Das unheimliche Raumschiff
- Heyne
- Erschienen: Januar 1966
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Streitreiche Weltraumfahrt mit Überlicht-Eskapaden
Nachdem entsprechende Untersuchungen ergaben, dass die Sonne sich, das Sonnensystem und damit die Erde zerstören wird, wurde das riesige Raumschiff "Hoffnung der Menschheit" gebaut. Seine Insassen sollen sich auf einem der Planeten des mehr als vier Lichtjahre entfernten Alpha-Centauri-Systems niederlassen und auf diese Weise die Menschheit vor der völligen Vernichtung bewahren.
Aufgrund eines Konstruktionsfehlers erreicht die "Hoffnung der Menschheit" nie die vorgesehene Reisegeschwindigkeit. Bis das Ziel erreicht ist, vergehen viele Jahrzehnte. Das Raumschiff verwandelt sich in eine fliegende Stadt. Neue Generationen wachsen heran. Sie kennen die Erde nur aus Filmen und den Erzählungen ihrer Eltern. Der eigentliche Zweck der Reise droht in Vergessenheit zu geraten. Meuterei droht, aber Captain John Lesbee hält die Zügel mit straffer Hand.
Endlich ist Alpha Centauri erreicht. Allerdings sind die Planeten dieses Sternsystems für eine Besiedlung untauglich. Statt umzukehren, lässt Lesbee den fernen Sirius ansteuern. Auch dort ist die Irrfahrt nicht zu Ende. Im Inneren der "Hoffnung" herrscht längst ein mühsam kontrollierter Bürgerkrieg. Der Stuhl des Kommandanten wird in der Regel durch die Ermordung des Vorgängers neu besetzt. Intrigen und Misstrauen bestimmen den Schiffsalltag.
Nach der Begegnung mit einem intelligenten Robotervolk kann die "Hoffnung" endlich wie vorgesehen Lichtgeschwindigkeit erreichen. Nach mehr als einem Jahrhundert ist der Rückflug möglich, aber aufgrund der dabei auftretenden Zeitverzögerung kehrt man nur sechs Jahre nach dem Start auf die Erde zurück und löst dort eine globale Krise aus ...
Problemen fliegt man nicht davon
Das Generationsraumschiff ist als Motiv der Science Fiction so beliebt, dass es dort ein eigenes Subgenre mit bemerkenswerter Titelanzahl darstellt. Das Thema selbst ist älter, weil nicht von der Platzierung in der Zukunft abhängig. Die Isolation einer einsamen Insel genügt, sodass mit einigem Wagemut ein roter Faden zwischen "Robinson Crusoe" und "Das unheimliche Raumschiff" gespannt werden kann.
Unabhängig vom abenteuerlichen oder utopischen Beiwerk geht es in erster Linie um den Menschen oder, um genau zu sein, den Menschen in einer Krise, die ihn auf die Grundsätzlichkeiten des Lebens zurückwirft. Das Raumschiff wird zum perfekten Versuchslabor, denn während Robinson immerhin hoffen konnte, eines Tages von einem Schiff gerettet zu werden, ist man im Weltall von dieser Möglichkeit abgeschnitten. Auch die Besatzung der "Hoffnung der Menschheit" - ein Name voller unfreiwilliger Ironie, wie die Handlung belegt - ist auf sich allein gestellt.
Wie werden sich die auf sich konzentrierten Menschen verhalten, wie wird ihre Gesellschaft sich entwickeln? Van Vogt wählt die pessimistische (oder realistische?) Variante: Die Besatzung schleppt einerseits die unbewältigten Probleme der Erde mit sich, während sie andererseits neue Bedrückungen ausbrütet.
Autorität wird zu Absolutismus
Van Vogt postuliert eine Raumfahrt, die sich in einen unendlichen Kleinkrieg verwandelt. Die Generationen kämpfen gegeneinander, und als die Älteren ausgeschaltet sind, beginnen sich ihre Nachfahren zu bekriegen. Sie sind so beschäftigt mit ihren Konflikten, dass sie kaum registrieren, wenn sich außerhalb ihrer fliegenden Heimat Wichtiges ereignet. Jeder Zwischenstopp bringt die "Hoffnung der Menschheit" an ferne Orte, die von fremden Zivilisationen bevölkert werden. Diese werden entweder ignoriert, beschossen oder anderweitig vor die Köpfe - falls vorhanden - gestoßen. Kommunikation schließt van Vogt beinahe kategorisch aus; eine seltsame Haltung für einen SF-Autoren.
Freilich geht es ihm bevorzugt um andere Dinge. Mit bemerkenswerter Detailtreue entwirft van Vogt ein Gesellschaftsmodell, das wie selbstverständlich der Demokratie eine Abfuhr erteilt. Bereits der erste Captain mutiert zum Monarchen, der absolutistisch die Geschicke seines ´Volkes´ - der Besatzung - lenkt, seinen Sohn als Erb-Nachfolger einsetzt und Widerstand scheinbar legal aber tatsächlich brutal bricht.
Der moralische Verfall beschleunigt sich: Schon Lesbee III. wird zum Usurpator, der seinen Thron - den Kapitänsstuhl - gewaltsam an sich reißt. So geht es weiter; jeder Captain umgibt sich mit einer Privatarmee, während er die Frau (oder Frauen) seines Vorgängers übernimmt: Eine weibliche Selbstbestimmung ist in van Vogts Konzept der Zukunft erst recht nicht vorgesehen.
Die ständigen Revolten sind für den Leser ermüdend, weil sie stets nach demselben Muster ablaufen. Erst im letzten Drittel weitet van Vogt die Geschichte zur ´echten´ Science Fiction. Die "Hoffnung der Menschheit" verwandelt sich in "Das unheimliche Raumschiff" des deutschen Titels. Endlich kommt jener Einfallsreichtum zum Vorschein, der den frühen van Vogt auszeichnete. Er schert sich nicht oder nur scheinbar um physikalische Realitäten, sondern schildert fantasievoll Phänomene, die den Zustand der Überlichtgeschwindigkeit begleiten könnten.
Aus drei mach´ einen ...
Während der Leser diesen Teil der Geschichte als triviales aber unterhaltsames Spektakel genießt, mag er sich wundern, wie wenig das letzte Drittel zum Rest der Handlung passt. Schon die Begegnung mit der Roboter-Zivilisation stellt einen Bruch dar. In der Tat lesen wir mit "Das unheimliche Raumschiff" eine jener berühmten bzw. berüchtigten "fix-up-novels", in denen van Vogt ältere Kurzgeschichten kombinierte und durch neue Zwischentexte mehr oder weniger kunstvoll miteinander verleimte.
Für "Das unheimliche Raumschiff" vergriff er sich an "Centaurus II" (1947, kein dt. Titel), "The Expendables" (1963, dt. "Rebellion im Sternenschiff" bzw. "Die Entbehrlichen") und "Rogue Ship" (1950, auch: "The Twisted Man", dt. "Das verhexte Schiff"). Den zeitlich wie thematisch schlecht miteinander korrespondierenden Storys setzte er ein originalverfasstes Finale an, das allerdings an eine am Boden hastig zusammengedrehte Papiertüte erinnert, die ihren Inhalt nur notdürftig hält.
So bleibt "Das unheimliche Raumschiff" eher als Kuriosum denn als gelungener SF-Roman in Erinnerung. Van Vogt klebt einerseits an der Wunder-´Wissenschaft´ der "Goldenen Ära" dieses Genres, während er andererseits die durchaus erkannten Veränderungen nicht nachvollziehen kann. Eine "fix-up-novel" ist wohl nicht der richtige Schritt auf diesem Weg, aber van Vogt blieben zwanzig weitere Schriftsteller-Jahre, in denen er erschütternd überzeugend unter Beweis stellte, dass er noch wesentlich schlechtere Romane schreiben konnte.
A. E. van Vogt, Heyne
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