Der Mars-Robinson
- Moewig
- Erschienen: Januar 1964
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Marskohl & Kronleuchter-Aliens
„Projekt M 76“ bezeichnet den Versuch Großbritanniens, den Nachbarplaneten Mars zu erreichen. Weder die US-amerikanischen Verbündeten noch die bösen Sowjets ahnen etwas von dem Raumschiff, das mit sieben Astronauten an Bord sein Ziel ansteuerte. So wird es auch bleiben, denn ein Unfall im All kostet fast die gesamte Besatzung das Leben. Nur Ingenieur Gordon Holder überlebt, der ohne Pilotenausbildung eine Bruchlandung auf dem Mars hinlegt.
Dort ist er gestrandet und gilt als tot. Auf dem öden Mars ist die Luft dünn, das Wasser knapp und die Luft schneidend kalt. Es existieren nur seltsame, halbwegs essbare Pflanzen und phlegmatische Insekten. Aber Holder entdeckt den Robinson Crusoe in sich und beginnt sich mit seinen beschränkten Hilfsmitteln, aber viel Hirnschmalz ein Refugium zu schaffen. Er errichtet eine Wasser-Destille, stellt Sauerstoff her und baut sich einen Raupen-Buggy, mit dem er die nähere und weitere Entfernung erkundet.
Holder überlebt 15 lange Jahre, bis nichtsahnend das erste US-Raumschiff auf dem Mars landet. Die überraschte Besatzung mag kaum glauben, was ihr ‚Gastgeber‘ berichtet. Dabei verschweigt ihnen Holder das Erstaunlichste: Es gibt auf dem Mars intelligentes, unglaublich fremdartiges Leben, mit dem sich Holder in den vergangenen Jahren mühsam zu verständigen gelernt hat. Die Marsianer waren einst ebenfalls neugierig, aber was sie über die Menschheit erfuhren, ließ in ihnen den Entschluss reifen, sich die Besucher von der Erde tunlichst vom Leib zu halten. Wie sie dies bewerkstelligen können, ist nicht einmal Holder bekannt, was auf dem Mars für spannende und für die Neuankömmlinge unerfreuliche Ereignisse sorgt ...
Robinson als Rollenmuster
Die großen literarischen Klassiker der Weltgeschichte fließen seit jeher in das Werk weniger von Talent oder der Publikumsgunst begünstigter Kollegen ein. Es lockt die Möglichkeit, bewährte Muster zu übernehmen, zum stärkenden Fundament einer eigenen Geschichte auszubauen und gleichzeitig Zeit zu sparen. Außerdem ist es eine Herausforderung, mit dem Original zu spielen, es zu variieren und sich zu eigen zu machen.
Seit es die moderne Science Fiction gibt, haben sich auch deren Vertreter gern bei literarischen Vorgängern bedient. Hier ist es Rex Gordon (alias Stanley Bennett Hough, 1917-1998), der sich an Daniel Defoes unsterblichem „Robinson Crusoe“ - nun, „vergreift“ wäre ein zu starkes Wort; sagen wir also, er hat sich inspirieren lassen. Das klappt wider Erwarten gut, weil die Geschichte vom armen Schiffbrüchigen, der sich unverdrossen sein eigenes Paradies schafft, auch auf einem fremden Planeten funktioniert.
Sogar die ausführlichen philosophischen Exkurse der Vorlage finden wir im „Mars-Robinson“ wieder. Gordon schrieb einen Roman, der Fiction, aber kaum Science ist. Wir finden durchaus den typischen SF-Technobabbel, aber er beschränkt sich auf gewisse Grundlagen der Ingenieurskunst. Davon verstand Mr. Gordon offensichtlich etwas, was zu der kuriosen Tatsache führt, dass Gordon Holder den Mars ausschließlich mit Hilfe hydraulischer Pumpensysteme bezwingt.
science FICTION: Retro-Zukunft
Von der Raumfahrt hat er dagegen wenig Ahnung. Da ist zum einen „Projekt M 76“ selbst, das dem Laien Rätsel aufgibt. Sieben Männer fliegen zum Mars, um dort nicht zu landen, sondern um aus der Luft Fotos zu machen. Wäre da ein kleineres Team oder ein unbemannter Satellit nicht praktischer? Was ist davon zu halten, dass kein Funkgerät an Bord ist? Es verstärkt den dramatischen Effekt, wirkt aber kaum realistisch.
Dass Holder so gar nichts von der Steuerung der Rakete versteht, die er nach dem (übrigens hanebüchen inszenierten Unfall) wie eine Kanonenkugel „mit Vorhalt“ seinem Ziel entgegensteuert, mutet ebenfalls seltsam an: „Ich war ein Matrose und der letzte Überlebende eines auf den Grund des Ozeans gesunkenen Unterseebootes. Ich konnte aber auch - und dieser Vergleich lag der Sache am nächsten - ein Pilot sein, der eine Bruchlandung gemacht hatte ...“ (S. 12)
Endlich auf dem Mars angekommen, wächst Holder über sich hinaus. Zwar landet er auf einer Welt, die mit dem realen roten Planeten wenig zu tun hat, aber das schmälert die Freude an Gordons effekt- und stimmungsvoller Darstellung einer sparsam belebten, fast stilisierten aber gerade deshalb exotisch anmutenden Umwelt nicht im Geringsten. Anders als der klassische Robinson muss sich der arme Holder merklich höher nach der Decke strecken; auf dem Mars wird er höchstens überleben, sich aber niemals wirklich heimisch fühlen können.
Mensch bleiben in einer fremden Welt
Die Nöte und Zweifel seines modernen Robinsons weiß Gordon überzeugend zu schildern. Zwar meistert Holder sein Schicksal, aber Einsamkeit und Katzenjammer sind ihm durchaus nicht fremd. Mit dem Lernen hat er Schwierigkeiten. Holder tritt dem Mars zunächst als typischer Eroberer entgegen. Dass Anpassung das Gebot des Roten Planeten ist, begreift er erst nach vielen bitteren Lektionen und selbst dann nicht wirklich.
Den heutigen Leser befremden Holders Schlussfolgerungen deshalb sehr. Nach einer tiefen Sinnkrise fasst er so wieder Mut: „Ich zweifelte nicht länger am Sinn des menschlichen Daseins. Ich dachte nicht mehr an die Unzulänglichkeiten, die kurze Lebensspanne des Menschen und die Tatsache, dass er nur ein winziges Atom im Universum war. Ich gewann den Glauben an die Kraft des menschlichen Gehirns zurück und seine Fähigkeiten, wo es auch sei, eine entscheidende Rolle zu spielen.“ (S. 57)
Was ist geschehen? Ist Holder der Erstkontakt zu den Marsianern geglückt? Nein, durch einen Zufall hat er aus diversen Bestandteilen einen neuartigen, höchst wirkungsvollen Sprengstoff gemixt und einige eindrucksvolle Krater in den Marsboden gestanzt. Wen wundert’s, dass Marsmann Eii seinem Besucher recht reserviert erstbegegnet?
Freitag als Meister
Eii ist Robinson Holders Freitag; ein Freitag allerdings, der sich nicht in die Rolle des Dieners zwingen lässt oder der Zivilisation zu Füßen wirft. Hier weicht Gordon von der Vorlage ab und produziert recht ungewöhnliche Töne. Holders pompöse Tiraden, die vom stolzen Selbstverständnis des (weißen) Angelsachsen künden, der sich nicht nur die Erde, sondern auch den Kosmos untertan machen will, werden konterkariert durch Eiis lakonische Frage, was dies bitte schön mit ihm und seinen Mitbürgern vom Mars zu tun habe, die sehr zufrieden mit ihrer technikfreien Existenz sind und sich jegliche Belehrung verbitten.
So verpuffen sämtliche Versuche, „Freitag“ zu bekehren oder wenigstens zu beeindrucken. Abschließend erhalten Holder und seine inzwischen aufgetauchten Retter einen telekinetischen Tritt in den Hintern und verlassen den Mars auf recht schnöde Weise - ein ungewöhnliches Finale und ein Beleg dafür, dass dieses SF-Abenteuer aus der Feder eines Briten floss. In einer amerikanischen Space Opera wäre es den widerspenstigen Marsianern wohl übel ergangen.
Die Neuankömmlinge sind nicht einmal als Retter sympathisch. Holder wird nach 15 Jahren von einer US-Expedition gefunden. Deren Teilnehmer reagieren nicht sehr freundlich, sondern ziemlich sauer, weil sie nicht die ersten auf dem Mars sind. Später lehnen sie es kategorisch ab, sich die Kolonisierung des Roten Planeten von dessen Ureinwohnern verbieten zu lassen, denn a) könne da jeder kommen, und b) müsse man wie immer mit den lumpigen Sowjets rechnen, denen man den Mars auf keinen Fall überlasse werde; Töne, die noch heute recht vertraut klingen …
Anmerkungen zur deutschen Ausgabe
Generell hat Übersetzer Hans Ulrich Nichau wie so oft saubere Arbeit geleistet. Etwaige Holprigkeiten sind durch den schon damals übersetzertypischen Zeitdruck entschuldigt oder dem Alter der Übertragung geschuldet. Vor allem muss man berücksichtigen, dass SF-Romane in Deutschland Anno 1964 seitennormiert waren: Sollte „Der Mars-Robinson“-Text nach der Übersetzung länger als die für „Terra-Sonderbände“ vorgesehenen 100 Druckseiten gewesen sein, wurden Passagen gekürzt oder entfielen ganz. An einigen Stellen hat der Leser den Eindruck, dass dies geschehen ist. Aber da an eine Neuausgabe dieses Romans nicht zu denken ist, muss man sich mit dem bescheiden, was man hat.
Obwohl die Vermutung naheliegt, ist „Der Mars-Robinson“ übrigens nicht die Vorlage zum SF-Film „Robinson Crusoe on Mars“ („Notlandung auf dem Mars“), den Byron Haskin nach einem Drehbuch von Ib Melchior und John C. Higgins 1964 inszenierte.
Fazit:
Science Fiction als liebevolle Darstellung des roten Planeten und mit Figuren fernab jeder pioniermasochistischen Heldenhaftigkeit: ein altmodischer doch ungetrübter Lesespaß weitgehend ohne erhobenen Zeigefinger.
Rex Gordon, Moewig
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