Die Straße nach Roswell

  • Cross Cult
  • Erschienen: März 2024
  • 0
Die Straße nach Roswell
Die Straße nach Roswell
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2024

Das Problem real werdender Fantasie

Normalerweise wäre Francie Driscoll niemals dorthin gereist, wo sich Spinner & Träumer nicht nur aus den USA, sondern aus der ganzen Welt treffen. Doch Serena ist ihre beste Freundin und hat Francie als Brautjungfer für ihre anstehende Hochzeit rekrutiert; die findet nun einmal in Roswell, New Mexico, statt. Dort ist 1947 angeblich eine fliegende Untertasse abgestürzt, was die US-Regierung vertuscht habe, weshalb jene, die enthusiastisch an diese Legende glauben, sich seither in dem Wüstennest tummeln.

Aktuell findet sogar eine Zusammenkunft der UFO-Gläubigen in Roswell statt. So tritt die in dieser Hinsicht mehr als skeptische Francie in ein wahres Wespennest mehr oder weniger verstrahlter Verschwörungstheoretiker, sobald sie ihr Reiseziel erreicht hat. Serena Zukünftiger gehört zu ihnen, was die Eheschließung in Gefahr bringt, denn angeblich haben sich gerade erneut Außerirdische in der Wüste blicken lassen, was natürlich vor Ort untersucht werden muss!

Francie versucht sich abseits des irren Trubels zu halten, aber ausgerechnet sie stolpert über einen waschechten ET! „Indy“, ein mit unzähligen peitschenähnlichen und ungemein dehnbaren Extremitäten ausgestattetes Wesen, kapert ihren Wagen und zwangsrekrutiert Francie. Offensichtlich sucht der Fremde etwas in der Wüste. Worum es geht, bleibt lange unklar, denn Indy spricht nicht. Erst als sich herausstellt, dass er über Schriftzeichen kommuniziert, kommt eine Verständigung zustande, die jedoch unter darunter leidet, dass Indy nur mühsam in ihm unbekannte Worte fassen kann, was ihn auf die Erde trieb.

Weitere Pechvögel stolpern über Francie und Indy, der sie alle nicht mehr gehen lässt. Das wird zur Nebensache, als der Außerirdische deutlich macht, dass er sich auf einer Rettungsaktion befindet. Seine irdischen Freunde wollen ihm helfen, aber die Realität einer „Begegnung der dritten Art“ erweist sich als schwierige Herausforderung ...

Willkommen in Spinner’s Paradise!

Wenn tatsächlich ein Alien auf dieser Erde landen würde, wie bzw. wo könnte es sich am besten vor dem Geheimdienst und den Medien verbergen? Connie Willis findet die logische Antwort, die „Roswell“ lautet und vordergründig einen real existierenden Ort bezeichnet, tatsächlich aber auf ein trivialkulturelles Zwischenreich zielt. Es wird von Spökenkiekern, Spinnern und Träumern bevölkert, die sich eine Welt wünschen, in der die Außerirdischen präsent sind, sich aber mit „der Regierung“ u. a. dunklen Mächten verbündet haben, die verschwörerisch die Wahrheit unterdrücken, um insgeheim ET-Technik in militärische Geheimwaffen einzubauen und die Menschheit im Bund mit den Invasoren zu unterdrücken.

In Roswell ging demnach 1947 eine fliegende Untertasse nieder, die mitsamt ihrer durch die Bruchlandung zerschrotene Besatzung irgendwo in der Area 51 versteckt und ausgewertet wurde. Diese Militärstation existiert tatsächlich. Fern jeder Ansiedlung werden hier Fluggeräte getestet, deren Absturz über Wüstengelände keine unnötigen Opfer fordert. Da diese Technik geheim ist, herrschen strenge Sicherheitsmaßnahmen, was u. a. bedeutet, dass niemand vor Ort überprüfen konnte, was 1947 an der ‚Unglücksstelle‘ von der Obrigkeit hastig zusammengeklaubt wurde.

Dass die Wahrheit längst bekannt ist, weil entsprechende Geheimhaltungsklauseln sich inzwischen erledigt haben, kann die UFO-Gläubigen nicht in ihrem Irrglauben erschüttern: Ein simpler Wetter- bzw. Spionageballon fiel über Roswell aus dem Himmel. Für den übernatürlichen Rest = den Roswell-Mythos sorgten die Wunschvorstellungen derer, die sich in und in der normalen Alltagswelt langweilen und deshalb aufregende Geheimnisse konstruieren. Solche Rätsel dürfen nicht zu beweisen bzw. zu widerlegen sein, da sonst einschlägig infizierte Zeitgenossen ihrer Existenzberechtigung beraubt werden. Sie hängen mit inbrünstiger, durchaus religiöser Saugkraft an ihren UFO-Phantomen, weshalb sie ebenso realitätsresistent wie die Anhänger von Donald Trump reagieren, wenn man sie gar zu sehr mit Fakten piesackt.

UFOs als Touristenattraktion

In Roswell sind die Bürger heilfroh über solche Zeitgenossen, die zwar nicht ganz dicht, aber durchaus bei Kasse sind. Einem Nest, das ansonsten kaum oder keine Sehenswürdigkeiten bieten kann, bereitet der UFO-Wahn ein Mistbeet, auf dem fruchtbar Handel mit einfältigen Tröpfen und belustigten Zaungästen getrieben werden kann. Der Blick auf einschlägige Roswell-Websites enthüllt eine UFO-Unterhaltungsindustrie, die sich mit Lourdes messen kann; der Glaube an die lokalspezifische Vorgeschichte ist an beiden Orten intensitätsebenbürtig.

Dies ist die Kulisse, in der Connie Wills ihr Garn platziert und ausgiebig nutzt. Dieses Mal landen die Außerirdischen tatsächlich in Roswell, aber kaum jemand bemerkt es, weil man dort ausschließlich mit sich selbst und seinen jeweiligen Hirngespinsten beschäftigt ist. Da das Interesse besagter ETs außerdem in eine gänzlich unerwartete Richtung zielt, existiert man quasi nebeneinander und auf unterschiedlichen Verständnisebenen.

Folgerichtig können Francie und ihre Begleiter nicht mit Hilfe rechnen, als Indy - der Spitzname spielt auf seine zahllosen ‚Arme‘ an, die der ET so virtuos wie Filmheld Indiana Jones die Peitsche zu handhaben weiß - sie kidnappt, um sie in den Dienst seiner Mission auf diesem für ihn erst recht seltsamen Planeten zu stellen. Daraus entwickelt sich lange keine ‚logische‘ SF-Handlung. Willis geht es um die Absurdität jenes Phänomens, für das Roswell exemplarisch steht. Für den daraus resultierenden, harmlosen und sich aus unzähligen Anspielungen auf angebliche UFO-Sichtungen, aber auch SF-Filme und TV-Serien speisenden Humor muss man empfänglich sein, da die Geschichte sonst ins albern-Belanglose kippt.

Die Angst vor dem Alltag

Für Willis ist „Die Straße nach Roswell“ nicht die erste SF-Komödie; schon 1996 ging sie mit „To Say Nothing of the Dog“ (dt. „Die Farben der Zeit“) in diese Richtung. Dieses Mal ist ihr das besser gelungen. Hinter dem (Original-) Titel verbirgt sich ein Wortspiel: Zwischen 1940 und 1962 entstanden in den USA sieben Abenteuer-Komödien, die stets mit „Road to ...“ überschrieben wurden; die drei Punkte bezeichneten das jeweilige Reiseziel. Stets waren die Hauptdarsteller Bob Hope (1903-2003), Bing Crosby (1903-1977) und Dorothy Lamour (1914-1996). Sie erlebten vor Ort absurd überspitzte Abenteuer, die gleichzeitig bestimmte Filmgenres parodierten.

Willis greift auf dieses Konzept zurück. Obwohl ihr Buch keineswegs nur in dem genannten Ort spielt, definiert „Roswell“ einen Traum, den man teilen oder ironisieren kann. Willis versucht beides und wandelt dabei auf einem schmalen Grat. Die UFO-Gläubigen von Roswell haben sich oft dorthin zurückgezogen, wo sie logischen Argumenten nicht mehr zugänglich sind. Manche weisen einen Grad der Verirrung auf, der sie unheimlich oder sogar gefährlich wirken lässt. Obwohl Willis auch diesen Aspekt zumindest durchscheinen lässt, rückt sie die humoristische Seite des UFO-Wahns in den Mittelpunkt. In und um Roswell ist die Realität ausgeschaltet.

Wie es sich für einen ordentlichen Roadtrip gehört, ist das keine unbedingt negative Erfahrung. Ohne es zuzugeben, lebt Francie auf, als sie ihr durchgetaktetes Alltagsleben verlässt und in ein echtes Abenteuer verwickelt wird. Ihren unfreiwilligen Begleitern geht es ebenso, wobei Willis für eine krude Charaktermischung sorgt: Indy zur Seite stehen außer Francie ein Betrüger, der in Roswell UFO-Jünger über den Tisch ziehen will, ein hysterischer UFO-Gläubiger, der die bevorstehende Invasion der Erde fürchtet, eine Seniorin, die sich ihren Lebensunterhalt als Trickspielerin verdient, und ein Aussteiger, der sich nicht für UFOs, sondern für den Wilden Westen interessiert.

Dass sämtliche Protagonisten Geheimnisse hüten, die sich erst im Laufe der Handlung enthüllen, soll für weitere Verwicklungen sorgen. Lange reiht sich Episode an Episode, bis Willis aus dem entfesselten Tohuwabohu doch ein SF-Finale destillieren kann. Es wird melodramatisch, theatralisch und sentimental, eine komplizierte Liebesgeschichte endet glücklich, und ganz zuletzt gibt’s einen Überraschungs-Gag, der womöglich eine Fortsetzung einleitet.

Fazit:

Manchmal etwas zu gequält auf „lustigen Krawall“ gebürstete SF-Komödie, die weniger von ihrem soliden, aber nie originellen Plot, sondern vom Ulkfaktor lebt, der die Handlung auf einem Fundament zahlloser Anspielungen auf trivialkulturelle Phantastik-Legenden und -Medien über die Runden bringt: Man muss es mögen, dann funktioniert es.

Die Straße nach Roswell

Connie Willis, Cross Cult

Die Straße nach Roswell

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