Venus

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2002
  • 2
Venus
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Michael Drewniok
10°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2007

Shakespeare im Säurebad: eine SF-Seifenoper

Es war einmal ein reicher Mann, in seiner Welt ein König gar, der hatte zwei Söhne; der eine wohlgestalt und mutig, der Stolz seines Vaters und idealer Erbe seines Reiches, der andere störrisch und schwächlich & bei der Geburt der Tod der Mutter, was der Vater nie verwinden konnte. Aber ach, als des Schicksals Tücke ihm den einen Sohn entreißt, da ist es ausgerechnet der Gute, während der Kümmerling zurückbleibt und seither vergeblich barmt, des Alten Gunst zu erringen.

Besagter König trägt hier den recht prosaischen Namen Martin Humphries, aber unsere Geschichte spielt ja auch nicht in ferner Vergangenheit, sondern einige Jahrzehnte in der Zukunft - einer Zukunft, in der die Welt zwar kein besserer Ort geworden ist, der Fortschritt sich aber trotzdem nicht aufhalten ließ. Reisen zu anderen Planeten und Monden sind auch weiterhin schwierig, gefährlich und teuer, aber möglich und werden auch regelmäßig unternommen. "Humphries Space Systems", der Martins Mega-Konzern, der überall im Sonnensystem die Finger im Spiel hat, trägt seinen Teil dazu bei und hat die Familie sowohl reich als auch mächtig werden lassen.

Diese 'Familie' existiert allerdings nur noch dem Namen nach. Alexander, Martins älterer Sohn und designierter Nachfolger, ist vor drei Jahren bei einer waghalsigen Expedition zur Venus verschollen, die er ganz im Geiste seines Vaters als erster Mensch betreten wollte. Zurück blieb Van, der zweite Sohn und das Schwarze Schaf, das sich vom rücksichtslosen Machtmenschen Martin abgewandt hat.

Sogar tot scheint Alex für Martin wichtiger zu sein als der überlebende Sohn. Zehn Milliarden Dollar winken als Belohnung dem, der zur Venus fliegt und die sterblichen Überreste des vermissten Helden birgt. Das lockt Abenteuer und Glücksritter - und Van, der das Schicksal des Bruders klären will. Freilich wird es nicht einfach sein, das Preisgeld einzustreichen: Die Venus ist ein echter Höllenplanet. Der Luftdruck allein reicht aus, ein Raumschiff zu zerquetschen. Wer dieses Problem löst, landet auf einer Welt, deren Oberflächentemperatur 450 Grad Celsius beträgt und die von Schwefelsäure-Wolken umkreist wird.

Zudem mischt sich Martin plötzlich in die Startvorbereitungen ein, doch leider ist ohne sein Geld der Bau des Spezial-Raumschiffs "Hesperos" nicht möglich. Er setzt Van eine abgelegte Mätresse als Kapitän vor die Nase. Zu allem Überfluss gibt es auch noch einen Konkurrenten: Lars Fuchs, einst Martins größter Rivale, von diesem betrogen, ruiniert und um die Ehefrau gebracht - ein verbitterter Mann, der dem verhassten Feind unbedingt das Belohnungsgeld abpressen will.

Der schlimmste Gegner ist indes die Venus selbst. Denn die Wildnis lebt, was die von Van aus der Ferne angeschmachtete Biologie Marguerite Duchamp (die Klon-Tochter des Kapitäns) schon lange, aber leider erfolglos angekündigt hatte, und löst die Katastrophe aus: Die "Hesperos" stürzt ab, und plötzlich geht es nicht mehr um Geld und Rache, sondern um das nackte Überleben ...

Ein Maßstab für 'dumme' Science Fiction

Was für ein Desaster! Und damit ist nicht etwa die Höllenfahrt der "Hesperos" gemeint, sondern die Geschichte, die SF-Routinier Ben Bova hier nach Schema F ebenso lieblos wie fahrig zusammengebraut hat. Dieser ist angeblich "einer der größten Science-Fiction-Autoren aller Zeiten", wie wir auf dem hinteren Einband lesen können. Orson Scott Card wird hier zitiert, der's eigentlich besser wissen müsste. Entweder hat er sein Lob schamlos für gutes Geld verkauft oder es an anderem Ort und zu anderer Zeit geäußert. "Venus" ist jedenfalls Steinzeit-SF, die mit solchen Mätzchen zum Lektüre-Ereignis und Verkaufsschlager gepusht werden soll.

Schon das Konzept der Handlung, das hier weiter oben nur halbwegs ironisch (und ansonsten mit viel Leser-Zorn) seiner pseudo-phantastischen Elemente entkleidet wurde, ist Käse der besonders schmierigen Art - eine Seifenoper nämlich, die aus genormten Elementen dieses Ärgernis erregenden Genres zusammengestoppelt wurde. Zwar bringt ein ordentlicher Vater-Sohn-Konflikt trotzdem auch heute immer noch Schwung in eine Geschichte, aber dann darf sie natürlich nicht so plump und klischeebefrachtet wie hier dargeboten werden. Schlimmer noch: Bova meint die Dramatik zu steigern, indem er besagten Konflikt doppelt und zusätzlich durch einen Mutter-Tochter-Zwiespalt spiegelt! Dazu gibt=s ein ordentliches Quantum "Seewolf" nach Jack London mit Lars Fuchs in der Rolle des Wolf Larson und Van Humphries als Humphrey van Weyden (womit gleichzeitig der Beweis erbracht wäre, dass Bova auch mit dem Holzhammer umzugehen versteht). Nur der Hardcore-Fan wird das für eine Hommage halten.

Figuren wie Karikaturen

Figurenzeichnung war noch nie die Stärke des Ben Bova. Schon seine erfolgreichen und viel gelobten Mars-Romane litten arg unter ihren Scherenschnitt-Charakteren. Es ist, als ob Robert A. Heinlein nie gestorben wäre, sondern unter neuem Namen weiter schreibt und die literarische Welt auch fürderhin mit Knallchargen bevölkert. Wer meint, ich übertreibe, werfe nur einen Blick auf Bovas einzigartigen Epilog, der Van Humphries im Triumph auch über den schurkischen Martin (wer hätte je daran gezweifelt?) in die Arme seiner geliebten Klon-Frau Marguerite zurückkehren lässt: "Alex war ein kluger Mann; ich war von überzeugt, dass er [vor seiner letzten Mission] Spermaproben an einem sicheren Ort deponiert hatte ... Ich fragte mich, was Marguerite dazu sagen würde, wenn ich sie bat, seine geklonte Zygote auszutragen. Würde sie das für mich tun? Ich wusste, dass das viel verlangt war. Wir würden natürlich auch eigene Kinder haben, doch zuerst wollte ich Alex wiederhaben." Marguerites Antwort hätte uns auch sehr interessiert, aber leider fällt hier der Vorhang ...

Nun könnte man den Versuch wagen, Bova zu entlasten (der Mann wird von seinen Fans geliebt, und zumindest US-Fans gehen für ihre Idole durch Dick & Dumm!), indem man den Fokus auf die Story richtet. Die muss halt irgendwie in Schwung gebracht werden, und sobald dies geschehen ist, degenerieren Logik und glaubhafte Figuren ohnehin zur Nebensache! Tja, wer sich damit zufrieden gibt ... Leider gelingt auch das nur eingeschränkt. Sicher, sobald unsere zankigen Heldinnen und Helden endlich auf der Venus eingetroffen sind, droht die Story tatsächlich hin und wieder spannend zu werden. Aber sogleich schlüpfen unsere Raumfahrer zurück in ihr Schiff und fahren fort miteinander zu balgen und zu schwätzen ... und zu schwätzen ... und zu schwätzen.

Bova bringt das seltene - und traurige - Kunststück fertig, einen Venus-Roman zu schreiben, in dem der Planet zur reinen Nebensache vorkommt. Es ist heiß dort und dunkel, und damit ein wenig Dramatik in die Sache kommt, lässt er Metall fressende Mikroben in den Wolken und Tentakelwurzeln auf der Oberfläche ihr Unwesen treiben. Den Rest erledigen die offenbar in Hollywood hergestellten Venus-Vulkane, die nach Äonen des Schweigens exakt dann ausbrechen, als sich der inzwischen zum Junghelden ausgewachsene Van Humphries dem Grab des Bruders nähert.

Holzhammer-Ökologie für die geistig Armen

Ach ja, eine Botschaft gibt es auch noch: Um seinem Opus gesellschaftskritische Relevanz einzuhauchen, wringt sich Bova ein paar Absätze aus dem Hirn, die Mutter Erde im Würgegriff des Treibhauseffektes zeigen. Dafür verantwortlich sind selbstverständlich nicht ihre Bewohner, sondern nur einige wenige kriminelle Geldsäcke, die den dummen Bürgern vorgaukeln, der ökologische Kollaps sei halt der Preis, den man für den Fortschritt zahlen müsse. Da bringen Van und seine mutigen Gefährten frohe Kunde aus fremder Welt: "Die Venus ist eine Naturkatastrophe ... und die Erde ist eine menschliche Katastrophe. Und was Menschen getan haben, vermögen sie auch rückgängig zu machen!" Also wird Van - traulich flankiert von seiner Marguerite - sich zum Führer der Umweltschutzbewegung aufschwingen, die gemeinsam mit den gutwilligen Menschen des Blauen Planeten nur auf einen wie ihn gewartet haben. Und alles wird gut werden!

Also ist "Venus" als einzige Zeit- und Geldverschwendung anzuprangern? Jein - Es kommt darauf an, was der Leser von seiner SF-Lektüre verlangt. Als bloßes Abenteuer- und Actiongarn auf dem Niveau eines deutschen Heftromans oder Routine-SF à la "Star Wars" oder "Star Trek" kann "Venus" bestehen. Ben Bova ist Profi durch und durch, der kaum völlig unleserlichen Mist abliefern würde. Nur muss man sich eben darüber klar sein, dass derselbe Bova zwar als (s. o.) als Lichtgestalt der Science Fiction gefeiert wird, ihm dieser Status aber nicht (mehr) zukommt. Wie heillos er überschätzt wird, macht z. B. der Vergleich mit Iain Banks oder Stephen Baxter deutlich, beides genauso fleißige Schriftsteller wie Bova, die mehr zu bieten haben als Post-Gernsback-Remmidemmi und sogar in der Lage sind, unterhaltsam echte Denkanstöße zu vermitteln, ohne ihr Publikum damit in Angst & Schrecken zu versetzen.

Solange die Verkaufszahlen stimmen, sehen weder Bova noch sein/e Verlag/e einen Grund, am bewährten Rezept etwas zu ändern. "Venus" ist der erste Band der sog. "Grand Tour of the Universe", wobei das Universum merkwürdigerweise nur aus dem heimischen Sonnensystem besteht, das Bova Planet für Planet (inklusive diverser Monde und unter besonderer Berücksichtigung des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter) in Romanform zu bereisen gedenkt. Was "Venus" befürchten ließ, ist längst eingetroffen: Bova legt auch hier Geschichten vor, die der echte SF-Fan tunlichst meidet.

Venus

Ben Bova, Heyne

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