Die Lügen des Locke Lamora (Locke Lamora 1)
- Heyne
- Erschienen: Januar 2007
- 13
Phantastisches Venedig und ein sympathischer Gentleman-Dieb
Der Autor entführt uns in eine an Venedig erinnernden Küstenstadt namens Camorr. Die örtlichen Adeligen und das organisierte Verbrechen haben bereits vor Jahrzehnten ein geheimes Stillhalteabkommen vereinbart. Sofern die Diebe die Adeligen verschonen, dürfen diese die nicht so privilegierten Klassen schröpfen, wie es ihnen gerade passt. Nur eine kleine Bande hält sich nicht an den Pakt. Locke Lamora und seine Genossen bezeichnen sich selbst als die »Gentleman-Ganoven«. Als Ziel suchen sie sich blasierte Adelige, die sie in raffiniert aufgezogenen Betrügereien an der eigenen Habgier packen und über den Tisch ziehen. Die Beute ist ihnen nicht so wichtig, die Herausforderung, es den eingebildeten Blaublütigen zu zeigen, ein ebenso kompliziertes wie intelligentes und überzeugendes Geflecht von Halbwahrheiten und Lügen, von Verkleidungen und tolldreisten Behauptungen zu präsentieren, so dass sich ihr Opfer selbst sein Grab schaufelt, das reizt sie.
Zu Beginn des Romans starten sie einen neuen Fischzug. Don und Dona Salvara sind überzeugt, dass Locke das Haus bel Auster repräsentiert. Um einem drohenden Krieg zu entfliehen, so die Mär, und die kostbaren Branntweinvorräte in Sicherheit zu bringen, sucht das Handelshaus einen potenten Geschäftspartner. Doch zunächst gilt es natürlich erst einmal das nötige Kleingeld für die Flucht vorzustrecken. Salvara ist zwar zunächst misstrauisch, doch dann ist die Gelegenheit unermesslich reich zu werden einfach zu verlockend, und er tappt in die Falle.
Ein neuer Pate macht sich breit - und Rache heisst das Gebot der Stunde
Mittlerweile räumt der »Graue König« unter den Verbrechern der Stadt gnadenlos auf. In seiner Vendetta gegen den herrschenden Paten geht er mit beispielsloser Brutalität gegen dessen Stellvertreter vor. Um sich selbst an die Spitze der Langfinger und Totschläger zu setzen, scheint ihm jedes Mittel recht. Selbst die Tochter des Paten wird grausam ermordet, dann gerät auch Locke Lamora und seine Bande ins Visier des neuen, mächtigen Mannes. Zunächst wird Locke gezwungen, als der Graue König aufzutreten, dann setzt der König seinen Hexer auf die Bande an. Seine Freunde sterben, nur Locke und Jean, sein Bruder im Geiste, entkommen dem Anschlag mit Müh und Not. Rache heisst das Gebot der Stunde, doch zunächst gilt es für tatkräftige Unterstützung im Kampf gegen den neuen mächtigen Mann zu sorgen. Die Spinne, das Mastermind hinter dem Geheimdienst des Stadtstaates, ist sowieso schon hinter Locke her. Da bietet sich eine Zusammenarbeit an. Doch zunächst gilt es, einen Zugang zu den elitären Kreisen zu finden, und das heisst, sich in die Höhle des Löwen zu begeben ...
Kann das funktioniere, eine Gaunerkommödie in einer Fantasywelt - es kann!
Kennen Sie den Oskar-prämierten Kinofilm »Der Clou« mit Robert Redford in der Hauptrolle? Die Gaunerkommödie um Schlitzohren, die mit Chuzpe und Finesse die Leute um ihr Erspartes bringen, lockte die Zuschauer damals reihenweise in die Kinos.
Lynch nimmt die Grundidee des Gentlemangauners und setzt das dann in einen Fantasy-Kontext der interessanten Art. Die Stadt selbst, von einem verschwundenen Volk aus Elderglas erbaut, mit gläsernen Rosengärten verziert, die Blut trinken, bietet sich als faszinierender Handlungsort an. Immer wieder lässt er im Verlauf der Handlung Details über das Leben, die Gebräuche und die Menschen der Küstenstaat einfliessen.
Locke selbst wird uns als sympathische Person portraitiert. Anders als etwa bei Steven Brusts »Vlad Taltos« hat man als Leser den Eindruck, dass bei ihm nicht das Verbrechen oder die persönliche Bereicherung im Vordergrund stehen, sondern die geistige Auseinandersetzung mit seinem Opfer. Wird es ihm gelingen, seine meist gnadenlos auf Machtzuwachs und Karriere zielenden Opfer übers Ohr zu hauen, diese Frage, diese Herausforderung ist es, die ihn antreibt.
In eingeschobenen Kapiteln berichtet Lynch uns von der Jugend seines Helden, von seiner Ausbildung und der Karriere als Trickbetrüger und hinterfüttert damit seine Charaktere mit einem glaubwürdig ausgearbeiteten Hintergrund. Dabei nimmt die zunächst seltsam konturlos bleibende Metropole Camorr mehr und mehr Gestalt an, gewinnt an geschichtlicher wie geographischer Substanz und damit an Überzeugungskraft. Zweifellos werden die weiteren Bände - dem Vernehmen nach sind insgesamt neun Romane geplant - die angerissenen Ansätze weiterführen, die verschwundene Magierrasse der Elderglas-Schöpfer birgt ebenso wie eine zur Bande gehörige - aber während der gesamten Zeitdauer des Romans abwesende - Freundin Lockes entsprechendes Potential.
Viel Zufall, und doch in sich rund und stimmig
Zwar bleibt vieles dem Zufall überlassen, entkommt Locke den Nachstellungen seiner Feinde so manches Mal nur durch schlichte Fortune, und offenbaren sich ihm die Geheimnisse seiner Gegner mehr, als dass er diese selbst lüftet, doch sorgt seine unbekümmerte Art und seine Energie förmlich dafür, dass die Handlung den Leser mitreisst.
Lynch versteht es, seine Leser durch ständige unerwartete Wendungen an den abwechslungsreichen und rasant verfassten Text zu fesseln, weiss geschickt Geheimnisse einzuführen und, was fast noch wichtiger ist, diese auch passend zu lüften. Dabei vermischt er Elemente des Mafiaromans mit Beschreibungen einer feudalistischen Herrschaftsstruktur, lässt Jugendbanden ebenso auftreten wie Geheimdienstler und Fechtmeister. Hierbei stellt er seine Magie auf eigene, noch weitestgehend unbenannte Füsse und der Leser wartet auf die altbekannten Ingredienzien wie Elfen und Zwerge glücklicherweise vergebens.
Das Buch liest sich wie von selbst. Kaum begonnen packt uns die Handlung und die munteren Dialoge verbinden sich mit den gekonnten Charakterzeichnungen zu einem mitreissenden Ganzen. Stilistisch gefällig pendelt die Handlung zwischen einem munter dahinfliessenden, dann wieder reissenden Strom hin und her, besticht mit ungewöhnlichen Ansätzen und einer Kombination von Genreplots die man so noch nicht gelesen hat, so dass die Zeit der Lektüre wie im Flug vergeht.
Scott Lynch, Heyne
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