Esswood House

  • Edition Phantasia
  • Erschienen: Januar 2005
  • 1
Esswood House
Esswood House
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2006

Vor dem Horror im eigenen Kopf gibt's kein Entrinnen

Der US-amerikanische Universitätsprofessor William Standish ist in seinem Leben festgefahren. Die Karriere an einer Provinzuniversität stagniert, daheim wartet Jean, die hochschwangere, hysterische Gattin, welche ihn vor gar nicht langer Zeit betrogen hat. Da kommt das Angebot aus dem englischen Esswood House gerade recht: Standish wird eingeladen, in der Bibliothek des Treffpunkts berühmter Literaten und Poeten nach ungehobenen Schätzen zu suchen. Er arbeitet an einem Buch über seine Stiefgroßmutter Isobel Standish, eine unbekannt gebliebene Schriftstellerin des frühen 20. Jahrhunderts, um deren Schicksal sich ein Geheimnis rankt.

Esswood House ist seit jeher der Stammsitz der Seneschals, von denen es nur noch zwei überlebende Mitglieder gibt, welche seit Jahren nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten sind. Standish wird nach komplizierter Anreise von Robert Wall, dem Verwalter empfangen, einem mysteriösen Mann unbestimmbaren Alters. Er passt gut in die Atmosphäre von Esswood House, das sich als höchst merkwürdiges Anwesen erweist. Standish ist fasziniert von den Papieren, die er in der Bibliothek entdeckt. Andererseits mehren sich die Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt in Esswood House. Mehrfach findet er Hinweise darauf, dass sich außer ihm andere Besucher in dem großen Haus aufhalten, während Wall dies verneint. Die Seneschals bleiben unsichtbar. Seltsame Träume beginnen Standish heimzusuchen. Esswood House ergreift Besitz von ihm. Eine alte, sorgfältig verborgene Schuld wird Standish zum Verhängnis. Unbekannte Mächte verbünden sich mit den Dämonen seines eigenen Geistes. Sie ziehen Standish in eine Spirale, die ihn immer tiefer in den Bann von Esswood House zieht und in den Wahnsinn treibt…

Vom Horror der Orientierungslosigkeit

Der durchschnittliche Freund des schriftlich niedergelegten Grusels gilt der Kritik gern als recht konservativer Zeitgenosse. Angeblich hasst er (oder sie) ungelöst bleibende Rätsel, das Gespenst muss als solches klar zu identifizieren sein, zum Schluss triumphiert entweder das Böse oder löst sich in Staub auf. Sollten dies tatsächlich die maßgeblichen Kriterien sein, darf diese Rezension nur als Warnung verstanden werden – was allerdings schade wäre.

";Esswood House” basiert auf ";Mrs. God”, einer Novelle von Peter Straub, die er zum Roman erweiterte. Schon die Vorlage bot ganz und gar kein Musterbeispiel für eine geradlinige Handlung. Wie der Verfasser in seinem Nachwort anmerkt, schwebte ihm eine wahrlich phantastische Story vor, die keinen ";Sinn” ergeben, sondern eine Stimmung zwischen Wachen und Träumen, durchzogen von ständiger Unsicherheit, transportieren sollte. Das ist ihm fabelhaft gelungen. Zwar lässt sich durch Beachtung scheinbar unwichtiger Nebensächlichkeiten eine – wenn auch bizarre – Handlung rekonstruieren, die indes ohne innere Logik bleibt.

Der Schlüssel zu ";Esswood House” ist die Sinnfreiheit des ihm innewohnenden Rätsels. Wem das gar zu akademisch in den Ohren gellt, mag sich an Filme wie ";Vampyr” (1932; dt. ";Vampyr – Der Traum des Allan Gray”) und ";Alice ou la dernière fugue"; (1977; dt. ";Alice oder die letzte Flucht”) erinnern. Man muss die Suche nach einer Logik aufgeben, sich auf die Stimmung einlassen oder ";Esswood House” wenigstens als intellektuelles Spiel goutieren. Wenn das gelingt, ist das Erlebnis bemerkenswert, weil wir den festen Boden unter unseren Füßen aufgeben und uns ganz in die Hand des Erzählers begeben. Der muss auf der anderen Seite sein Handwerk verstehen, sonst macht sich bald Enttäuschung breit: der Weg von ";Blair Witch Project” zu ";Blair Witch 2";.

Peter Straub hält seine Geschichte souverän auf Kurs. Er ist nicht nur ein fabelhafter Schriftsteller, sondern kennt sich aus in der Literaturgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ein wenig kokett bezeichnet er ";Esswood House” als seine bescheidene Reverenz an Henry James oder Edith Wharton (bzw. Robert Aickman und – so meine ich – Thomas Ligotti). Er spielt damit auf eine Spielart des Horrors an, die von der strengen Kritik als ";literarisch” bezeichnet und gewürdigt wird: Das Grauen ersteht nicht in Gestalt von Wiedergängern oder Wanderleichen, sondern wächst in der menschlichen Seele heran. ";Esswood House” ist auch Studie des geistigen Verfalls eines Menschen, der eine alte Schuld sorgfältig unterdrückt hat und doch von ihr überwältigt wird. Es ist spannend zu beobachten, wie Straub den gar nicht übernatürlichen Wahnsinn in die Handlung einfließen lässt, bis er schließlich die Oberhand gewinnt.

Aber ist dies tatsächlich so? Als guter Autor gönnt uns Straub auch in dieser Frage keine sichere Antwort. Esswood House mag nur ein Konstrukt von Standishes Wahn sein. Das muss aber nicht unbedingt zutreffen. Womöglich ist es doch ein echter Ort leicht jenseits von Raum und Zeit, in dem es tatsächlich umgeht. Dennoch bleibt festzustellen, dass es immer wieder die ungelösten Krisen seiner Bewohner sind, die Esswood House in Aktion treten lassen.

Gefährliche Eruptionen der Seele

Konsequent versagt Straub seinen Lesern jegliche Identifikationsfigur. William Standish kann man bemitleiden, aber mögen wird man ihn nicht. Insofern verfolgen wir seinen Untergang mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die womöglich nicht in des Verfassers Absicht lag. Allerdings blieb ihm wohl keine Wahl: Niemand, der oder die in oder um Esswood House auftritt, ließe sich auch nur als annähernd ";normal” bezeichnen. Sie alle könnten Ausgeburten eines gestörten Geistes sein, was ihr Verhalten erklären würde. Als Geister wären sie sowieso entschuldigt, denn die dürfen sich seltsam benehmen.

Leider bleibt sich Straub nicht ganz treu. Es gibt einen Anlass für Standishes geistige Instabilität. Den muss man ganz und gar nicht ";zwischen den Zeilen ahnen”, wie der Verfasser im Nachwort meint. Der nie geborene Sohn geistert dort sogar recht aufdringlich umher. Der Geschichte wäre es vermutlich besser bekommen, hätte Straub auch auf diese ";Erklärung” verzichtet und Standish noch schwieriger nachvollziehbar in den Irrsinn abgleiten lassen. Nichtsdestotrotz ist ";Esswood House"; ein Leseabenteuer der ungewöhnlichen i. S. von nicht alltäglichen (= nicht Koontz, nicht Rice, nicht Hohlbein oder ein anderer Schreibautomat) Art.

Esswood House

Peter Straub, Edition Phantasia

Esswood House

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