Rakete ab - zum Mond

  • AWA Verlag
  • Erschienen: Januar 1957
  • 0
Rakete ab - zum Mond
Rakete ab - zum Mond
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2024

Wettlauf mit dem Weltraumtod

In diesem Jahr 1983 wird die Erde zwar von einer Orbitalstation umkreist, aber den Mond hat der Mensch noch nicht erreicht. Dies soll sich endlich ändern. Auf der Pazifikinsel Johnston hebt die gewaltige Rakete ab. Bevor sie zum Mond durchstartet, legt sie an genannter Station einen Zwischenstopp ein: Passagier Ted Barker soll dort aussteigen, um seinen Dienst zu beginnen.

Es kommt anders. Plötzlich findet sich Ted an Bord der Rakete wieder, die sich planmäßig auf ihre Mondfahrt begibt. Ein Ausstieg ist nicht mehr möglich. Zum großen Missfallen der Besatzung fliegt Ted mit. Dass er nicht willkommen ist, lässt ihn vor allem Leutnant Dan Forbes spüren, der Ted böse Absicht unterstellt.

Die Situation spitzt sich zu, als Kapitän Merola, der Pilot der Rakete ist, nach einem Unfall bewusstlos bleibt. Der einzige an Bord, der zumindest theoretisch weiß, wie man ein Raumschiff steuert, ist ausgerechnet Ted. Wohl oder übel greift man auf ihn zurück. Eine Umkehr ist unmöglich, und für eine Landung muss die Rakete gesteuert werden, da sie sonst auf der Mondoberfläche zerschellen wird.

Ted tut sein Bestes, aber ihm fehlt die Erfahrung, weshalb die Rakete mehr als 1500 Kilometer entfernt von der Stelle notlandet, wo unbemannte Frachtraketen mit Ausrüstung, Vorräten und Sauerstoff warten. Er und Forbes machen sich zu Fuß auf den Weg dorthin. Sie stehen unter Zeitdruck, denn in der Rakete geht den Männern die Luft aus, und draußen naht der Sonnenaufgang, der auf dem Mond eine solche Hitze erzeugt, dass Ted und Forbes den Tag nicht überleben würden ...

Die Zukunft im Dienst des Zeitgeistes

Als Salvatore Lombino (*1926) heil heimgekehrt aus dem Zweiten Weltkrieg beschloss, die Schriftstellerei beruflich zu betreiben, ging er dieses Projekt mit einem Plan an. Da er fürchtete, von italophoben Lesern gemieden zu werden, änderte er seinen Geburtsnamen und veröffentlichte seinen ersten Roman 1952 als „Evan Hunter“. Der Name sollte seinen ‚literarischen‘ Werken vorbehalten bleiben. Hunter hatte aber weitere Eisen im Feuer, schrieb in rascher Folge unterhaltsame Kriminalromane und Science Fiction. Als „Ed McBain“ schuf er u. a. die Reihe um das 87. Polizeirevier und einen Klassiker des „police procedural“. Die Serie setzte er bis zu seinem Tod 2005 fort; sie brachte es auf mehr als 50 Bände!

Für seine Science Fiction bediente sich Hunter mehrerer Pseudonyme: Hunt Collins, Dean Hudson - und Richard Marsten. Unter diesem Namen erschien 1953 der hier vorgestellte Roman. Er erzählt SF „für die Jugend“ und spiegelt eher die US-Gegenwart der 1950er Jahre die Zukunft wider. Zu Büchern wie diesem sollten besorgte Eltern bedenkenlos greifen, wenn sie ihre Kinder in jenem Geiste erziehen wollten, der die Gesellschaft dominierte: Sei allzeit fleißig bzw. strebsam, halte dich an die Regeln und sei systemkonform, was bedeutete, konservativ zu denken und zu handeln = dem „American Way“ (oder „Dream“) hinterherzulaufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die USA einen nie zuvor gekannten Aufschwung. Die Löhne stiegen, die Autos wurden immer länger. Andererseits stand die Welt vor einem dritten Weltkrieg, den man atomar führen und der die Erde verwüsten würde. Auslösen würden ihnen die Kommunisten in der Sowjetunion oder China, die voller Arglist und Hass waren, ständig beobachtet und in Schach gehalten werden mussten. Dafür benötigte man junge Männer, die sich an der Front, und junge Frauen, die sich daheim am Herd den roten Teufeln entgegenstemmten.

Man ist nie zu jung für die Pflicht

Eine entsprechende ‚Anleitung‘ (bzw. Indoktrination) wurde auf sämtlichen Ebenen des Alltagslebens forciert. Auch die Science Fiction war einbezogen. Die Eroberung des Weltraums war Teil der US-Strategie, denn auch und gerade dem All musste man die seelenlosen Ameisenkrieger der genannten Schurkenstaaten fernhalten, um nicht ‚von oben‘ mit Bomben bepflastert zu werden!

Folgerichtig trägt Ted Barker nicht nur einen typischen US-amerikanischen, d. h. höchstens zweisilbigen Namen; er brennt darauf, sich für sein Land in den Kampf um den Fortschritt zu stürzen! Erst 17-jährig hat er schon einige Jahre Ausbildung und Schliff hinter sich, denn in diesem 1983 liegt die Weltraumfahrt selbstverständlich in den Händen des Militärs. Ted denkt nicht an Freizeit, Mädchen oder freies Denken, seine Probleme und inneren Konflikte finden ausschließlich innerhalb des Systems statt.

Einen Freund schwärzt man niemals an, es sei denn, einer ‚größeren Sache‘ würde Schaden drohen. So kommt es, dass Ted anstelle seines in dieser Hinsicht nicht so selbstlosen Kumpels Jack am ersten Mondflug teilnimmt. Das martert sein Gewissen und verschlägt ihm die Sprache, weshalb seine fünf Mitreisenden (darunter ein Wernher-von-Braun-Klon aus Deutschland, der solide Raketen-Ingenieurskunst garantiert) das Schlimmste annehmen = ihn für ein ruhmsüchtiges Kameradenschwein halten.

Lern’ aus deinen Fehlern!

Das ist in diesem Milieu schlimmer als Lebensgefahr! Ted muss im Kreis der Crew einen Platz finden (und das Missverständnis ausräumen). Hilfreich ist dabei eine Krise, die Autor Marsten über die Raketencrew (und seine schon darauf wartenden) Leser hereinbrechen lässt. Man wundert sich nicht darüber, denn die ‚Technik‘ von 1983 ist brachialmetallisch und funktioniert ausschließlich analog. Eine Rakete steuert man händisch, nachdem man mit Papier, Bleistift und Köpfchen einen Kurs berechnet hat und durch die Frontscheibe nach vorne schaut; ähnlich steuerte man schon die Segelschiffe der Vergangenheit.

Wie es sich für ein solches Garn gehört, vergoldet das Abenteuer im Dienst der (US-) Menschheit die (heutzutage) lächerlich wirkende ‚Zukunftstechnik‘ und versöhnt mit einer Raketenkonstruktion, die aufgrund gewaltiger, aber eindrucksvoller Heck- und Landeflossen die Crew dazu zwingt, über eine steile Leiter außen zum Rumpf hinauf- oder hinabzusteigen! Dass Kapitän Merola sich beim Festhämmern (!) einer lockeren Stahlniete (!!) den Kopf anstößt, sorgt ebenfalls für Erstaunen und Heiterkeit.

Nicht die Mondmission, sondern Teds Reifen zum „Mann“, der reibungslos als Zahnrädchen im und für das System funktionieren soll, steht im Mittelpunkt des Geschehens, das deshalb abbricht, sobald der Gewaltmarsch durch die Mondwüste zu den rettenden Vorräten und zurück gelungen ist. Wie der Zufall (= Autor Marsten) spielt, muss Ted dieses riskante Abenteuer mit seinem ärgsten Kontrahenten durchstehen. Beide Männer lernen, ihre Querelen zu überwinden und zusammenzuarbeiten, um Kälte und Hitze, spitze Felsen oder raumanzugdurchlöchernde Meteoritenschauer zu überstehen. Wenn dieser Prozess abgeschlossen (und Ted rehabilitiert) ist, wird als ‚Belohnung‘ das ersehnte Weltraum-Abenteuer wie geplant Realität (und ist deshalb in diesem Zusammenhang unwichtig).

Fazit:

Obwohl in diesem SF-Roman „für die Jugend“ durchaus systemkonformer Hirnschliff betrieben wird, trägt Autor Marsten nicht gar so dick auf. Er hebt nicht den Zeigefinger, sondern bindet den Reifeprozess der Hauptfigur in ein spannendes Abenteuer ein: Diese von der Zeit überholte Zukunft sorgt noch heute für eine unterhaltsame Lektüre.

Rakete ab - zum Mond

Richard Marsten, AWA Verlag

Rakete ab - zum Mond

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