ob‘-Anführungsstriche) = ohne Schmalz erzählt werden kann. Auf diesem Niveau gelingt dies außer King noch John Brizzolara (*1950), der unter Beweis stellt, dass die ‚altmodische‘ Geistergeschichte sehr wohl gegenwartstauglich ist. Nicht ganz mithalten, aber gut unterhalten kann Charles Wagner (*1957), während James B. Hemesath (*1944) auf die Klischee-Schiene gerät.
Herausgeber Wagner kann (und will) eine Vorliebe für den klassischen Horror nicht verhehlen. Schon 1984 schrieben viele Autoren Storys im Geiste ihres Vorbilds H. P. Lovecraft (1890-1937); Fred Chappell (*1936) lässt ihn in seiner Erzählung sogar kurz persönlich auftreten. Er spielt mit dem „lovecraftian horror“, weil er dessen Regeln (und Grenzen) versteht und berücksichtigt. Roger Johnson (*1947) lässt erfolgreich M. R. James (1869-1936), den Großmeister der englischen ‚ghost story‘, aufleben, während Leslie Halliwell (1929-1989) scheitert bzw. Leerlauf-Grusel erzeugt, weil er nicht weiß, wie man eine durchaus taugliche Idee ‚timen‘ = spannungssteigernd auf die finale Spitze treibt; nach zu langer Einleitung und einer Handlung, die sich grundlos verselbstständigt, verpufft die allzu simple Auflösung.
Horror und Humor sind enge Verwandte: Furcht kann man durch Lachen entschärfen. Schriftstellerisch stellt dies eine Herausforderung dar. Wie man es machen kann - indem man die komische Seite hervorhebt, ohne das Grauen dadurch ins Lächerliche zu ziehen -, zeigt Ramsey Campbell (*1946). Den Mantel des Vergessens breite man dagegen über David Langford (*1953), der es mit seinem verdrucksten, breitgetretenen Herrenwitz niemals in eine Sammlung wie diese hätte schaffen dürfen.
Anmerkung: In der deutschen Übersetzung fehlt (wieder einmal) die Einleitung des Herausgebers („Introduction: 13 Is a Lucky Number“). Erhalten blieben immerhin die Vorworte zu den einzelnen Geschichten.
Fazit:
Es sind sicher nicht die „besten“ Storys des Jahres, aber diese 13 Erzählungen bilden die (anglo-amerikanische) Horror-Szene von 1984 nicht nur im Überblick ab, sondern können mehrheitlich unterhalten, wobei einige Geschichten deutlich herausragen, während nur wenige echte Ausfälle zu verzeichnen sind.
Karl Edward Wagner, Heyne
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