Ich bin Legende
- Heyne
- Erschienen: Januar 1963
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Der letzte Mensch auf einer Welt voller Feinde
Vor knapp einem halben Jahr wurde die Zivilisation ausgelöscht. Eine weltweit wütende Epidemie hat die Menschen in geistlose, blutgierige Vampire verwandelt, die im Schutz der Nacht durch die leeren Städte streifen. In New York scheint nur Robert Neville überlebt zu haben. Er hat sich in seinem Haus verbarrikadiert, denn die Vampire wissen von seiner Existenz. Allabendlich versammeln sie sich um Nevilles Festung und versuchen einzudringen, denn sie gieren nach seinem Blut. Außerdem wollen sie Rache, denn tagsüber, wenn sie hilflos in düsteren Verstecken liegen, macht Neville Jagd auf sie, um sie zu pfählen und zu töten.
Obwohl er sich seiner Haut zu wehren weiß, beginnt Neville unter dem Stress und der Einsamkeit zusammenzubrechen. In seiner Verzweiflung beginnt er sich abzulenken, indem er die Seuche zu entschlüsseln versucht. Viele Rückschläge machen ihm zu schaffen, aber allmählich erkennt er die Natur seiner Gegner. Kann er womöglich ein Gegenmittel entwickeln und die Vampire in Menschen zurückverwandeln?
Als seine Forschungen das theoretische Stadium verlassen, muss Neville sich unter den Vampiren nach geeigneten 'Versuchskaninchen' umschauen. Seine Aktivitäten bleiben keineswegs unbemerkt, denn nicht alle Untoten haben ihre Intelligenz verloren, und sie sind es Leid, sich jagen und töten zu lassen ...
Vampire: Ein Mythos wird 'Wirklichkeit'
Gestalt und Wesen des Vampirs waren seit 1897 quasi in Stein gemeißelt. Bram Stoker hatte in "Dracula" das 'Wissen' um die blutrünstigen Wiedergänger aus Jahrhunderten zusammengetragen und scheinbar das letzte Wort gesprochen. An seiner Darstellung orientierten sich die Autoren, die nach ihm Vampirgeschichten schrieben. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Erscheinung eines untoten transsilvanischen Edelmanns im Frack und samtrot gefütterten Umhang zunehmend anachronistisch. Zwei Weltkriege stellten nicht nur für Vampire eine Zäsur dar: Vor allem nach 1945 wurde auch das literarische Grauen ungeschminkt und schmutzig.
Richard Matheson versuchte Anfang der 1950er Jahre den Vampir-Mythos zu aktualisieren. Er war damit weder der erste noch der einzige Autor, aber er war so erfolgreich, dass "Ich bin Legende" zu einem Klassiker wurde, dessen Rang mit "Dracula" vergleichbar ist. Es mag blasphemisch klingen, doch Matheson ist womöglich der bessere Schriftsteller. Während Stokers Roman sich bei aller Unterhaltsamkeit als strukturschwach erweist, ist "Ich bin Legende" ein ökonomisch durchkomponiertes Werk ohne Abschweifungen und Ballast. 200 Seiten genügen Matheson, das gesteckte Ziel zu erreichen. Sogar Stephen King, der dem Mythos 1978 mit "Salem's Lot" (dt. "Brennen muss Salem") erneut neues Leben einhauchtet, benötigte mehr als den doppelten Seitenumfang.
Die Handlung ist spannend, obwohl Matheson anders als in den Verfilmungen von "Ich bin Legende" (s. u.) kein besonderes Gewicht auf die Darstellung einer verödeten, menschenleeren Welt legt. Das Geschehen spielt sich vor allem in und um Nevilles zur Festung umgebauten Haus ab. Geschickt bringt Matheson den Untergang der Menschheit in eingeschobenen Rückblicken zur Sprache. Diese bleiben Fragmente, aus denen sich der Leser sein eigenes Bild von den Ereignissen schaffen muss.
Große Mühe macht sich Matheson damit, den Vampir-Mythos 'wissenschaftlich' zu begründen. Er verhehlt dabei nicht die Schwierigkeit, möglicherweise biologische Aspekte - Blutdurst, Sonnenlicht-Phobie, relative Unverwundbarkeit - mit eher psychologischen Elementen - Angst vor dem Kreuz und vor Spiegeln, Tod durch Pfählen, Schlaf in Graberde - in Einklang zu bringen. Mit einigen Tricks gelingt es, doch stellt sich - typisch für Matheson - heraus, dass Neville seine Kenntnisse rein gar nichts nützen.
Mensch gegen Monster?
"Ich bin Legende" bleibt vor allem auch deshalb im Gedächtnis haften, weil die Vampire die meiste Zeit nur eine Nebenrolle spielen. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des letzten Menschen auf Erden. Auch das ist kein Sujet, das Matheson erfunden hätte; schon Mary W. Shelley, die den "Frankenstein" schuf, schrieb 1826 den Roman "The Last Man" (dt. "Verney, der letzte Mensch"). Die Leiden und Erlebnisse des Robert Neville wurden durch die ernüchternden Erfahrungen des II. Weltkriegs geprägt. Er droht nicht nur an der Einsamkeit zu zerbrechen: Ihn bedrückt auch die 'Schuld' des Überlebenden, der sich fragt, wieso gerade er verschont blieb.
Deutlich angesprochen wird auch der sexuelle Notstand. Er bringt Neville mehrfach in Situationen, die ihn ganz und gar nicht wie einen klassischen Helden wirken lassen; nicht umsonst betont der Verfasser seine seltsame Vorliebe für das Pfählen. Auch fragt sich sogar Neville selbst, wieso er für seine Untersuchungen und Versuche stets weibliche Vampire wählt.
Generell scheut Matheson nie davor zurück, die inneren Nöte Nevilles deutlich werden zu lassen. Er ist ein Mensch mit Schwächen, der sich der Herausforderung stellt, wenn und weil ihm keine Alternative bleibt. Das gelingt nur allmählich. Zunächst benimmt sich Neville zunehmend irrationaler, verfällt zeitweise dem Alkohol, zeigt selbstmörderische Tendenzen. Eine der anrührendsten Szenen zeigt ihn im unermüdlichen Versuch, die Freundschaft eines streunenden Hundes zu gewinnen. Sein Überlebenswille ist letztlich siegreich, aber Neville zahlt einen hohen Preis.
Wer ist das wahre Monster?
Mathesons Roman umfasst einen Zeitraum von drei Jahren. In dieser Spanne entwickelt sich Neville deutlich weiter. Er überwindet seine Trauer, seine Ängste und seine Einsamkeit, lernt sich mit seinen Seelennöten zu arrangieren. Scheinbar findet er seinen Frieden und seine Nische in der veränderten Welt. Tatsächlich ist dies seine größte Täuschung. Die Natur heilt sich selbst, was den Menschen einschließt. Neville verfügt nicht über die intellektuelle Potenzial, um zu erkennen, dass die Vampire die Zukunft der Menschheit darstellen, weil sie sich ebenfalls verändern, sich anpassen und den Grundstein einer neuen Zivilisation legen. Plötzlich ist Neville der Anachronismus - der 'Mensch', hat die Rolle des "Vampirs' eingenommen, der die Gemeinschaft heimsucht. Neville wird zur gefürchteten Legende, die dem Neubeginn im Weg steht: Dies ist das starke, weil konsequente, das übliche Happy-End aussparende Finale.
"Ich bin Legende" im Film
Obwohl Richard Matheson zu den Großmeistern der Phantastik gehört, wird sein Werk in Deutschland schmählich vernachlässigt; ein Schicksal, das er mit viel zu vielen anderen Autoren teilt. Seine klassischen Titel werden manchmal aufgelegt, wenn eine Neuverfilmung ansteht. Glücklicherweise ist das oft der Fall, da zumindest in den USA Mathesons Qualitäten als Erzähler spannender Geschichten mit Niveau gewürdigt wird.
"I am Legend" wurde bereits dreimal verfilmt. "The Last Man on Earth" war 1964 ein eher trashiger Streifen, inszeniert vom nicht weiter bekannt gewordenen italienischen Regisseur Ubaldo Ragona. Dieser Film kann durch die Besetzung der Hauptrolle mit dem wie üblich hervorragend aufspielenden Vincent Price einen gewissen Unterhaltungswert beanspruchen.
Das Remake von 1971 gehört zu den Klassikern des phantastischen Films: Charlton Heston spielte unter der Regie des Routiniers Boris Sagal den "Omega Man". Vor allem die grandiosen Szenen in einem menschenleeren New York blieben im Gedächtnis. Sie inspirierten sichtlich die Neuverfilmung von 2007, die einen in seiner Rolle nicht unbedingt bemerkenswerten Will Smith präsentierte und Tragik mit Pathos gleichsetzte, was beides offenkundig den Geschmack des aktuellen Publikums traf; "I Am Legend" gehörte zu den Blockbustern des Jahres und führte - hier schließt sich der Kreis auf erfreuliche Weise - zur Neuausgabe der gedruckten Vorlage.
Das Buch mit dem Bonus
"Ich bin Legende" ist nicht das übliche "Buch zum Film". Erfreulicherweise griff man für die Übersetzung auf die Fassung von 1995 zurück, die nicht nur den Roman, sondern zehn Kurzgeschichten enthält:
- Verborgene Talente ("Buried Talents", 1987), S. 208-217: Sein Leben lang hat der alte Mann auf dem Rummelplatz seine Kunden betrogen - jetzt legt er sich mit dem Falschen an ...
- Der unlängst Verschiedene ("The Near Departed"), 1987), S. 218-220: Ein umsichtiger Mörder regelt die Bestattung des Opfers, bevor er zur Tat schreitet ...
- Beute ("Prey", 1969), S. 221-239: Die dämonisch beseelte Puppe eines afrikanischen Jägers bringt erst Schrecken und dann Tod in eine amerikanische Durchschnittsfamilie ...
- Hexenkrieg ("Witch War", 1951/1979), S. 240-247: In einem zukünftigen Krieg werden die Schlachten unter Einsatz magischer Kräfte geschlagen ...
- Totentanz ("Dance of the Dead", 1954/1982), S. 248-269: Manche Zombies können tanzen, aber gewisse unschöne Angewohnheiten legen sie deshalb keineswegs ab ...
- Ein weißes Seidenkleid ("Dress of White Silk", 1951/1979), S. 270-276: Mama ist nicht ganz von dieser Welt, und ihre Tochter kommt sehr nach ihr ...
- Irrenhaus ("Mad House", 1952/1980), S. 277-323: Dieses Haus ist eine Batterie des Bösen, und sein Bewohner, ein Wüterich, lädt es auf - bis zum Bersten ...
- Die Bestattungsfeier ("The Funeral", 1955/1983), S. 324-336: Geschäft ist Geschäft, und so arbeitet Bestatter Silkline auch für Vampire und andere Kreaturen der Nacht ...
- Aus dem Schatten ("From Shadowed Places", 1960/1988), S. 337-368: Wer den Fluch eines bösartigen Zauberers zu brechen versucht, riskiert mehr als das eigene Leben ...
- Von Mensch zu Mensch ("Person to Person", 1989), S. 369-398: Ist es klug ein Gespräch entgegenzunehmen, wenn das Telefon nur in deinem Kopf existiert ...?
Sternstunden der modernen Phantastik
Diese Storys zeigen Matheson als professionellen Geschichtenerzähler, der sich wenig um Genregrenzen kümmert und dessen kurze Werke erstaunlich oft ein erstaunliches Niveau erreichen. "Der unlängst Verschiedene" und "Die Bestattungsfeier" sind strikt auf die Schlusspointe ausgerichtet - gelungene Späße, die auch heute noch ankommen. "Beute" und "Aus dem Schatten" bieten klassische Action voller Spannung und Tempo. Diese Storys sind zeitlos und werden immer ihre Leser finden, auch wenn sich über Mathesons Interpretation der weiblichen Psyche inzwischen eine ordentliche Staubschicht gelegt hat ...
Die verbleibenden sechs Geschichten sind kleine Meisterwerke des Mysteriösen. Sie lassen auch dem Laien deutlich werden, dass es ohne Richard Matheson womöglich keinen Stephen King geben würde. "Ein weißes Seidenkleid" oder "Von Mensch zu Mensch" klingen wie von King verfasst und sind doch schon vor vielen Jahrzehnten entstanden. Tatsächlich prägte Matheson ganze Generationen junger Schriftsteller, die genau erfassten, was sein Werk auszeichnet: Bemerkenswerte Ideen werden nicht von Figuren durchgespielt, sondern von Menschen aus Fleisch und Blut durchlebt und durchlitten.
Matheson beeindruckt durch seine Fähigkeit, Gefühle wie Angst, Zorn oder Verzweiflung förmlich greifbar werden zu lassen. "Irrenhaus" ist ein einziger Parforceritt durch Seele und Hirn eines haltlosen Cholerikers, der den eigenen Launen ebenso hilflos ausgeliefert ist wie seine Mitmenschen. Ähnlich genial ist "Von Mensch zu Mensch", wenn Matheson uns über die gesamte Distanz in derselben Angst und Unsicherheit schweben lässt wie seinen unglücklichen Protagonisten. "Hexenkrieg" lebt von dem Kontrast zwischen detailliert geschilderten Gräueln und den 'unschuldigen' Mädchen, die diese mit der unbekümmerten Grausamkeit ihrer Jugend entfesseln.
"Verborgene Talente" gehört zu denjenigen Geschichten, die ihre Leser ratlos zurücklassen und langes Nachdenken erfordern, um den Subtext zu entschlüsseln. Die endgültige Interpretation bleibt ihm überlassen. In "Totentanz" setzt Matheson trügerisch vordergründige Gruseleffekte ein und lässt den eigentlichen Schrecken fast zwischen den Zeilen verschwinden.
Klappt man dieses Buch nach der Lektüre zu, weiß man genau, wieso Richard Matheson in der Phantastik einen Spitzen- und Ehrenplatz einnimmt: als Schriftsteller und als Quelle der Inspiration für viele andere Autoren, die sein Werk studiert und verinnerlicht haben, um es fortzusetzen und weiterzuentwickeln.
Richard Matheson, Heyne
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