Artemis Fowl. Die verlorene Kolonie
- List
- Erschienen: Januar 2007
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Der geniale Verbrecher trifft auf die Frau seiner Träume
Artemis Fowl, mittlerweile 13 Jahre alt, ist ein Unikat. Nicht nur, dass er schon als Kind einen Intelligenzquotienten sein Eigenen nennt, der gestandene Nobelpreisträger vor Neid erblassen lässt, dass er seinen Vater aus den Händen der russischen Mafia gerettet hat, oder dass er einige der spektakulärsten Diebstähle des Jahrhunderts organisiert und erfolgreich durchgeführt hat, er ist auch der einzige Mensch, der von der Existenz der Unterirdischen weiss.
Der Einzige? Als er das Auftauchen eines Dämons in Barcelona berechnet, hat er Gesellschaft, die ebenso interessiert die Materialisation beobachtet. Ein Mädchen, noch dazu ein hübsches, intelligentes Mädchen mit einem IQ, der an den von Artemis heranreicht, sitzt im Straßencafe - und das, wo Artemis voll in der Pubertät ist! Man kann sich vorstellen, was dies für Folgen zeitigt. Als Artemis dann noch feststellt muss, dass es Minerva - so heisst das Wunderkind - gelingt, einen Dämon gefangen zu nehmen, und sie diesen der Öffentlichkeit präsentieren will, ist klar, dass er, unterstützt von Holly, Mulch und Konsorten, eingreifen muss. Dass sich die Sache dann aber so turbulent entwickelt, dass es die Insel der Dämonen, die vor Jahrtausenden aus der Zeit gerissen wurde, und ihre Bewohner zu retten gilt, das war so nicht vorgesehen. Aber Artemis wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch Magie, Zeitreise und Gefühlschaos etwas abgewinnen könnte ...
Der grösste Potter-Konkurrent auf Abwegen - Mission Impossible lässt grüssen
Artemis Fowl, mit diesem Namen verbindet der Leser nicht nur den grössten Konkurrenten Harry Potters, sondern intelligenten, witzigen Lesespass. Die Auseinandersetzung des Verbrecher-Genies mit den Ordnungstruppen der Unterirdischen beanspruchte die Lachmuskulatur der Leser in gar ungehöriger Weise. Dabei war es nicht nur die Idee, einen der vermeintlich Bösen als Protagonist zu wählen, die den Büchern ihren Reiz verschaffte, auch die durchdachte Welt der Elfen, Zwerge und Gnomen, die eine überzeichnete Kopie unserer modernen, überbürokratischen Gesellschaft ist, wusste den Leser zu faszinieren. In Kombination mit den markanten, eckigen Figuren und einer spritzigen Handlung lasen sich die Bücher wie von selbst. Insoweit ging ich mit einigen Erwartungen an den fünften Teil der Saga - und wurde Enttäuscht.
Enttäuscht auf hohem Niveau
Eoin Colfer hat anlässlich seiner Lesung im Februar dieses Jahres in Stuttgart erzählt, dass er ursprünglich vor hatte, einen reinen Science Fiction Roman zu schreiben. So entstanden zunächst die Kapitel, die im Universum der Dämonen spielten. Dann beschloss er nachträglich die Handlung um Dämon Nummer 1 mit Artemis zu verbinden. Eine Verbindung, die weder Fisch noch Fleisch ist. Ungewohnt bleibt, dass diesmal das unterirdische Reich der Elfen als Handlungsort weitestgehend aussen vor bleibt und dass Foley und Co lediglich eine Statistenrolle einnehmen. Satt dessen offeriert Colfer uns ein Kräftemessen der besonderen Art.
Zwei Jugendliche, von sich selbst mehr als überzeugte Masterminds, treffen aufeinander und die Handlung nimmt eine Eigendynamik an, die an Filmerfolge wie »James Bond« oder »Mission Impossible« erinnert. Da werden streng gesicherte Anwesen gestürmt, gigantische Hochhäuser dienen als Übergabeorte von Erpresserbanden, halsbrecherisch abenteuerliche Fluchten und Verfolgungsjagden schliessen sich an, man kommt als Leser kaum dazu Luft zu holen.
Es fehlt der Zauber der Fairies
So actionreich die Handlung auch ist, so kurzweilig sich die Ereignisse darbieten, sie lassen den besonderen Zauber der »Fairies« vermissen. Während in den ersten vier Bänden die überzüchtete Technik der Unterirdischen als notweniges Requisit zur Handlung diente, nimmt dieses einen immer wichtigeren und damit breiteren Platz ein. Dies reduziert die Charakterisierung einzelnen Personen - ich denke hier insbesondere an den Söldner Kong - auf eine letztlich stereotype Darstellung. Selbst die an sich interessante Idee eines von der Erde geflüchteten Volkes der Dämonen, das in Raum und Zeit verschollen dem Ende entgegensieht, bleibt hinter den gebotenen Möglichkeiten zurück. Der Handlungsort wird auf einen Vulkan reduziert, die Dämonen selbst als tumbe Schlagtots portraitiert. Wo bleibt der Esprit, den die Bücher Colfers bislang so überreichlich auswiesen, wo die faszinierenden Antagonisten unserer Helden, wo der minutiös durchdachte, mit einem unerwarteten Finale aufwartende Plot?
Das Gebotene las sich zwar kurzweilig, aber die Begeisterungsstürme der ersten Bände werden diesmal wohl ausbleiben.
Eoin Colfer, List
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