Die unbekannte Macht
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 2000
- 5
Der Auftakt zur Night's Dawn Trilogie bzw. Armageddon Zyklus - Unterhaltssame, moderne Space Opera
Der 1960 in der englischen Grafschaft Rutland geborene Peter F. Hamilton legte den vorliegenden Roman "The Reality Dysfunction" 1996 als Auftaktband seiner "Night's Dawn"-Trilogie vor. Die deutsche Ausgabe erfolgte wegen des Umfangs der Originalausgabe in zwei Bänden: "Die unbekannte Macht" (Teil 1) und "Fehlfunktion" (Teil 2). Insgesamt erschien die Trilogie in Deutschland in sechs Bänden als ´Armageddon Zyklus´.
"Hamilton bringt die britische Sci-Fi zurück auf die Überholspur", jubelte damals die britische Times. Allgemein waren "The Reality Dysfunction" und die Fortsetzungen "The Neutronium Alchimist" sowie "The Naked God" gleichermaßen bei Kritikern und Lesern ein Riesenerfolg und begründeten Hamiltons Reputation als Erneuerer des lange totgesagten Subgenres der Space Opera.
"The Reality Dysfunction" ist mit mehr als 1.200 Seiten in der britischen Originalausgabe ein äußerst monumentales und vor allem langes Werk. Nichts für Freunde dünner Bücher und kurzer Romane.
Entwurf einer eigenen Future History
Wir befinden uns ungefähr im Jahr 2600 nach Christus. In unserer Galaxis hat sich die Menschheit auf ca. 900 besiedelte Planeten ausgebreitet. Tendenz steigend. Ein Konglomerat von mehr oder weniger demokratischen Republiken, Königreichen und Diktaturen mit ihren Kolonien. Seit 2227 lose vereint in einer Konföderation, die sich im Wesentlichen auf Verteidigung, Polizeiwesen und einen gewissen Gesetzesrahmen beschränkt, ohne in die Autonomie der einzelnen Mitglieder näher einzugreifen.
Hamilton entwickelte für diesen epochalen Entwurf eine eigene Future History (als Zeitachse dem Roman als Anhang beigefügt), die die Entwicklung der Menschheit vom Jahr 2020 bis zum Jahr 2600 beschreibt - also bis zum eigentlichen Beginn der Romanhandlung. Dieser Zukunftsentwurf ist durchaus überzeugend, sowohl in soziologisch-kultureller wie auch naturwissenschaftlich-technischer Hinsicht.
Da gibt es lebende Raumschiffe, Voidhawks, entwickelt von den Edenisten, deren Spezialität die Gentechnologie, insbesondere die Verschmelzung von menschlichen Genen und biologisch - technischem Schnickschnack ist. Edenisten repräsentieren den Teil der Menschheit, der sich der Gentechnologie mit allem was dazu gehört, verschrieb. Nanotechnologie ermöglicht das direkte Interface zwischen menschlichem Gehirn und Computern. Gigantische Raumstationen (Habitate) in Form von Zylindern mit künstlichen Landschaften an der Zylinder - Innenseite sind die Wohnwelten der Edenisten. Demgegenüber sind die Adamisten der eher traditionelle Teil der zukünftigen Menschheit. Sie lehnen Genmanipulation ab - nicht zuletzt aufgrund moralisch religiöser Werte. Es besteht jedoch eine friedliche Koexistenz zwischen Edenisten und Adamisten.
Dieses gigantische - sagen wir mal: Sternenreich ist der Schauplatz der Geschichte. Planeten und Monde aller Größen - Erdähnliche, Gasriesen, Wüstenplaneten, Wasser- und Eiswelten. Sonnen aller Farben - gelbe, rote und auch weiße. Ein schwarzes Loch hier und da.
Unbekannte Macht dringt in Dschungelwelt vor
Alles wäre prima, gäbe es da nicht diese Vorkommnisse auf dem Planeten Lacombe. Eine ursprüngliche Welt, bestehend aus Wasser und Dschungelkontinenten, die gerade erst in den Anfängen der Besiedelung steckt. Eine Frontier Welt sozusagen. Hier manifestiert sich eine geheimnisvolle extraterrestrische Lebensform, die dafür sorgt, dass die Kolonisten nach und nach von denen Seelen Verstorbener übernommen werden. Sie verwandeln sich in Zombie-ähnliche Wesen, die offenbar von der extraterrestrischen Lebensform gesteuert werden und auf außerordentlich brutale Art und Weise Jagd auf die verbliebenen "normalen" Menschen machen. Am Ende des Romans werden sich diese Verwandelten bereits auf andere Planeten der Konföderation ausgebreitet haben, da es seine Zeit braucht, bis die Bedrohung überhaupt in ihrer Tragweite erst als solche erkannt wird.
Hamilton erzählt diese Invasionsstory anhand von vielen Charakteren und Episoden, die allesamt spannend, gruselig und glaubhaft sind. Der Held ist Joshua Calvert, junger Eigentümer und Kapitän des frisierten Handelsraumschiffs Lady Macbeth. Joshua ist ein Han Solo Typ, ein kluger, sympathischer Abenteurer, der vielleicht nur eine Schwäche hat - die spezielle für Frauen.
Eine mordene Space Opera - mit Horror Elementen
Die Space Opera ist innerhalb der SF ein sozusagen kontaminiertes Gelände. Sie hatte ihre Blütezeit in den 1930er und 1940er Jahren und Autoren wie die Amerikaner E.E. ´Doc´ Smith mit seiner Lensmen Serie oder Edmond Hamilton mit Captain Future verpassten ihr das Image der Trivialität. Aufrechte Amerikaner befreien die Galaxis von chloratmendem Gewürm. Ein Image, das auch heute noch, nach Star Trek, Star Wars oder auch Perry Rhodan weiterhin besteht.
Im Vergleich zu den älteren Werken der amerikanischen SF ist Hamiltons Werk ein deutlicher Fortschritt. Es gibt jede Menge Sense of Wonder und einige Horror-Elemente, aber eben auch einen überzeugenden Zukunftsentwurf und glaubhafte Charaktere - bis in die Nebenfiguren hinein. "The Reality Dysfunction" ist eine erwachsene und moderne Space Opera. Erwachsen auch, was den Umgang mit Gewalt und Sexualität betrifft. An beiden herrscht kein Mangel.
Dramaturgisch gelingt es Hamilton sehr gut, diese lange und auch komplexe Geschichte mit vielen parallelen Handlungssträngen ohne Längen zu komponieren. Die Spannung steigt von Anfang bis zum Ende. Einen Abschluss gibt es freilich nicht, schließlich handelt es sich um den ersten Band einer Trilogie.
Ein Vergleich mit literarisch ambitionierteren SF Werken (eines J.G. Ballard zum Beispiel) wäre sicher vermessen. Gleichwohl ist Hamiltons "The Reality Dysfunction gute Unterhaltung" und macht Lust auf die Fortsetzungen.
Peter F. Hamilton, Bastei-Lübbe
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