Sauriergeschichten
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 1983
- 0
Mythische Bestien, geliebt & gefürchtet
Vier Storys, zwei Gedichte und zwei Erinnerungen über und an den Mythos Dinosaurier:
- Ray Harryhausen: Vorwort, S. 11-14
- Einführung (Introduction; 1983, illustriert von Kenneth Smith), S. 15-29
- Außer 'nem Saurier - was willst du werden, wenn du groß bist? (Besides a Dinosaur, Whatta Ya Wanna Be When You Grow Up?; 1983, illustriert von David Wiesner), S. 31-77: Waisenjunge Benjamin will unbedingt ein Dinosaurier werden; erschreckt muss der Großvater feststellen, dass dem Enkel dies nach und nach zu gelingen scheint.
- Ein Donnerschlag (A Sound of Thunder; 1952, illustriert von William Stout), S. 79-126: Freizeit-Jäger Eckels sucht den ultimativen Kick und bucht eine Reise in die Kreidezeit, um dort dem Tyrannosaurus Rex aufzulauern.
- Sieh' die drollig-drallen Saurier! (Lo, the Dear, Daft Dinosaurs!; 1980, illustriert von Overton Loyd), S. 127-135
- Das Nebelhorn (The Fog Horn; 1951, illustriert von Steranko [d. i. James F. Steranko]), S. 137-166: Aus den Tiefen des Ozeans taucht eine uralte, einsame Kreatur auf, die das Nebelhorn eines Leuchtturms für den Ruf eines Artgenossen hält; der Moment der enttäuschten Erkenntnis ist identisch mit der Attacke auf die Leuchtturmwärter.
- Wenn ich sagte: Der Saurier ist nicht tot (What If I Said: The Dinosaur's Not Dead; 1983, illustriert von Gahan Wilson), S. 167-173
- Tyrannosaurus Rex (Tyrannosaurus Rex; 1962, illustriert von Moebius [d. i. Jean Giraud]), S. 175-213: Der Tricktechniker findet unterbewusst einen Weg, es dem geizigen, garstigen Filmproduzenten heimzuzahlen.
Der Reiz wahrgewordener Träume
Dinosaurier und Drachen: Beide besetzen Nischen in jener Sphäre, die weniger der Realität, sondern ihrer phantastischen ‚Erweiterung‘ vorbehalten ist. Das ist insofern erstaunlich, weil Dinosaurier im Gegensatz zu Drachen reale Lebewesen sind - oder waren -, wobei die astronomisch lange Zeitspanne seit ihrem Verschwinden für jene Lücke zwischen Fakt und Fiktion sorgt, die der Mensch durch seine Vorstellungskraft füllt. Zwar sorgt die Forschung dafür, dass wir - vereinfacht ausgedrückt - über Dinosaurier mehr wissen als über die aktuellen Bewohner der Tiefsee, doch es bleibt Raum genug, den wir mit (Alb-) Träumen füllen können.
Ray Bradbury (1920-2012) gehörte sicherlich zu denen, die dafür sorgten, dass der Saurier ein Projektionsziel für Träumer blieb. Mit seinen „Saurier-Geschichten“ zielt er auf jene, die wie er schon in jungen Jahren der Faszination der „Donnerechsen“ erlagen. In einem ausführlichen Vorwort erinnert sich Bradbury an seine Kindheit. Schon als Fünfjähriger wurde er nach einem Besuch des (noch stummen) Kinofilms „The Lost World“ (1925; dt. „Die verlorene Welt“) zum Saurier-Fan. „King Kong“ (1933; dt. „King Kong und die weiße Frau“) besiegelte dieses Schicksal.
Als Bradbury als Autor aktiv wurde, war es nur eine Frage der Zeit, dass er selbst Geschichten über Saurier schrieb - und auf entsprechend Gesinnte traf. Er lernte den gleichaltrigen Ray Harryhausen (1920-2013) kennen, der nach Hollywood ging und als Großmeister der „Stop-Motion“-Technik nicht nur Dinosaurier, sondern auch zahlreiche andere Kreaturen zu eindrucksvollem ‚Leben‘ erweckte. Folgerichtig kommt auch Harryhausen zu Wort und erinnert an die einzige Zusammenarbeit mit Freund Bradbury, die auf dessen Story „Das Nebelhorn“ - in diesem Band enthalten - basierte und im Film „20.000 Fathoms from Earth“ (1953; dt. „Panik in New York“) gipfelte (der mit der Vorlage so gut wie gar nichts mehr gemein hatte).
Der Träumer im Kampf gegen die Realität
Bradbury arbeitete an weiteren Hollywood-Filmen (u. a. „Moby Dick“, 1956) mit. Was er, der Idealist, dort erlebte, tötete wider Erwarten und glücklicherweise nicht den Träumer in ihm, weckte aber seinen Sinn für Sarkasmus, der allerdings eine typische Bradbury-Färbung erhielt: Obwohl der dreiste Trickspezialist zunächst wie erwartet gefeuert wird („Tyrannosaurus Rex“), kommt es zu einer unerwarteten Wendung: Der nur vorgeblich ‚böse‘, sondern eher mit einem Napoleon-Komplex geschlagene Produzent ist selbst ein Träumer, dem die Darstellung als Schrecken der Urzeit als Hommage verkauft werden kann.
Die Qualität dieser Sammlung ist durchwachsen; wie könnte es anders sein, da Bradbury zwar Saurier liebte, dem aber nur selten als Schriftsteller nachgab? So wurde alles zusammengekratzt, was sein Œuvre diesbezüglich hergab. Trotzdem ‚musste‘ Bradbury noch eigens eine Story schreiben, um der geplanten Edition die notwendige Textmenge zu liefern. Leider gehört „Außer 'nem Saurier - was willst du werden, wenn du groß bist?“ nicht zu den gelungenen Bradbury-Storys. Sie beschwört zu gewollt herauf, was das Markenzeichen dieses Schriftstellers war: Bradbury ließ eine ‚kindliche‘ Vergangenheit aufleben, die reich an Wundern und Schrecken war.
In seinen frühen Storys gelang ihm dies manchmal auf geniale Weise. Doch zwischen Sentimentalität und Rührseligkeit ist die Kluft schmal. „Außer 'nem Saurier …“ wirkt eher naiv als berührend; ein Urteil, das nicht nur Zyniker fällen dürften. Bradbury glänzt wie immer als Meister regelrechter Wortkaskaden, in denen er (wie später Stephen King) die Kindheit quasi als Stadium jenseits der Naturgesetze schildert. Doch was in „Das Nebelhorn“ der Story dient, wirkt hier übertrieben und sogar aufdringlich. (Völlig vergessen sollten wir zugunsten des Verfassers die beiden der Sammlung an- bzw. zugefügten Gedichte. Sie mögen im O-Ton womöglich witzig sein, doch in der Übersetzung sind sie zumindest für jemanden, der keine Ahnung von Poesie hat, nur peinlich.)
Triumph der Vorstellungskraft
Ihre Wirkung in keiner Weise eingebüßt haben die Klassiker „Ein Donnerschlag“ und „Das Nebelhorn“. Im Vorwort verweist Bradbury bescheiden, aber stolz darauf, dass „Ein Donnerschlag“ zu den ersten Storys gehört, in denen der „butterfly effect“ thematisiert wurde: Schlägt irgendwo ein Schmetterling mit den Flügeln - oder wird in der Vergangenheit zertreten -, kann dies in weiter Entfernung oder ferner Zukunft unerwartete Folgen zeitigen. Darüber hinaus setzt Bradbury dem Tyrannosaurus ein (literarisches) Denkmal, indem er dessen buchstäblich mythische Werte eindrucksvoll in Worte fasst. Dies gelingt dem Verfasser auch in „Das Nebelhorn“, wobei er das Schwergewicht hier auf die Atmosphäre und einen Unterton der Trauer legt; eine Gratwanderung, die ihm so nachhaltig gelingt, dass diese Story seit ihrer Entstehung in unzähligen Editionen auftauchte.
„Saurier-Geschichten“ ist nicht nur eine Sammlung, sondern wurde als ‚Komposition‘ aus Text und Bild realisiert. Diverse Illustratoren zeichneten Szenen aus Bradburys Storys, wobei sie in ihren Interpretationen ausdrücklich frei waren: Sie sollten inhaltlich und stilistisch kommentieren, was Bradbury in Worte fasste. Dieser lobt die Ergebnisse pflichtschuldig und höflich, aber wirklich Eindrucksvolles bleibt die Ausnahme.
Die deutsche Ausgabe wurde auf dickes Papier gedruckt, um die Illustrationen ohne Qualitätsverlust wiederzugeben. Der Text ist farbig, die Zeichnungen bleiben blau. Ein fantasieförderndes Zusammenspiel will sich zumindest diesem Rezensenten nicht erschließen, doch mögen künstlerisch sensible Leser anderer Ansicht sein.
Fazit:
Diese Sammlung trägt Ray Bradbury lebenslanger Liebe zu Dinosauriern Rechnung, indem sie nicht nur seine dem Thema gewidmeten Storys (und Gedichte) präsentiert, sondern auch von bekannten Zeichnern illustriert ist. Das Ergebnis hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, weil nicht alle Erzählungen gelungen und die Zeichnungen eher nett als eindrucksvoll geraten sind.
Ray Bradbury, Bastei-Lübbe
Deine Meinung zu »Sauriergeschichten«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!