Der Stern der Pandora
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 2006
- 5
Eine Space Opera, die alles hat
Manche Menschen haben merkwürdige Hobbies. Da räumt jemand allen Krimskrams aus seinem dunklen Keller und schließt sich dann Abende lang dort ein. Eine große Arbeitsplatte wird angeschafft, darauf dann künstliche Gebirgswelten angelegt. Mit kleinen Kunststoffbäumen und -sträuchern die Landschaft verziert, künstlicher Schotter ausgelegt. Hinzu kommen Ortschaften aus Miniaturgebäuden und winzige Figuren, mit detailgenauer Kleidung und einmaligen Gesichtszügen. Zum Schluss werden dann die Gleise verlegt und beinahe ehrfürchtig die Lok auf ihre Jungfernfahrt geschickt. Zeitverschwendung finden Sie? Auch der Amerikaner Peter Hamilton hat eine merkwürdige Passion: Er denkt sich Science-Fiction-Geschichten aus.
Eine gefährliche Entdeckung
Dudley Bose ist Professor für Astronomie auf dem entlegenen Planeten Gralmond. Der unscheinbare Mann in den Vierzigern, mit leichtem Bauchansatz und Schlabberlook, ist alles andere als ein Karrieremensch. Seine Ehe ist längst im alltäglichen Trott festgefahren. Für Forschungsgelder muss Dudley ständig kämpfen. Als er jedoch eines Nachts eine überraschende Entdeckung macht, wittert Dudley seine große Chance: Vom einen auf den anderen Moment verschwinden zwei benachbarte Sterne vom nächtlichen Himmel - eine wissenschaftliche Sensation! Das Verschwinden der Sterne, die fortan als Dyson Paar bekannt werden, ist nur durch das Eingreifen einer machtvollen Intelligenz zu erklären. Einer Intelligenz, der die Menschheit bei ihrer Expansion ins All bisher noch nicht begegnet ist.
Die Sensationsnachricht macht im weitverzweigten interstellaren Commonwealth schnell die Runde. Im 24. Jahrhundert hat sich die Menschheit mittels Sternentoren im All ausgebreitet. Die Portale verbinden durch ein Wurmloch weit entfernte Punkte miteinander, doch ihre Reichweite ist begrenzt. In die Nähe des Dyson Paares kann man mit einem Portal nicht gelangen. Um hinter das Geheimnis der Sterne zu kommen, muss eigens für diese Mission ein Raumschiff gebaut werden. Denn längst werden keine Raumschiffe mehr für Reisen benutzt. Und während der Bau der "Second Chance" beginnt, führen die Lebenswege unterschiedlicher Persönlichkeiten sie an Bord des hochmodernen Schiffes.
Weltenschöpfer
750 Seiten stark ist "Der Stern der Pandora". Der zweite Roman "Die Boten des Unheils" umfasst noch einmal knapp 700 Seiten. Die Originalausgabe, die im deutschen auf diese beiden Bände geteilt wurde, ist also weit über 1000 Seiten stark. Wie kommt es, dass ausgerechnet Hamilton solch monumentale Space-Opera-Schmöker schreiben darf, wenn viele seiner Kollegen sich auf Bücher um die fünfhundert Seiten beschränken müssen? Zum einen mag das an der cleveren Kapiteleinteilung dieses Buches liegen. Hamilton beginnt nicht etwa zehn Handlungsstränge, denen er sporadisch immer mal wieder einen Besuch abstattet, die Geschichte aber ein ums andere Mal unbeendet lässt. Gerade die ersten Kapitel des Buches lesen sich wie abgeschlossene kleine Geschichten. Die Buchabschnitte haben einen klaren Anfang, Mittelteil und einen logischen Schluss. Zusätzlich führt Hamilton weitere Handlungsebenen ein, die er konsequent vorantreibt. Während sich ein Mordfall noch in diesem Band aufklärt, vereinen sich die Handlungsstränge in "Der Stern der Pandora" spät. Der bestens durchdachte und mit Spannungsbögen gespickte Aufbau sorgt dafür, dass niemals Langeweile aufkommt.
Hinzu kommt der fantastische Stil des Autors. Zwar kommt Hamilton meist mit einem nüchternen Erzählstil aus, den er mit vielen anderen Hard-SF-Autoren gemeinsam hat, wenn es aber sinnvoll ist, kann der Autor auch sehr eindringlich schreiben. Der halsbrecherische Flug eines Gleiters durch die verschiedenen Atmosphärenschichten eines Planeten wird unter Hamiltons Feder zu einem atemberaubenden Abenteuer, an dem der Leser gefesselt teilnimmt. Hamilton spricht alle Sinne des Lesers an - der Begriff "Kopfkino" allein wird dem nicht gerecht. Dem einen oder anderen mag das langatmig erscheinen. Die "Großen" des Genres, zu denen Hamilton zweifellos zählt, setzen ausführliche Weltbeschreibungen jedoch sehr bewusst ein: Seinen zweiten "Endymion"-Band z.B. beginnt Dan Simmons mit einer sehr ausführlichen Beschreibung einer Gebirgswelt. Was sich anfangs etwas anstrengend liest, erweist sich jedoch, wenn diese faszinierende Welt plötzlich zerstört wird, als ein meisterhafter Kunstgriff: Nur mit Mühe und Not kann der Leser sich eine Träne verkneifen. Mehr kann ein Autor kaum erreichen.
Was ist "Der Stern der Pandora"? Eine Space Opera? Ein ambitionierter Zukunftsroman? Ein Thriller oder doch eher eine Abenteuergeschichte? Im Grunde von allem etwas. Hamilton gelingt wieder einmal die Verknüpfung all dieser Genres mit seiner differenzierten Erzähltechnik und beeindruckender Detailfülle. Dieser Roman stellt eine umfassende Erzählung mit dichter Atmosphäre und einer durchweg glaubwürdigen Weltenschöpfung dar. Dabei wirkt die Commonwealth-Saga insgesamt ernster als der oft verspielte und mit kuriosen Charakteren ausgestattete Armageddon-Zyklus. Auch die Charaktere des "Commonwealth" decken ein breites Spektrum der Gesellschaft ab, haben tiefe, aber keine so ausgeprägten Eigenschaften, wie einige der Figuren anderer Werke des Autors. Hamilton vermittelt seinen Lesern das Gefühl, an etwas Bedeutungsvollen teilzunehmen. In der heutigen schnelllebigen Wegwerfgesellschaft haben seine monumentalen Space Operas einen besonderen Platz im Regal verdient.
Peter F. Hamilton, Bastei-Lübbe
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