Die dunklen Fälle des Harry Dresden (1) - Sturmnacht

  • Blanvalet
  • Erschienen: November 2022
  • 10
Die dunklen Fälle des Harry Dresden (1) - Sturmnacht
Die dunklen Fälle des Harry Dresden (1) - Sturmnacht
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2006

Magier sind auch nur Menschen – und manchmal gute Detektive

Harry Dresden ist Privatdetektiv in Chicago – eine Stadt, die in einer parallelen Welt existiert, welche mit der unseren bis auf eine, allerdings gravierende Tatsache fast identisch ist: Zauberei gibt es hier wirklich, sie ist ein Teil des modernen Alltags. Auch Dresden ist kein "normaler” Ermittler, sondern ein leibhaftiger Magier. Mehr schlecht als recht schlägt er sich beruflich durch; meist engagieren ihn seine Kunden, um verlorene Wertgegenstände oder untergetauchte Ehemänner bzw. -frauen aufzuspüren. Gerade ist es die junge Monica Sells, die ihn deswegen angeheuert hat: Ihr Gatte Victor ist verschwunden, nachdem er sich in der letzten Zeit sehr intensiv mit magischen Praktiken beschäftigt hat.

Reine Routine, denkt Dresden, der deshalb noch einen weiteren Fall übernimmt. Die Kriminalpolizei beschäftigt ihn manchmal als Berater in Fällen, in denen offensichtlich Zauberei im Spiel ist. Karrin Murphy, Leiterin einer Sonderermittlungseinheit, führt ihn in das noble Madison-Hotel und an einen grausigen Tatort: Tommy Tomm, Leibwächter des Mafia-Bosses Johnny Marcone, wurde förmlich das Herz aus der Brust gerissen; ebenso starb die Edelprostituierte, mit der er sein Lotterbett teilte. Dresden erkennt die Handschrift eines "Kollegen”, der offensichtlich einen Fluch ausgesprochen hat – ein Verbrechen, das der "Weiße Rat”, dem sich alle Magier zu beugen haben, äußerst streng zu bestrafen pflegt.

So wird sich der Rat mit der Sache befassen. Freilich wissen nur Magier von seiner Existenz, und so soll es nach dem Willen des Rates bleiben. Dresden weiß das nur zu gut, denn er ist schon mehrfach mit dem Rat in Konflikt geraten und steht dort quasi unter Bewährung. Dennoch erklärt er sich bereit Murphy zu unterstützen. Damit fordert er nicht nur den Rat heraus: Marcone setzt sich mit ihm in Verbindung und fordert ihn auf sich herauszuhalten.

Nun steckt Dresden zwischen Hammer und Amboss. Und weil aller schlechten Dinge oft drei sind, muss er auch noch feststellen, dass es zwischen dem mörderischen Magier, dem brutalen Marcone und seiner Klientin Monica Sells gewisse Verbindungen gibt, die ihn endgültig zum Freiwild für Freunde und Feinde werden lassen. Mit Schusswaffen und Zauberei ist man hinter ihm her, Dämonen schickt man ihm auf den Hals, während Dresden verzweifelt versucht herauszufinden, wie er seinen Fall lösen und womöglich am Leben bleiben kann…

Nicht originell aber gut umgesetzt

Doppelt gemoppelt hält besser: Ein albern klingendes Sprichwort, das indes mehr Weisheit enthält als man zunächst annimmt. Die Unterhaltungsliteratur kennt Krimis und Horror-Thriller. Beide Genres sind beliebt. Was wäre also, wenn man sie kombiniert? Sie lassen sich verschmelzen, und das Ergebnis kann reizvoll ausfallen, auch wenn man es ansonsten – ein weiterer Anreiz für den Verfasser – an originellen Plotideen fehlen lässt: Im ungewöhnlichen Gewand wirkt halt auch das Bekannte anders.

Mord & Magie wurden natürlich schon vor Jim Butcher gemischt. Schon 1910 ließ William Hope Hodgson (1877-1918) "Carnacki the Ghost Finder” ermitteln. Zu nennen ist auch Randall Garrett (1927-1987), der seinen magischen Ermittler Lord Darcy ab 1966 in einer  alternativen Welt auf Gauner- und Dämonenjagd gehen ließ. In den USA der 1930er Jahre schickt Patricia N. Elrod den Vampir-Detektiv Jack Fleming auf Spurensuche. Film & Fernsehen betreiben den Genremix noch intensiver. Okkulte Detektive Helden erweisen sich als erstaunlich tauglich für Abenteuer gleich in Serie, und dieselbe Erfahrung konnte auch Jim Butcher mit seinen "Dresden-Files” machen, die er seit 2000 einmal jährlich auf den Buchmarkt bringt.

Die Originalität erschöpft sich bei nüchterner Betrachtung im Genre-Mix. Der erfahrene Krimi-Leser wird sehr schnell erkennen, wie der Plot-Hase läuft, während der Verfasser Harry Dresden ein wenig zu auffällig und lange im dunkeln tappen lässt. Nein, der eigentliche Reiz geht von der Eleganz und dem Witz aus, mit denen Butcher seine parallele Welt gestaltet. Er stellt Magie einerseits als alltägliches Element und andererseits als Talent dar, das keine Übermenschen schafft und strengen Regeln unterliegt. Zauberer müssen ihren Job erlernen, und manchen gelingt das besser als anderen. Butcher "erklärt”, wie Magie "funktioniert”, ohne dabei allzu sehr ins Detail zu gehen und sich dadurch zu blamieren. Er geht genauso so weit, wie er gehen darf, und so wirkt es durchaus plausibel, wenn Dresden und sein Schädelgeist Bob Liebes- oder Fluchttränke brauen, Zaubersprüche wahrlich magische (oder katastrophale) Folgen zeitigen oder ein Prostituiertenring von einer Vampirin geleitet wird.

Sehr hilfreich ist dabei Butchers Hang, seine Geschichte nicht wirklich Ernst zu nehmen. Er wandelt hier erfolgreich auf einem schmalen Grat: "Sturmnacht” erzählt eine Geschichte, die mit zahlreichen (gelungenen & weniger gelungenen) Gags und Anspielungen auf literarische und filmische Vorbilder angereichert wird. (Dafür gibt’s im Angelsächsischen den schönen Ausdruck "tongue-in-cheek”.) Die Leser werden spannend unterhalten und wissen doch jederzeit, dass genau dies und nichts anderes das Ziel des Verfassers ist. Richtig gruselig wird es nie, spannend aber oft, zumal Butcher immer einen Dreh findet, eigentlich "todsichere” Zaubersprüche spektakulär schiefgehen zu lassen.

"Sturmnacht” stellt als erster Teil einer Serie Weichen für die Fortsetzungen. Butcher hält sich mit Enthüllungen klug zurück, viele Fragen bleiben. Auch zukünftige Konflikte werden vorbereitet. Johnny Marcone oder seine neue Todfeindin, die Vampirfrau Bianca, werden Harry Dresden in späteren Episoden wieder zu schaffen machen.

Kein Held, sondern eine Hauptfigur, die gefällt

Zum Erfolg einer hoffentlich lang laufenden Reihe ist nicht nur eine tragfähige Handlung wichtig, sondern auch der Held, der sie bestreitet. Mit Harry Dresden ist Tom Butcher zweifellos das schwierige Kunststück gelungen ihn zu finden. Dabei geht er freilich gleich doppelt auf Nummer Sicher: Wie es sich für einen zünftigen Detektiv gehört, ist Dresden eine grundehrliche Haut und daher sowohl stets pleite als auch in Schwierigkeiten, wenn er erneut wider besseres Wissen einen Fall übernimmt, der ihm nur Ärger und wenig Einkommen bescheren wird. Er ist ein sympathisches Opfer seiner Rechtschaffenheit, die ihn zwingt die Partei der Schwächeren zu ergreifen: ein Sam Marlowe der Moderne – mit außergewöhnlichen Fähigkeiten freilich.

Aber auch als Magier steckt Dresden in Schwierigkeiten. Ohne eigenes Verschulden ist er mit dem mächtigen, sehr unflexiblen "Weißen Rat” aneinandergeraten, der ihn wegen der in Notwehr erfolgten Tötung eines bösartigen Zauberers fast hingerichtet hätte. Gerade ist Dresden noch davongekommen, doch seither sitzt ihm der Apparatschik Morgan im Nacken, der ihn im Auftrag des "Rates” überwacht und fatalerweise zu jenen gehört, die Dresden zu gern aus dem Verkehr ziehen würden.

Noch mehr Ungemach droht Dresden in der "realen” Welt. Als Berater der Polizei verdient er zwar Geld, doch er muss sich mit dem Misstrauen seiner nur "menschlichen” Kolleginnen und Kollegen auseinandersetzen, die verständlicherweise nervös werden angesichts eines Mitarbeiters, der ihre Gedanken lesen oder ihnen einen Eselkopf anhexen könnte. Sie wissen nicht vom "Weißen Rat”, was wiederum Dresdens Problem ist, denn er kann sogar der ihm grundsätzlich gewogenen Karrin Murphy nicht erklären, wieso er manchen magischen Weg bei polizeilichen Ermittlungen einfach nicht nehmen darf.

Auch sonst "stimmt" alles

Karrin Murphy sorgt für die Verbindung zwischen den Welten der Magie und der Menschen. Butcher schildert sie vielleicht ein wenig zu taff und in ihren Job verliebt, aber auch das mag zu seinem Spiel mit den Elementen des Genres zu gehören. Selbstverständlich gibt es darüber hinaus allerlei knorrig-abgebrühte Copfiguren, die den Außenseiter Dresden ihr Misstrauen deutlich spüren lassen, und einen chronisch unzufriedenen Polizeichef, dessen Arbeit sich offenbar darin erschöpft zu schimpfen und Druck zu machen.

Zu großer Form läuft Butcher auf, wenn er Dresden auf Bewohner der "anderen” Welt treffen lässt. Luftgeist Bob, der in einem Schädel wohnt, wurde bereits erwähnt. Gut charakterisiert als Verkörperung der Lust und des Grauens ist die Vampirin Bianca. Für den erwünschten Leserärger sorgt Dresdens Nemesis, der humorlose Ratsknecht Morgan. Ansonsten sind auch Dämonen oder Elfen nur Menschen; Dresden geht mit großer Selbstverständlichkeit mit ihnen um, weil sie berechenbar und im Grunde nicht wirklich "übernatürlich” sind. Auch im Jenseits wird nur mit Wasser gekocht. Trotzdem gibt es Unwägbarkeiten genug, die immer wieder für jene Überraschungen sorgen, die Harry Dresden zur Freude seiner zahlreichen Fans zu einem weiteren Auftritt zwingen.

Die dunklen Fälle des Harry Dresden (1) - Sturmnacht

Jim Butcher, Blanvalet

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