Elfen, Trolle und ein eisiges Land
Wer hätte das gedacht, der zweite Band von Bernhard Hennens Elfen-Trilogie geht einen großen Schritt zurück in der Zeit. Viele Leser hatten sicherlich auf eine Fortsetzung der Geschichte der ihnen ans Herz gewachsenen Helden Nuramon und Farodin gehofft, doch dieser Band schenkt ihnen einen würdigen Dritten im Bunde: Ollowain, den Schwertmeister der Königin. Viele Jahre schon sind Farodin, Nuramon und Mandred auf ihrer Suche nach Noroelle im Netz der Albenpfade verschollen, doch das Leben steht auch in Albenmark nicht still und Intrigen in den eigenen Reihen von enormer Tragweite könnten auch Farodins und Nuramons Mission zunichte machen.
Ein wirklich furioser Auftakt: jemand trachtet der Elfenkönigin Emerelle nach dem Leben. Die Königin steht kurz vor ihrer Wiederwahl als Herrscherin aller Albenkinder in Albenmark, doch das ist nicht unumstritten. Andere Herrschaftshäuser streben nach der Macht und sehen ihre einzige Chance darin, die noch immer beliebte Herrscherin gewaltsam zu stürzen. Ihr Schwertmeister steht vor der fast unmöglichen Aufgabe, sie innerhalb der Massen zu beschützen, welche nach Vahan Calyd gekommen sind, um dem Lichterfest und Emerelles erneuter Inthronisation beizuwohnen. Und Emerelle trifft die nach seiner Meinung wahnwitzigste Entscheidung: sie will sich den Albenkindern zeigen, in einer offenen Sänfte. Ollowains Befürchtungen sind nicht unbegründet, es kommt zu einem Attentat auf Emerelle und Chaos bricht aus in Vahan Calyd. Denn offenbar war der Übergriff nur das Signal für eine riesige, unbekannte Seestreitmacht, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.
Auftritt Menschen und Trolle
Trolle auf See? Das mag keiner der Elfen und ihrer Verbündeten so recht glauben. Es heißt, Trolle meiden voller Angst das Wasser, denn durch ihre Massigkeit gehen sie unter wie die Steine, aus denen sie der Sage nach geschaffen wurden. Und doch ist die unbekannte Seestreitmacht der Auftakt des großen Krieges der Trolle und Elfen. So treffen wir auch alte Bekannte aus dem ersten Band hier wieder: Skanga, die mächtige Schamanin der Trolle und Orgrim, den späteren Herzog und genialen Heerführer, zu diesem Zeitpunkt noch kleiner Rudelführer und Objekt der Abscheu seines Königs.
Ollowain setzt wiederum alles daran, die beim Attentat verletzte Königin in Sicherheit zu bringen. Eine halsbrecherische Flucht mit den unwahrscheinlichsten Verbündeten führt sie schließlich zu einem Albenstern. Von dort an den sichersten Platz, der Ollowain noch bleibt: die Welt der Menschen.
Dort ist Alfadas, der bei den Elfen erzogene Sohn des Mandred, mittlerweile Jarl von Firnstayn geworden und hat mit Asla eine Familie gegründet. Sein Ruf als sagenumwobener ‚Halbelf‘ und Heerführer von geradezu unheimlichem Erfolg ist dem alt gewordenen König der Fjordländer jedoch ein Dorn im Auge. Folglich werden auch hier Intrigen in Gang gesetzt und König Horsa nutzt geschickt die Ankunft der bewußtlosen Elfenkönigin, um Alfadas und hunderte Menschenkrieger auf eine Selbstmordmission zu schicken, in den Krieg gegen die weit überlegenen Trolle. So wird die Familie schließlich getrennt, und auch Asla muss sich im vermeintlich sicheren Fjordland Gefahren stellen, die sie an ihre Grenzen führen werden.
Ein Albenstern aus Schicksalspfaden
Das ist der Ausgangspunkt aller sich kreuzenden Schicksalspfade in diesem Band. Was Bernhard Hennen daraus macht? Wieder einmal eine Geschichte, die ihr Tempo und ihre Vielfalt bis zum Schluss aufrecht erhält, mit einer Vielzahl von Helden und Hauptpersonen, wobei jeder Charakter mit so viel Persönlichkeit ausgestattet wird, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt.
Nicht nur die Elfen und Menschen werden mit glaubwürdiger Persönlichkeit ausgestattet, auch über die Trolle erfährt man, dass diese nicht die blutrünstigen Bestien sind, für die sie von ihren Gegnern gehalten werden. Die Perspektive des Romans wechselt zwischen den Schauplätzen hin und her, und so lernen wir auch die Trolle aus deren eigenem Blickwinkel kennen. Hier findet sich wieder das Prinzip, das bei Bernhard Hennen so gut funktioniert: gut oder böse sind Taten, aber keine Völker. Heldenfiguren sind in seinen Romanen folglich auch keine Helden, weil sie sich einem Prinzip unterwerfen oder dogmatisch ‚das Gute‘ verteidigen, sondern weil sie in all ihren Konflikten versuchen, ihre Aufrichtigkeit und ihr Mitgefühl nicht zu verlieren. Und zu überleben.
Neben den großen Schauplätzen der Schlachten und Intrigen versteht es dieser Autor auch immer wieder, die Beziehungen zwischen den einzelnen Charakteren detailreich zu gestalten. Natürlich liegt viel Motivation der ‚großen‘, übergreifenden Handlung im Bereich der familiären und freundschaftlichen Bande. Darüber hinaus entsteht durch diese Einblicke in die Privatheit der Personen auch die einzigartige Tiefe der erzählten Persönlichkeiten. Als Beispiel kann hier die Beziehung zwischen Ollowain und seinem ihm entfremdeten Vater stehen. Hennen baut eine komplexe Schicht von Verletzungen, Enttäuschungen und Konflikten zwischen den beiden auf. Es sind dabei keine wirklich ungewöhnlichen Beziehungen oder Konflikte, nichts, was man nicht schon aus anderen Romanen kennt. Gerade familiäre Konflikte sind sicherlich ‚Brot und Butter‘ fast jeder dramatischen Handlung. Und doch, oder gerade wegen dieser sehr gut ausgearbeiteten, aber vertrauten Strukturen erlebt der Leser die Charaktere des Romans als so lebendig.
Auch in ‚Elfenwinter‘ schafft es Hennen erneut, seinen wunderbaren, bildhaften Erzählstil zu Höchstleistungen zu bringen. Er ist wahrhaftig ein Meister des ‚Kopf-Kinos‘ - wenn sich beispielsweise in einer entscheidenden Schlacht hunderte Elfen aus ihren Verstecken unter dem Schnee erheben oder die vor den Trollen flüchtenden Menschen in ihrer Verzweiflung den tollkühnen Plan fassen, absichtlich eine Lawine auszulösen, dann ist die Erzählweise so zwingend, dass man sich den Bildern im Kopf für lange Zeit nicht mehr entziehen kann und beim Lesen die Gänsehaut vorprogrammiert ist.
Bernhard Hennen, Heyne
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