Einer von 300

  • Heyne
  • Erschienen: Juli 1970
  • 0
Einer von 300
Einer von 300
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2025

Höllenfahrt zur ungastlichen Rettungsinsel

Als die Sonne ihrem System plötzlich einzuheizen beginnt, steht für die Menschheit die Apokalypse bevor. In der kurzen Zeit vor dem Untergang werden verzweifelte Maßnahmen eingeleitet, um so viele Menschen wie möglich auf den Nachbarplaneten umzusiedeln; dort wird das Leben hart, aber wenigstens weiterhin möglich sein.

Fieberhaft baut man überall auf dem Globus 700000 Raumschiffe. Wer wird an Bord dürfen? Milliarden Menschen sind dem Tod geweiht, um die wenigen Plätze könnte ein erbitterter Krieg ausbrechen, in dessen Verlauf besagte Raumschiffe womöglich zerstört würden.

Also einigt man sich auf ein ‚Auswahlsystem‘: Die zukünftigen Piloten der Rettungsschiffe sollen je zehn Männer, Frauen und Kinder benennen; dies entspricht etwa einer Quote von 1 : 300. Erst kurz vor dem Start wird man den Kandidaten Bescheid geben, um einen panischen Amoklauf auf die Startplätze zu vermeiden.

In einer US-Kleinstadt ist es Leutnant William Easson, der zum Herrn über Leben und Tod wurde. Er hasst diese Verantwortung, denn man versucht sich seiner Unterstützung durch Bitten, Gewalt oder Sex zu versichern. Außerdem weiß Easson um ein brisantes Geheimnis: Niemals wird man in so kurzer Zeit 700000 auf ihre Tauglichkeit getestete Raketen starten können!

Der Großteil der Flotte wird den Mars nicht erreichen - und das von Easson gesteuerte Raumschiff gehört zu den Verlierern des Wettlaufs. Er will sich und seine Begleiter trotzdem retten. Dies erfordert ein Umdenken und den Bruch mit Gesetzen und Werten; eine Herausforderung, der nicht alle an Bord gewachsen sind ...

Wenn’s nicht die Kommunisten sind ...

Dass die Welt untergeht, gehörte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Repertoire der Science Fiction. Schon früher war dies zwar mehrfach, aber eben nicht mit der nun üblichen Regelmäßigkeit geschehen. Deutlich hatte der globale Konflikt gezeigt, wie nahe der Untergang der Zivilisation tatsächlich war. Nach 1945 schob sich das atomare Wettrüsten in den Vordergrund. Zwei erzfeindliche Systeme belauerten einander und horteten Waffen, die entfesselt das Leben von diesem Planeten tilgen konnten. (Erst viel später kam die wankende Ökologie als potenziell tödlicher Faktor hinzu.)

J. T. McIntosh setzt nicht auf eine von Menschen verursachte Katastrophe. Die Sonne wird zum Ausrottungsfaktor, aber die Ursache ist nebensächlich. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf zahlenmäßig übersichtliche Gruppen - erst in einer US-amerikanischen Kleinstadt, dann an Bord eines kleinen Raumschiffs, zuletzt auf dem Mars. Diese Männer und Frauen stehen stellvertretend für die Menschheit.

In dieser Eigenschaft lässt sie McIntosh (mahnend bzw. resignierend) jene Mechanismen verkörpern, mit denen sich die Menschen das Leben gegenseitig schwermachen. Schon bevor die Rakete startet, ist die Lage kritisch. McIntosh setzt auf den Kessel-Effekt: Steigt der Druck zu hoch, kommt es zur Explosion. Das Wissen darum, zu denen zu gehören, die zum Mars starten dürfen oder eben nicht, ist nach McIntosh gleichermaßen gefährlich: Man setzt unabhängig von Gesetz und Moral alle Hebel in Bewegung, um an Bord zu gelangen. Gelingt dies nicht, zerstört man die Rakete, weil im Fall der Fälle alle Menschen gleich sein und sterben sollen.

Rettung als Illusion

An Bord der Rakete herrschen nach dem Start keineswegs Erleichterung und Glück. Nur vorläufig sind die Insassen davongekommen: Um die Wogen vor dem Exodus möglichst flach zu halten, fliegen nur die ‚nützlichen‘ Eliten in robusten und gut ausgerüsteten Raumschiffen zum Mars. Leutnant Easson und seine Begleiter gehören nicht dazu. Faktisch werden sie im All stranden und sterben.

Easson entwirft einen Notfallplan. Nicht der darin umworbene Zufall wird zum Primärhindernis, sondern abermals der Mensch: Die Erde mag nicht mehr existieren, doch was das Leben bisher bestimmte, reist mit zum Mars. Vorschriften und ethische Vorbehalte = alte, irdische Zöpfe müssten rigoros abgeschnitten werden und alle an an einem Strang ziehen. Diese Einigkeit stellt sich erst nach und nach ein, indem McIntosh jene, die sich nicht anpassen wollen, umkommen lässt - eine ebenso drastische (sowie die Handlung in Schwung haltende), aber auch pragmatische Methode, dort für Disziplin und Neuorientierung zu sorgen, wo die Einsicht fehlt.

Als McIntosh seinen Roman schrieb, lag der Zweite Weltkrieg erst knapp ein Jahrzehnt zurück. In England fand man wie in den meisten Ländern Europas gerade zu einem normalen Alltag zurück. Im Gedächtnis haftete deutlich die Erinnerung an die Nazi-Barbarei, die Opfer und Entbehrungen des Krieges. Man war hart geworden, hatte sich an Entbehrungen, Mangel und rigorose Lösungen gewöhnt. Dies schlägt auf die Handlung durch, denn McIntosh stellt immer wieder heraus, dass es keine ‚neuen‘ Menschen ohne tiefgreifende Veränderungen geben kann. Die ethischen Grenzen werden verschoben. Wo gehobelt wird, fallen Späne - oder eben die Schwachen und diejenigen, die sich nicht wehren. Auf dem Mars wird der Ton noch einmal rauer. Selbstjustiz und wurzeltiefes Durchgreifen sorgen dafür, dass alle, die nicht mitziehen wollen oder können, auf der Strecke bleiben. (Die ‚neue Ordnung‘ schleppt tradierte Vorurteile durch; so wird der Wohnbereich der alleinstehenden Frauen „Hotel zur Alten Jungfer“ genannt ...)

Die Welt geht (sparsam) unter

„J. T. McIntosh“ wurde als James Murdoch MacGregor (1925-2008) - Pseudonym und Realname weisen darauf hin - in Schottland geboren. Er gehörte zum Heer jener Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg Trivialliteratur schrieben und binnen kurzer Zeit möglichst viele Titel ausstießen, um die vergleichsweise dürftige Honorierung auszugleichen. Dabei entstanden keine komplexen Meister-, sondern oft genug Machwerke, die zum Wohle ihrer Verursacher bald in Vergessenheit gerieten.

McIntosh besitzt in der Science Fiction keinen großen Namen. Er profitiert davon, dass solides Handwerk sich auch in der Literatur oft besser hält als große Kunst. „Einer von Dreihundert“ ist ein typisches Beispiel: Eine Grundidee wird inhaltlich wie formal geradlinig und zügig erzählt, die Apokalypse, ein buchstäblich weltumspannendes Thema, auf persönliche Schicksale heruntergebrochen. Nur auf diese Weise lässt sie sich für einen Roman thematisieren, dessen Seitenzahl beschränkt bleiben musste: Sie war vom Verlag vorgegeben.

Das Lektürevergnügen leidet unter einem seltsam erscheinenden Handlungsrhythmus. Erde - Weltraum - Mars: McIntosh erzählt seine Geschichte in drei eher notdürftig miteinander verklammerten Episoden, die jeweils eigene Ereignisstränge und Höhepunkte besitzen. Diese Struktur spiegelt die Entstehungsgeschichte wider: „Einer von Dreihundert“ ist eine „fixed novel“, d. h. ein aus Erzählungen nachträglich ‚montiertes‘ Garn. McIntosh griff auf zuvor im „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ veröffentlichte Storys zurück: „One in Three Hundred“ (Ausgabe February 1953), „One in a Thousand“ (Ausgabe January 1954) und „One Too Many“ (Ausgabe September 1954).

Fazit:

Typische Nachkriegs-SF, die den globalen Konflikt widerspiegelt und in eine apokalyptische Zukunft projiziert, in der nur die Starken und ‚klüger‘ Gewordenen überleben (und Drückeberger, Krisengewinnler u. ä. Ballast der Moderne eliminieren): Halbwegs besenrein beginnt ein hoffentlich ‚besseres‘ Kapitel der Menschheitsgeschichte.

Einer von 300

J. T. McIntosh, Heyne

Einer von 300

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Einer von 300«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery