Fahrenheit 451
- Diogenes
- Erschienen: Januar 1955
- 22
Beklemmende Vision von brennenden Büchern
Die Zensur, Beschlagnahme oder gar Verbrennung von Büchern hat es in der Geschichte schon häufiger gegeben. Allerdings ging es da immer um die Werke ideologisch oder rassistisch verfemter Autoren. In Fahrenheit 451 wird der Horror noch gesteigert, denn die Geschichte spielt in einem Staat, in dem es als schweres Verbrechen gilt, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. Die Feuerwehr hat in diesem System nicht die Aufgabe, Brände zu löschen, sondern sie spürt illegale Bücher und ganze Bibliotheken auf, um sie unter Einsatz von Kerosin bei 451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt - zu vernichten.
Guy Montag ist Feuerwehrmann und der Held dieser beklemmenden Geschichte. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er die Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und verbrennen. Die Bürger werden von der politischen Führung abhängig, anonym und unmündig gehalten. Drogen, Freizeitparks und Videowände sorgen für permanente Unterhaltung, selbstständiges Denken gilt dagegen als gefährlich. Und Bücher gelten als Hauptgrund für ein nicht systemkonformes Denken und Handeln. Montag funktioniert scheinbar kritiklos in diesem System, heimlich hat er jedoch einige gestohlene Bücher in seinem Haus versteckt. Durch die fast 17-jährige Clarisse lernt er Dinge kennen, die ihm bisher unbekannt waren - die Kunst der Worte, den Wert freien Denkens und die Schönheit der Natur.
Bei einem der Feuerwehr-Einsätze begeht eine alte Frau Selbstmord, indem sie sich mit ihren Büchern verbrennen lässt. Traumatisiert bleibt Montag der Arbeit fern. Sein Vorgesetzter, Captain Beatty, belehrt ihn daraufhin über die Ursprünge der herrschenden Verhältnisse: Die Ablehnung von Literatur, Kultur und selbstständigem Denken wurde demnach den Bürgern nicht von der Regierung aufgezwungen, sondern entsprang gesellschaftlichen Veränderungen, die nach einer Nivellierung des allgemeinen Niveaus und staatlicher Zensur strebten. Montag will jedoch eigene Erfahrungen machen und überredet seine Frau, mit ihm zusammen zu lesen. Mildred reagiert abweisend, fühlt sich in ihrer gewohnten Aktivität gestört. Die Situation eskaliert, als Montag seiner Frau und ihren Freundinnen etwas vorliest.
Beängstigend und eindrucksvoll
"Fahrenheit 451" wird gerne in einer Reihe mit George Orwells "1984" und der "Schönen neuen Welt" von Aldous Huxley genannt. In allen drei Werken geht es zwar um einen Unterdrückungsstaat, aber es gibt gravierende Unterschiede. Während sich Orwell und Huxley auf die totalitären Systeme von Faschismus und Kommunismus bezogen, beschreibt Bradbury kein konkretes Gesellschaftssystem. Und in einem Interview hat er einmal geäußert, dass es ihm nicht um den totalitären Staat ging, sondern um die Gefahr, dass Bücher vom immer stärker konsumierten Fernsehen verdrängt werden. Wenn man berücksichtigt, dass die Novelle "Der Feuerwehrmann" und die Weiterentwicklung "Fahrenheit 451" am Beginn der 50er Jahre geschrieben wurden, hat der Autor damit eine bemerkenswerte visionäre Kraft gezeigt. Es wäre spannend, zu erfahren, was er über die umfassende Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts denkt.
Das Buch lebt nicht so sehr von der Spannung und dem Fortgang der Geschichte, sondern eher von der inhaltlichen Aussage. Zudem ist es in der Sprache der 50er Jahre geschrieben, für heutige Leser also mitunter eine gewöhnungsbedürftige Lektüre. Dennoch ist dieser Klassiker der Science Fiction ein bemerkenswertes Buch. Bradburys Beschreibung der gedankenlosen Freizeitindustrie, der plappernden Videowände und des Verteufelns von geistiger Auseinandersetzung - für die Bücher nur ein Vehikel sind - ist beängstigend und eindrucksvoll zugleich. Die geschilderte Vorstellung, dass jemand sein Leben aufs Spiel setzt, um Bücher zu besitzen und zu lesen, zeigt deutlich, von welchen Ängsten die Menschen in der Zeit des aufkommenden Fernsehens geprägt waren. Welche Rolle die auslaufende McCarthy-Ära für Bradbury spielte, lässt sich aus dem Buch nur ansatzweise herauslesen. Die brutale Unterdrückung Andersdenkender durch die Feuerwehr im Buch scheint darauf hinzudeuten, dass Bradbury der Hexenjagd in den USA kritisch gegenüber stand.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Fahrenheit 451 ist keine leichte Kost. Wer hier Action-reiche SF erwartet, liegt ziemlich falsch. Aber die Lektüre dieses nachdenklich machenden Klassikers lohnt sich aus den geschilderten Gründen allemal.
Ray Bradbury, Diogenes
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