Der Tanz in den Tod

  • Insel
  • Erschienen: Januar 1982
  • 2
Der Tanz in den Tod
Der Tanz in den Tod
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2006

Der Mensch trifft - mit unterschiedlichem Ergebnis - aufs Jenseits
  • Der Tanz in den Tod ("The Dance of Death", 1907), S. 7-18: Browne, ein unglücklicher Büroknecht mit ausgeprägter Herzschwäche, tanzt für sein Leben gern. Die schöne Issidy, das mysteriöse Mädchen in Grün, wird seine letzte Partnerin ...

  • Der Mann, den die Bäume liebten ("The Man Whom the Trees Loved", 1912), S. 19-97: Sein Leben lang hat der alte Bittacy Bäume geliebt; manchmal schienen sie ihm sogar lebendig. Dass sie außerdem mit eigener Intelligenz begabt, aber recht Besitz ergreifend sind, merken er und seine Gattin, als sie ein einsam gelegenes Landhaus am Rande eines großen Waldes beziehen ...

  • Durch die Wand ("The Case of Eavesdropping", 1906), S. 98-113: Der in Geldnöten steckende Jim Shorthouse stellt keine Fragen, als er sich in ein altes, düsteres Haus einmieten kann; schon bald erfährt er, wieso sein Zimmer so außerordentlich günstig ist ...

  • 'Rennender Wolf' ("Running Wolf", 1921), S. 114-134: Den passionierten Angler Malcolm Hyde zieht es in die kanadische Wildnis. Ein Freund hat ihm einen tollen Fanggrund verraten, ihm aber gleichzeitig eingeschärft, einen bestimmten Uferstrich unbedingt zu meiden. Doch Hyde gefällt es dort angekommen so gut, dass er die Warnung in den Wind schlägt ...

  • Der Mann, der Milligan war ("The Man Who Was Milligan", 1924), S. 135-146: Milligan ist fest davon überzeugt, nicht in der Realität, sondern in einem Bild zu leben. Er beauftragt einen Freund, es zu suchen, aber er hat nicht darüber nachgedacht, was geschehen wird, sollte sein Verdacht zutreffen ...

  • Der leere Ärmel ("The Empty Sleeve", 1921), S. 147-163: Zwei reiche Brüder sammeln alte Geigen, auf denen ein armer Musiker ihnen aufspielen muss. Dieser beherrscht aber auch die Schwarze Magie, was ihm zupass kommt, denn er hat ein begehrliches Auge auf die musikalischen Kostbarkeiten geworfen ...

  • 'Verbotener Weg' ("Ancient Lights", 1914), S. 164-170: Ein Angestellter des Landvermessungsamtes soll im ländlichen Sussex ein Grundstück besichtigen. Der Weg dorthin ist weit; als sich ihm eine Abkürzung zu bieten scheint, ignoriert er ein Verbotsschild - und gerät in ein Wäldchen, in dem noch die alten Götter & Geister das Sagen haben ...

  • Aussprache ("Confession", 1921), S 171-190: Im dichten Londoner Nebel gerät ein Frontsoldat auf Heimaturlaub in ein Eifersuchtsdrama, das auch der Tod nicht beenden konnte ...

  • Verfrühtes Ereignis ("Accessory Before the Fact", 1914), S. 191-198: Auf einer Wandertour erlebt ein Mann eine Vision, die eine zukünftige Bluttat vorweg nimmt ...

  • Ein Opfer der Vierten Dimension ("A Victim of Higher Space", 1914), S. 199-221: Dr. John Silence, "Physican Extraordinary", bekommt es in diesem neuen Fall mit einem genialen, aber recht verschrobenen Privatwissenschaftler zu tun, dem es gelungen ist, in eine der Realität übergelagerte Existenzebene vorzustoßen, die eine fatale Anziehungskraft ausübt ...

Geniale Varianten bekannter Ideen

Einmal mehr gewinnt Algernon Blackwood (1869-1951) 'seinen' Themen neue, spannende Seiten ab: das verwunschene Haus als Speicher für die unbewältigten Emotionen seiner Bewohner, der weniger böse als blindwütige oder orientierungslose Geist, die beseelte Natur und ihre spukhaften Inkarnationen.

Inhaltlich kann "Der Tanz in den Tod" also nicht mit Neuem aufwarten. Freilich erreicht Blackwood trotzdem ein Niveau, von dem die meisten seiner Schriftsteller-Kollegen nur träumen dürfen. Das trifft besonders auf die kurzen Geschichten zu; "Der Mann, der die Bäume liebte" beeindruckt zwar durch die Wortgewalt, mit der hier die gottgleiche Allgegenwart der Natur beschworen wird, leidet aber unter unter Blackwoods Zwang zur allzu detaillierten Erklärung und der gar zu didaktischen Abrechnung mit der etablierten Religion der Christenkirche, die Blackwood Zeit seines Lebens ein Dorn im Auge war.

Wesentlich besser ist dem Verfasser die Vermittlung einer Glaubenswelt, die nicht auf Furcht, Verboten und Strafen basiert, in "Der Tanz in den Tod" gelungen. Brownes Sterben ist kein Ende mit Schrecken, sondern ein Übergangs-Spektakel in Technicolor: Die Reise ins Jenseits ist bei Blackwood nicht zwangsläufig von Furcht und Schrecken begleitet; er betrachtet sie stets auch als (zugegebenermaßen etwas radikales) Angebot der Bewusstseinserweiterung, die mit ganz neuen, aufregenden Erkenntnissen belohnt wird.

Quicklebendige Bäume sowie Kobolde lernen wir auch in "Verbotener Weg" kennen. Der Vergnügen an dieser Geschichte ist aber ein rundum ungetrübtes, weil Blackwood sein Fabuliertalent in den Dienst einer milden, sehr gelungenen Geisterkomödie stellt. Sehr skurril, wenn nicht sogar surrealistisch gibt sich Blackwood mit "Der Mann, der Milligan war". Freilich wird deutlich, dass diese Story allein an der ungewöhnlichen Ausgangsidee hängt - als die Katze aus dem Sack ist, bleibt der Verfasser mit leeren Händen zurück und lässt einen recht gelangweilten deus ex machina das Drama beenden. "Aussprache" prunkt dagegen mit einem Finale, dass sich Hitchcock nicht besser hätte ausdenken können.

"Ein Opfer der Vierten Dimension" belegt, dass Blackwood sowohl die Werke von Sigmund Freud als auch die seines Schriftsteller-Kollegen H. G. Wells kannte. Hier verschmilzt er beider Anregungen zu einer 'psychologischen' Science Fiction-Geschichte sehr frühen Datums, die witzigerweise belegt, dass der Technobabbel nicht erst zu "Star Trek"-Zeiten erfunden wurde. Ansonsten gebärdet sich Dr. Silence, den Blackwood in einer ganzen Reihe von Kurzgeschichten und Novellen auftreten ließ, wieder einmal als arger Besserwisser. Er gehört eindeutig zu den weniger gelungenen Blackwood-Schöpfungen; für seine Konsultationen scheint er kein Honorar zu verlangen, aber er zwingt seine Klienten (und die Leserschaft) dazu, seinen endlosen pseudo-wissenschaftlichen Monologen zu lauschen.

Psychologisch kommt uns Blackwood auch in "Verfrühtes Ereignis". In der proto-esoterischen 'Lehre', die in den Jahren nach 1900 zu blühen begann, nahm die angeblich recht handfeste Vorahnung kommender Ereignisse breiten Raum ein, wobei natürlich Katastrophen aller Art besonders hoch im Kurs standen; praktisch jedes tragische Ereignis der Weltgeschichte ist nachträglich prophezeit worden, aber Blackwood nutzt den ganzen faulen Zauber immerhin für diese ganz kurze, aber gelungene Geschichte.

Alte und manchmal nicht angenehme Bekannte

Den famosen Shorthouse aus "Durch die Wand" haben wir schon in anderen okkulten Eskapaden erleben dürfen (vgl. "Gestohlenes Leben" und "Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York" in "Besuch von Drüben", Suhrkamp TB Nr. 2701/331 oder "Das leere Haus" in der gleichnamigen Suhrkamp-Sammlung, TB Nr. 1664/339). Man darf ihn wohl als Alter Ego des Verfassers verstehen, der Ende des 19. Jahrhunderts einige (magere) Jahre in den USA zubrachte und sich dort in vielen Jobs und tatsächlich auch als Reporter versucht hat. Viel Glück war ihm dabei allerdings nicht beschieden, sodass Blackwood schließlich nach England zurückkehrte.

Zuvor war er aber wie der unternehmungslustige Mr. Hyde aus "Rennender Wolf" gern in den kanadischen Wäldern unterwegs gewesen, in denen folgerichtig einige seiner (früheren) Gruselgeschichten spielen. Mit geisterhaften Indianern hatte es dort schon früher ein englischer Reisender zu tun bekommen (vgl. "Die Geisterinsel" in "Besuch von Drüben"), und siehe da: Es war eben dieser Morton, der aufgrund seiner Erfahrungen dem armen Hyde gegenüber vielleicht ein wenig deutlicher hätte werden sollen.

"Der leere Ärmel" zeigt eine weniger angenehme Seite Blackwoods. Nicht zum ersten Mal (vgl. "Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York" in "Besuch von Drüben") drängt er einen Juden in die Rolle des Bösewichts, wobei er plump die gängigen Vorurteile gegen die Angehörigen dieser Religion bedient. Auch sonst ist Blackwood über rassistischen Dünkel nicht erhaben. Die weniger glücklichen, d. h. nichtbritischen Bürger dieser Welt können nicht auf seine Unvoreingenommenheit hoffen. Hier präsentiert sich Blackwood ganz als der hochwohlgeborene Herzogssohn, der er tatsächlich war und in mancher Beziehung sein ganzes langes Leben blieb. Aber wo steht geschrieben, dass ein guter Unterhaltungskünstler zwangsläufig ein kluger oder wenigstens netter Mensch ist ...?

Der Tanz in den Tod

Algernon Blackwood, Insel

Der Tanz in den Tod

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