Seelen in der großen Maschine
- Klett-Cotta
- Erschienen: Januar 2006
- 3
In der Maschine dienen
Australien im 40. Jahrhundert: Ein Kontinent ohne Elektrizität, geteilt in die Herrschaftsbereiche diverser Stadtstaaten und geknechtet vom mysteriösen Ruf, der regelmäßig alle Menschen und größeren Säugetiere in den sicheren Tod lockt. Und der nächste Große Winter kündigt sich an.
Mehr als 1.600 Jahre nach der atomaren Apokalypse mühen sich die Menschen immer noch, die Fesseln abzuwerfen, die sie sich selbst angelegt haben. Die Zivilisation bewegt sich technisch auf dem Stand des frühen 19. Jahrhunderts, und damit das so bleibt, haben Wissenschaftler früherer Zeiten Nanotech-Satelliten in die Erdumlaufbahn geschickt. mittels elektromagnetischer Impulskanonen verhindern diese jegliche Verwendung von Elektrizität bereits im Ansatz. Der nächste, künstlich ausgelöste Große Winter soll eine erneute Erderwärmung unterbinden.
Da in den zurückliegenden Jahrhunderten immens viel Wissen verloren gegangen ist, bietet nur die Religion Erklärungen für diese Phänomene – Christen, Moslems und die orthodoxen Gentheisten sind überzeugt, dass der Ruf eine Prüfung Gottes ist. Zarvora Cybeline, frisch ernannte Hoheliber von Rochester und somit Leiterin der größten und wichtigsten Bibliothek der bekannten Welt, verfolgt jedoch einen logischen Ansatz. Die ebenso brillante wie rücksichtslose Mathematikerin will die Menschheit vor einem erneuten Niedergang bewahren und baut den Kalkulor, einen gigantischen Computer aus menschlichen Komponenten.
Der Kalkulor optimiert bald die Galeerenzug-Fahrpläne, den Licht-Funkverkehr und kontrolliert die Finanzen der Stadt – mit der Folge, dass Wirtschaft und Infrastruktur in den angeschlossenen Stadtstaaten zum Nutzen aller deutlich produktiver und effizienter werden, der Wohlstand wächst. Doch für die visionäre Zarvora ist das nur Mittel zum Zweck, sie plant Größeres. Ihr Ziel ist nicht nur die Macht über alle Stadtstaaten, sie will auch die Satelliten zerstören, dem Ruf Einhalt gebieten und den nächsten Großen Winter verhindern, auch mit Hilfe verbotener Technologie.
Verwickelt in dieses Spiel aus Wissenschaft und Macht sind zudem die Nachwuchsbibliothekarin Lemorel Milderellen und John Glasken. Der hochintelligenten Lemorel mangelt ebenfalls es nicht an Rücksichtslosigkeit und Geltungsbewusstsein, eine Kombination, die sie zu einer messianischen Militärführerin im Stile eines Lawrence of Arabia werden lässt. Glasken hingegen debütiert als Weiberheld und Gauner, bevor er auf Lemorels Betreiben für Jahre in den Kalkulordienst gesteckt wird. Doch ihm gelingt die Flucht, und seine Rolle bei der Erforschung des Rufes verdankt er seiner unbändigen Libido.
Kreativ mit Charakterschwächen
Diese Geschichte ist energetisch, fantasievoll, spannend. Sie ist vollgepackt mit Action und Abenteuern, sie bietet ausgesprochen gute Unterhaltung und sie ist komplex sowie wunderbar ausgearbeitet. Das macht Sean McMullens Idee von einer Post-Doomsday-Zivilisation, die über menschliche Computer, aber keine Elektrizität verfügt, plausibel. Das Buch steckt voller glaubwürdiger Details über Kultur, Wirtschaft und Politik der Stadtstaaten-Gesellschaft, doch weitaus faszinierender ist der Technik-Entwurf von Human-Kalkuloren, Ruf-Zeitschaltern und Galeerenzügen.
";Seelen in der großen Maschine"; erfordert viel Aufmerksamkeit vom Leser, denn neben der facettenreichen Requisitenausstattung verlangt die verschachtelte Handlung permanentes Mitdenken. Dabei führt der Autor zwar mit sicherer Hand durch die Kapitel, doch bei der Ausgestaltung der Hauptfiguren hat sie an einigen Stellen eher gekleckst als mit Schönschrift geschrieben. So ist nicht ganz nachvollziehbar, wie aus der harten Zarvora eine liebende Ehefrau, aus der zwischenmenschlich ungeschickten Lemorel eine fanatische Kriegerin und aus dem selbstsüchtigen John Glasken ein verantwortungsvoller Staatsdiener wird.
Dennoch: Große Unterhaltung, innovative und kreative Spekulation. Ein Schmöker im besten Sinne, auf dessen zweiten Teil die deutschen Leser jedoch noch über ein Jahr warten müssen.
Sean McMullen, Klett-Cotta
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