Göttin der Wüste
- Heyne
- Erschienen: Januar 1999
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Ein unheimlicher Roman mit Atmosphäre
Vielschreiber Kai Meyer liefert zwar jedes Jahr verlässlich neue fantastische Bücher, aber ";Göttin der Wüste"; ist ";nur"; eine Neuauflage, die jetzt im Taschenbuchformat bei Bastei Lübbe erschienen ist. Es ist ";ein unheimlicher Roman"; wie das endlich wirklich sehr schön und passend gestaltete Cover verspricht. Warum geht es?
Geheimnisvolles Afrika der Vergangenheit
Die junge Bremerin Cendrine Muck reist 1903 nach Südwestafrika, um eine Stellung als Gouvernante und Lehrerin im Haus der Familie Kaskaden anzutreten. Zu Beginn scheinen sich ihre Hoffnungen auf eine gute Stellung und eine neue Heimat zu bestätigen, auch wenn ihr die unterschiedlichen Einstellungen der Familienmitglieder den Eingeborenen gegenüber Kopfzerbrechen bereitet. Aber gerade als sie sich heimischer fühlt, gerät ihr neues Leben aus den Fugen. Denn sie selbst scheint zunehmend durch die Mythen und Geheimnisse des Landes beeinflusst: Ein Termitenhügel erwacht zum Leben, auf dem Haus scheint ein Fluch zu liegen und sie selbst wird durch beängstigend echt wirkende Träume geplagt. Als sie sich auf eine Reise in das Zentrum der Kalahari begibt werden ihre neuerwachten Schamanen-fähigkeiten auf die Probe gestellt.
Meyer wählt gern historische Hintergründe und kombiniert sie gekonnt mit fantastischen oder unheimlichen Elementen. Den geschichtlichen Rahmen bildet diesmal die wahre Geschichte von Deutsch-Südwest zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Konflikte entstanden damals naturgemäß zwischen den weißen ";Herren";, die sich als Besitzer des Landes und der Eingeborenen sahen und der ursprünglichen Bevölkerung: den Buschmännern San und den Herero. Diese gipfelten in dem Herero-Aufstand, der grauenhaft von den deutschen Schutztruppen niedergeschlagen wurde und bei dem der Großteil der Herero in der Wüste umkam.
Auch wenn Kai Meyer selbst nie in Afrika war, wie er freimütig zugibt, wird der Leser in den Bann der fremden Landschaft und seiner Bewohner gezogen. Die Hitze und die erbarmungslose Wüste erscheinen allgegenwärtig. Mit feinen Pinselstrichen erschafft Meyer eine faszinierende und gleichzeitig bedrohliche Welt. Auch die Figuren werden gut ausgestaltet. Die Hauptfigur Cendrine wirkt sehr real, genau wie die herrische Mutter Madeleine, ihre erwachsenen, so unterschiedlichen Söhne Adrian und Valerian und die weit jüngeren Zwillinge Salome und Lucrecia. (Leser, die die Zwillinge aus ";Die Unsterbliche"; von Meyer kennen, treffen sie hier als Kinder wieder).
Schamanismus und biblische Figuren
Die in sich geschlossene Welt der Wüste und Buschmänner ist besonders in der ersten Hälfte voller Mythen, Geheimnisse und Andeutungen. Mit Cendrine zusammen lernt man viel und weiß lange nicht, wer ist Freund, wer Feind? Wie so oft in Meyers Büchern wandeln sich auch diesmal positiv besetzte Charaktere und Personen widerum, denen man zuerst nicht über den Weg traut, werden zu verlässlichen Freunden. Auch der geheimnisvolle Schamane Qabbo, die Legende einer weißen Göttin und Schöpfungsmythen der Bibel, die bis in die Gegenwart wirken geben Rätsel auf. Die Grundlage für eine unheimliche Geschichte legt Meyer gekonnt und voller Spannung.
Allerdings erfüllt das Buch nicht genauso gekonnt zum Ende hin die Erwartungen. Zum einen ist die Entwicklung der Hauptfigur Cendrine dann nicht länger glaubhaft wie zu Beginn. Im ganzen Buch erscheint sie sehr modern und selbständig - besonders für ihre Zeit, aber das dunkle Geheimnis, was ihren Bruder und sie umgibt kaufe ich Meyer schlichtweg nicht ab. Das ist konstruiert und sinnlose Effekthascherei. Cendrines Entwicklung zur Schamanin ist leider recht stereotyp angelegt komplett mit Visionen, Geistreise und Gedankenlesen. Auch sind zu viele Personen in ";Göttin der Wüste"; telepathisch begabt, was Cendrines Gabe zu beliebig macht. Das hätte Kai Meyer fantasievoller und origineller lösen können. Man weiß ja, er kann es wenn er will!
Bilder, die im Kopf bleiben
Meyer hat ein Händchen für mystische Bilder, an die man sich wie an außergewönlich gelungene Fotos lange erinnert. Auch diesmal hat er wunderbare Szenen geschaffen: Die Schaufensterpuppe im Laden, deren wächsernes Gesicht in der Hitze langsam zur Fratze zerfließt, das Duo eines verfluchten Mannes, der von einem Wirbelsturm begleitet durch die Wüste irrt und der versteinerte Lebensbaum inmitten einer Höhle. Respekt! Personen und Schöpfungsgeschichten der Bibel, afrikanische Mythen und reale Geschehnisse werden mutig und mit Geschick kombiniert. Aber die Geschichte selbst hakt hier und da und wirkt besonders am Ende um diese starken Bilder herumgestrickt. Die einzelnen Hinweise, Elemente und sehr guten Ideen verbinden sich leider nicht zu einem logischen, funktionierenden Ganzen, sondern bleiben teilweise zusammenhanglos in der heißen Wüstenluft hängen.
Aber trotzdem, es ist ein spannendes Abenteuerbuch, das einen in eine ferne Welt führt, gut zu lesen ist, gewürzt mit Spannung und exotisch mythischen Aspekten. Und nicht jedes seiner Bücher kann schließlich Meyers bestes sein.
Kai Meyer, Heyne
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