Der Hammer Gottes

  • Heyne
  • Erschienen: Februar 2014
  • 1
Der Hammer Gottes
Der Hammer Gottes
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2023

Zwischen Hammer und Dummheit

In den frühen Jahren des 22. Jahrhunderts nähert sich ein Asteroid der Erde. Es stellt sich heraus, dass er den Planeten treffen wird. Der daraufhin nach der indischen Todesgöttin Kali benannte Himmelskörper ist so groß und schwer, dass die Folgen dieses Aufpralls das irdische Leben, sicher aber die menschliche Zivilisation auslöschen würde.

Obwohl Mond und Mars inzwischen kolonisiert wurden, ist eine milliardenfache Flucht dorthin illusorisch. Stattdessen wird das halb vergessene Projekt „Spaceguard“ reaktiviert: Die durch das Sonnensystem streifenden Asteroiden und Kometen werden seit vielen Jahrzehnten kartiert, die aktive Verhinderung eines Einschlags auf der Erde ist zumindest vorbereitet. Das Raumschiff „Goliath“ wurde konstruiert, um kosmische Vagabunden anzufliegen und mit Hilfe überstarker Triebwerke vom verhängnisvollen Erdkurs abzudrängen.

Unter dem Kommando von Kapitän Robert Singh beginnt die aufwändige Vorbereitung des Unternehmens. Die Chancen stehen nicht schlecht, doch man wird sabotiert: Der „Chrislam“, eine christlich-islamische Sekte (!) betrachtet Kali als Instrument Gottes. ER soll entscheiden, ob der Asteroid die Erde treffen und die sündige Menschheit strafen wird! Das der Welt aufgezwungene Schicksal scheint besiegelt, aber die Wissenschaftler an Bord der „Goliath“ schmieden fieberhaft einen neuen Plan, um die Apokalypse zu verhindern ...

Genese einer Idee

Wie Autor Arthur C. Clarke (1917-2008) in einem ausführlichen Nachwort erläutert, war es eine Kurzgeschichte, die zum Kern dieses Romans wurde. 1992 bat ihn das US-amerikanische Magazin „Time“ um einen Beitrag. Clarke griff ein reales Programm auf, das in diesem Jahr startete und die Kartierung womöglich gefährlich werdender Himmelskörper als Ziel hatte; schließlich hatte er einen solchen Dienst 1973 für seinen Roman „Rendezvous with Rama“ (dt. „Rendezvous mit 31/439“ bzw. „Rendezvous mit Rama“) selbst erfunden. Also beschrieb er in „Beyond the Year 2000“ die Bedrohung der Erde durch einen marodierenden Asteroiden.

Die Story fand viele Leser. Darunter befanden sich namhafte Wissenschaftler, die Clarkes Ruhm als SF-Altmeister (und Mit-Autor des Filmklassikers „2001 - Odyssee im Weltraum“) nutzen wollten, um bei skeptischen Politikern u. a. Pfennigfuchsern und Realitätsverdrängern für die Wichtigkeit der viele Jahre beanspruchenden Kartierungs-Mission zu werben. Auf diesem Ohr war Clarke, ein Verfechter des Fortschritts durch Wissen, nie taub. Ohnehin hatte er ausführlich über das Thema recherchiert und sah den Nukleus einer längeren Geschichte, die er allerdings nicht selbst schreiben wollte.

Der ‚späte‘ Arthur C. Clarke sah sich als Ideengeber und Informationslieferant. Obwohl er gesundheitlich angeschlagen war, führte dies zu einer wahren Flut von Publikationen, auf denen Clarkes Namen stets groß auf Cover und Rücken zu lesen war. Erst der genaue Blick enthüllte den jeweiligen Co-Autoren, der Clarkes Input in einen Roman verwandelt hatte. In unserem Fall war es der Vielschreiber Mike McQuay (1949-1995), der trotz seines frühen Todes eine Literaturliste von beachtlicher Länge hinterließ.

Alltag als Abenteuer

McQuay war nicht als Genre-Schwergewicht bekannt. Er schrieb abenteuerliche Serien und Romane zu Filmen. Neben Clarke griff er Isaac Asimov schriftstellerisch unter die Arme, als auch dieser die Ausarbeitung entworfener Welten - hier die „Robot-City“-Serie - anderen Autoren überließ. Doch Clarke war entweder aktiver als sonst, oder er überarbeitete das gemeinsame Manuskript intensiv. Jedenfalls erinnert „Der Hammer Gottes“ deutlicher als manches andere Spätwerk an den ‚früheren‘ Clarke, der einen Plot gern als Aufhänger nutzte, um seine sorgfältig erdachten, auf die Basis der jeweils zeitgenössischen wissenschaftlichen Erkenntnisse gestellten Visionen der Zukunft zu entwickeln.

Der Clarke-Kenner fühlt sich vor allem an „Imperial Earth“ (1976: dt. „Makenzie kehrt zur Erde heim“) erinnert. Hier wie dort setzt der Autor seine Hauptfigur als „Wegweiser“ durch eine Handlung ein, die auch ein Panorama der Erde von Morgen ist. Dies bedingt - jedenfalls aus heutiger Sicht - eine gemächliche Gangart. Ideen-SF beschränkt sich heute meist auf die Erschaffung hektisch in Szene gesetzter digitaler Wunder und Schrecken. Clarke ging weiter. Obwohl ihn Kritiker gern einen „Technokraten“ nannten, ging er über die Schilderung unterhaltsamer Hightech weit hinaus. Kali, „Der Hammer Gottes“, wirkt manchmal wie ein „MacGuffin“ - ein Vorwand, der das Geschehen in Gang setzt und hält, sich aber lange im Hintergrund hält.

Die Handlung setzt viele Jahre vor der Krise ein und beschreibt den Werdegang von Robert Singh, den Clarke ausdrücklich nicht als Helden charakterisiert. Singh ist ein Mensch seiner Zeit, die ihn prägt und beruflich wie privat auf Wege führt, die sich in erster Linie durch die Errungenschaften einer Zukunft erschließen. Er ist kein Außenseiter, kein Rebell, sondern ein vorbildlicher Mr. Jedermann, der etwas aus seinem Leben macht, aber stets Teil der Gesellschaft sowie unauffällig bleibt: Bis zur „Kali“-Expedition gründet sich Singhs ‚Ruhm‘ auf einen vor Jahren siegreich absolvierten Mond-Marathonlauf. Die Zukunft benötigt keine Helden, sondern Menschen, die sich Herausforderungen stellen und Lösungen finden.

Der Mensch lernt dazu, aber klüger wird er nicht

Während Kali sich zielgerade der Erde nähert, mäandriert die Vorgeschichte eher voran. Immer wieder schweift der Verfasser ab, um zu skizzieren, wie sich die Welt zwischen 2000 und ‚heute‘ entwickelt hat. Clarke ist einerseits optimistisch, prophezeit eine ‚Welt-Regierung‘, die Überwindung des Hungers, der Umweltzerstörung und des Ungleichgewichts zwischen reichen und armen Erdstaaten. Andererseits bleibt Clarke Realist. Die neue Welt krankt an neuen Problemen. Mond und Mars wehren sich gegen den kolonialen Griff der Erde. Nicht gelöst werden konnten ‚transzentrale‘ Konflikte.

Clarke spitzt dies - ein wenig parodistisch - zu, indem er für den Beinahe-Untergang der Erde eine Gruppe religiöser Fanatiker verantwortlich macht, die er ausgerechnet als Schnittmenge zwischen Christentum und Islam schildert. Diese beiden Religionen stehen stellvertretend für unzählige Gräuel, die „im Namen Gottes“ verübt wurden. Der freie Geist hinkt nach Clarke auch zukünftig Wissenschaft und Technik hinterher. Die Schlussfolgerung ist plausibel, doch ihr wohl angedachter Warneffekt leidet unter der Beiläufigkeit, die sich angesichts des Füllhorns von Ideen, das Clarke quasi wahllos ausschüttet, zwangsläufig leiden muss.

Fazit:

Die Geschichte einer drohenden Apokalypse ist nur Teil eines Panoramas, das den Alltag der Menschheit im 22. Jahrhundert ausmalt. Politische, aber auch gesellschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Entwicklungen werden auf der Basis schon vorhandener Grundlagen extrapoliert; ein nicht ‚linear‘, sondern ‚thematisch progressiv‘ konzipierter Roman, der seine scheinbaren Abschweifungen durch (meist) kluge oder wenigstens interessante Ideen wettmacht.

Der Hammer Gottes

Mike McQuay, Arthur C. Clarke, Heyne

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