Harte Landung
- Heyne
- Erschienen: Januar 1998
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Die Aliens sind unter uns – na und?
Shoreview ist eine Vorstadt der Metropole Chicago im US-Staat Illinois. Der typische Bürger verbringt hier seine Freizeit; gearbeitet wird in der City, die man mit der Bahn erreicht. Zehntausende fahren morgens nach Chicago und abends zurück nach Shoreview. Da ist es leicht, anonym zu bleiben, und das war offensichtlich wichtig für den Mann, der sich Neville Unruh Sealman nannte und nun auf den Schienen des Vorortzuges zu Tode gekommen ist.
”Mann” ist indes kaum die richtige Bezeichnung für den unglücklichen Mr. Sealman, gehört er doch tatsächlich zur Besatzung eines außerirdischen Raumschiffs, das vor knapp einem Vierteljahrhundert während eines Routinefluges havarierte und auf der Erde notlanden musste. Ohne Hoffnung auf Rettung gestrandet, begannen die vier Überlebenden mit dem Versuch, sich in die Gesellschaft der Menschen zu integrieren. Die (fast) vollständige körperliche Übereinstimmung der Fremden mit ihren ";Gastgebern” ist dabei natürlich eine wertvolle Hilfe.
Weil Außerirdische auch nur Menschen sind, die abgesehen von ihrer Herkunft ganz ”normale” Zeitgenossen sind und so gar nichts von Tentakel schwenkenden Invasoren an sich haben, werden sie mit dem Leben in der Verbannung unterschiedlich gut fertig. Mancher hat sich sogar verheiratet, während andere sich vor Entdeckung fürchten oder unter bitterem Heimweh leiden, was sie ihre Tarnung vernachlässigen lässt. Sealman ist durch einen Unfall während einer Auseinandersetzung mit seinem Leidensgefährten Mullica umgekommen. Nachdem jüngst das Wrack des Raumschiffes gefunden wurde, hatte Sealman die drohende Entlarvung befürchtet und die Nerven verloren.
Dabei ist die Tarnung der Aliens bereits Stunden nach der Notlandung aufgeflogen. Der skrupellose Pilot Ditlo Ravashan hat sich ohne Wissen seiner Kameraden der US-Regierung zu erkennen gegeben. Mit einem ebenso gerissenen jungen Kongressabgeordneten schloss er einen Pakt: ";Yankee”, so sein Deckname, würde ihn vor den Behörden und besonders vor dem Militär abschirmen, Ravashan dem Menschen im Gegenzug verschaffen, was dieser sich sehnlicher als alles Andere wünscht: Geld, um sich politische Macht zu erkaufen. Gemeinsam hat das seltsame Duo in den vergangenen Jahrzehnten unauffällig Patente für einige kleinere, ";Erfindungen” angemeldet, die nicht von dieser Welt stammen und die beiden ungleichen Spießgesellen zu schwerreichen Männern werden ließen. ";Yankee” wird es bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bringen, während Ravashan ein Leben in Luxus und Dekadenz führt – bis er an einer seltsamen Immunschwäche stirbt, die sich auf der Erde nicht behandeln lässt, sich aber durchaus auf den Menschen übertragen lässt…
Ungewöhnlicher Roman eines ebensolchen Mannes
Algis Budrys ist ein Name, der – erkennt man ihn über dem Titel eines neuen Science Fiction-Romans – dem deutschen Leser, der sich ein bisschen im Genre auskennt, unwillkürlich ein ”Was, der lebt noch?” durch den Kopf schießen lässt, denn Budrys ist hierzulande als Schriftsteller immer ein wenig stiefmütterlich behandelt worden. Er schrieb selten die leicht konsumierbare und dadurch gut zu verkaufende SF eines Robert A. Heinlein oder Isaac Asimov. Jene Titel, die noch am ehesten in diese Richtung gehen, lassen sich zu seinem Frühwerk zählen. Sie haben sich dem Publikum nicht dauerhaft ins Gedächtnis gesetzt – mit einer Ausnahme vielleicht: Budrys Story ”Who?” (1959), die Geschichte eines amerikanischen Atomphysikers, der während einer Reise durch die Sowjetunion verunglückt, mit viel Metall und Plastik zusammengeflickt werden muss und nach seiner Rückkehr in die USA von den misstrauischen Behörden prompt als kommunistisch verseuchter Maschinenmensch-Spion verdächtigt wird, war sehr erfolgreich, wurde später zu einem Roman ausgebaut und 1974 auch verfilmt. (In Deutschland trägt der Streifen den schönen Titel ";Der Mann aus Metall”; in den Nachtprogrammen wird er des Nachts manchmal versendet.)
Aber Algirdas Jonas Budrys, geboren am 9. Januar 1931 als Sohn litauischer Eltern in Ostpreußen und erst im Alter von fünf Jahren in die USA übergesiedelt, ist ein fleißiger Mann, dessen SF-Karriere bereits 1952 begann. Doch sein schriftstellerisches Werk blieb leider schmal, und die Abstände, in denen Titel aus seiner Feder erschienen, wurden immer größer.
Nicht, dass Budrys untätig geblieben wäre. Als Kritiker und Herausgeber war und ist er in der SF-Szene seit Jahrzehnten sogar sehr aktiv. Allerdings ist das nicht durchweg ein Grund zur Freude, hält sich Budrys doch schon lange im Dunstkreis der ”Scientology”-Sekte auf, wo er – angeblich völlig unabhängig von allen pseudoreligiösen Aktivitäten – u. a. seit 1987 den ”L. Ron Hubbard Presents Writers of the Future”-Wettbewerb zur Förderung von SF-Nachwuchs-Autoren betreut.
In ”Harte Landung” lassen sich indes keine Missionierungsversuche feststellen. Statt dessen erleben wir einen SF-Roman, wie er selten geworden ist: basierend auf einer nicht unbedingt neuen, aber geschickt variierten Idee, entwickelt in einer spannenden, immer wieder überraschenden Handlung, die auf vordergründige Action weitgehend verzichten kann, und nach 190 Seiten zu einem überzeugenden Ende kommend, statt in einem der heute üblichen Drei-, Vier- oder Zehnteiler ausgewalzt zu werden.
Erzählt wird die typische Budrys-Geschichte von Menschen (oder halt Aliens), die in eine lebensbedrohliche Situation geraten und unter Druck versuchen müssen, nicht nur zu überleben, sondern dabei ihre Menschlichkeit zu bewahren. In diesem Fall stellt sich nicht die Notlandung als eigentlicher Prüfstein heraus, sondern das Bemühen, mit den Erdmenschen auszukommen, die sich als wesentlich hartgesottener als ihre Besucher erweisen.
ET-Jedermänner, von der Situation leicht überfordert
Die vier Außerirdischen entsprechen so gar nicht dem Bild, das sich der SF-Leser gemeinhin von Besuchern aus dem All macht. Statt geistig und technisch hoch gerüsteter Botschafter erscheinen zur Routinekontrolle eines kleinen, abseits der üblichen Raumschiff-Routen gelegenen Planeten einige Streckenposten, die nur an den Feierabend denken und sich nicht gerade grün sind. Als ihr klappriges Dienstfahrzeug eine Motorpanne hat, drehen sie ratlos das Handbuch für Notfälle in den Händen, versuchen sich krampfhaft an ein paar lang zurückliegende und halb verdöste Schulungsstunden zu erinnern und machen sich schließlich mit flatternden Nerven daran, sich auf ihrer Insel voller Wilder, genannt Menschen, notdürftig einzurichten.
Denn an Rettung von außen (bzw. oben) ist nicht zu denken. Budrys lässt einen der Fremden die Gründe auflisten – und entlarvt gleichzeitig höchst überzeugend und mit Witz den Unsinn angeblicher Landungen von und Entführungen durch UFOs, mit dem psychisch derangierte Zeitgenossen im letzten halben Jahrhundert den Medien über manche Sauregurkenzeit geholfen haben.
Nur einer wählt eine Abkürzung. Ein besonders hübscher Einfall Budrys lässt ihn den Weg eines ehrgeizigen Politikers kreuzen, der sich bald als der noch junge Richard ";Tricky Dick"; Nixon entpuppt, ein idealer Verbündeter für einen verschlagenen Marsmenschen, der im irdischen Exil die Puppen tanzen lassen möchte. Dass er dabei seinen ahnungslosen Gastgebern die AIDS-Pest beschert, ist ein weiterer sarkastischer Geistesblitz Budrys, der sich damit über die schwachsinnige ";Theorie” lustig macht, die Immunschwäche sei von Außerirdischen eingeschleppt worden. Immerhin verabschiedet sich der todkranke Fremde, von seinem inzwischen zum Präsidenten aufgestiegenen Kumpanen als wertlos abgeschoben, mit Stil, indem er den Watergate-Skandal anzettelt…
";Harte Landung” ist kein Roman mit durchgehender Handlung. Budrys scheut nicht davor zurück, seine Leser ausschließlich mit fiktiven Zeugenaussagen, Auszügen aus Geheimdienst-Berichten, Tagebuch-Einträgen, Aktennotizen, Protokollen, Zeitungsartikeln etc. zu konfrontieren, die für sich keinen Sinn ergeben, doch in ihrer Gesamtheit eine heimliche, aber unfreiwillige ”Invasion” aus dem All ahnen lassen. Der Leser muss dieses Bild freilich aus den Mosaiksteinen, die ihm Budrys liefert, selbst zusammensetzen – ein reizvolles Spiel mit literarischen Möglichkeiten, die deutlich machen, welche Mühe sich ein Autor machen hat: ”Harte Landung” ist kein flüchtig dahingesudeltes Machwerk, sondern bei (oder wegen?) aller Kürze ein eigenständiges, dichtes und originelles Opus. Budrys Vexierspiel blieb in der deutschen Übersetzung erfreulicherweise erhalten. Frank Borsch gelingt es vor allem in den eingeschobenen ”Dokumenten”, den Tonfall amtlicher Sachlichkeit zu treffen, was sehr zur Glaubwürdigkeit dieser Passagen beiträgt.
Algis Budrys, Heyne
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