Das Buch der Geister & Spukhäuser
- Festa
- Erschienen: Dezember 2024
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15 Begegnungen an heimgesuchten Orten
- Henry James: Spuk in Bly Manor - Die Schlinge wird enger (The Turn of the Screw; 1898), S. 7-168: Eine junge Frau wird die Gouvernante der Waisenkinder Miles und Flora. Der Landsitz Bly Manor ist abgelegen, und womöglich spukt es. Peter Quint, ein Hausdiener, und Miss Jessel, die frühere Gouvernante, sind nachweislich tot, kommen aber nicht zur Ruhe. Zu ihren Lebzeiten waren sie Miles und Flora schlechte Vorbilder, und jetzt folgen die Geschwister den Phantomen. Die neue Gouvernante will sie retten und beschwört eine Katastrophe herauf.
- Rhoda Broughton: Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit (The Truth, the Whole Truth, and Nothing but the Truth; 1868), S. 169-184: Das günstig zu mietende Haus birgt ein Geheimnis, das noch jeden Bewohner in die Flucht getrieben oder umgebracht hat.
- Mary E. Wilkins Freeman: Das verlassene Gespenst (The Lost Ghost; 1903), S. 185-210: Dieser Geist erregt Mitleid, was ihn allerdings nicht weniger unheimlich macht.
- Laura Purcell: Kriechender Efeu (Creeping Ivy; 2018), S. 211-228: Der Witwer verschweigt klug, woran die verhasste Gattin wirklich starb, sodass sie die Bestrafung selbst in die Totenhand nimmt.
- Walter de la Mare: Der Quinkunx (The Quincunx; 1906), S. 229-248: Die Tante verabscheute den Neffen, weshalb es sie nicht im Grab hält, als dieser den von ihr versteckten Geldschatz zu entdecken droht.
- Stephen King: Zimmer 1408 (1408; 2002), S. 249-308: Hier fanden schon viele Gäste den Tod, doch der skeptische Autor glaubt erst nach einem eigenen Höllentrip, was über Zimmer 1408 erzählt wird.
- M. R. James: Der Schatz des Abtes Thomas (The Treasure of Abbot Thomas; 1904), S. 309-338: Der Kirchenmann hinterließ versteckte Hinweise auf den Ort eines Schatzes, aber er warnte auch vor dem Wächter, was ein allzu (neu-) gieriger Historiker natürlich ignoriert.
- A. M. Burrage: Smee (Smee; 1929), S. 339-356: Ein in dunklen Räumen veranstaltetes Gesellschaftsspiel sorgt für Schrecken, als sich eine nicht wirklich präsente Teilnehmerin anschließt.
- Nancy A. Collins: Da ist jemand in der Küche (Someone’s in the Kitchen; 1996), S. 357-384: Sie freut sich, nach ihrem Tod wieder jemand umsorgen zu können, während ihm verborgen bleibt, dass ‚geistige‘ Nahrung die Lebenden nicht verpflegt.
- H. P. Lovecraft: Träume im Hexenhaus (The Dreams in the Witch House; 1933), S. 385-442: Die Miete ist niedrig, weil in diesem Zimmer einst eine Hexe hauste, die tot, aber keineswegs ausgezogen ist, wie der neue Bewohner erfahren muss.
- Robert Arthur: Glauben Sie an Gespenster? (Do You Believe in Ghosts?; 1941), S. 443-466: Wenn genug Menschen an eine Erscheinung glauben, kann sie real und gefährlich werden.
- Algernon Blackwood: John Silence - Angriff auf die Seele (A Psychical Invasion; 1908), S. 467-540: Der Schriftsteller öffnet versehentlich die Pforte zu einer fremden Dimension. Eine böse Kraft schlüpft hindurch und sitzt ihm nun im Nacken. Dr. John Silence, Psychologe und Fachmann für das Okkulte, glaubt dem Grauen gewachsen zu sein, aber er könnte sich irren.
- Mary Elizabeth Counselman: Der Geist des Schrot-Turms (The Shot-Tower Ghost; 1949), S. 541-564: Ausgerechnet der Skeptiker sorgt dafür, dass sich eine alte Geistergeschichte mit neuem ‚Leben‘ füllt.
- Charles Birkin: Ist da jemand? (Is There Anybody There?; 1964), S. 565-588: Nicht alle Geister mögen es, wenn jemand sie dabei beobachtet, wie sie ihr trauriges Schicksal wieder und wieder durchleiden müssen.
- Marghanita Laski: Der Turm (The Tower; 1955), S. 589-606: Man kann ihn betreten, aber der Erbauer sorgte dafür, dass ihn nicht alle wieder verlassen werden.
- Originaltitel und Einzelnachweise, S. 607/08
Gruselsammlung mit Unterhaltungsgarantie
Genau richtig, also in der kalten, nassen Vorweihnachtszeit, wenn in früh hereinbrechender Dämmerung die Lust auf ziegelsteindicke Lektüre besonders ausgeprägt ist, kommt dieses Buch auf den Markt. Es gleicht einem Adventskalender und besteht aus Geschichten, die man sich einzeln zu Gemüte führen kann, was jedoch kaum geschehen wird, da diese Storys in ihrer Mehrzahl so gut sind, dass man sich beim Lesen schwer zurückhalten kann.
Nicht ‚moderner‘, oft drastisch-blutrünstiger Horror, sondern gediegener, nicht altmodischer, sondern zeitloser Grusel kennzeichnet 15 Erzählungen aus knapp anderthalb Jahrhunderten. Zeiten und Orte ändern sich, aber Struktur und Stimmung bleiben ähnlich: Es spukt nach sorgfältiger Vorbereitung der Kulisse, und die Figuren werden uns vorgestellt, bevor es unheimlich wird. Das sanfte, aber unerbittliche Schüren der Spannung ist Teil des Vergnügens, während es dem jeweiligen Verfasser überlassen bleibt, über die Intensität des Spuks zu entscheiden. Manchmal tritt der Geist überhaupt nicht ‚persönlich‘ auf (Marghanita Laski; d. i. Esther Pearl Laski Howard, 1915-1988), oder man erhascht ihn nur aus den Augenwinkeln (Charles Lloyd Birkin, 1907-1985). Stephen King (*1946) sorgt natürlich für Breitwand-Grusel, ohne darüber die erwähnte Form zu vernachlässigen.
Die Storys sind hierzulande meist selten oder noch gar nicht erschienen. Ausnahmen stellen die Erzählungen von Henry und M. R. James, H. P. Lovecraft und Stephen King dar, aber sie fügen sich mehrheitlich ausgezeichnet in ein ohnehin gelungenes Werk ein - wieder einmal berücksichtigte man im Festa-Verlag, dass Inhalt und Layout als Einheit das Vergnügen an einem Buch beträchtlich erhöhen.
Spukt es, oder spinnt sie?
„Spuk in Bly Manor - Die Schlinge wird enger“ trägt sonst den deutschen Titel „Die Drehung der Schraube“. Hier soll offensichtlich der Bogen zur neunteiligen Mini-Serie „The Haunting of Bly Manor“ (dt. „Spuk in Bly Manor“) geschlagen werden, die 2020 von „Netflix“ gestreamt wurde. Der (Kurz-) Roman von Henry James (1843-1916) gilt als klassisches Meisterwerk und wird seit Jahrzehnten ob seines Subtextes als frühes Beispiel eines ‚psychologischen‘ Horrors gerühmt: Der Autor lässt offen, ob die (namenlose) Gouvernante tatsächlich gegen Geister kämpft. Sind die Kinder gar nicht in Gefahr, sondern ist sie es, die sich die Heimsuchung nur einbildet und so unfreiwillig zur Auslöserin einer Tragödie wird?
Diese Erzählung wurde in mehr als 125 Jahren auch hierzulande quasi zu Tode ediert und war nie vom Buchmarkt verschwunden. Zudem füllt sie viele Seiten, die man mit weniger oder gar nicht bekannten Geister-Garnen hätte füllen können. In gewisser Weise gilt dies auch für die Storys von James und Lovecraft. Sie wurden im Festa-Verlag veröffentlichten Büchern entnommen. Solches Recycling drückt aufgrund bereits vorhandener Rechte die Kosten, konfrontiert viele Leser jedoch mit Erzählungen, die sie längst kennen.
Zudem ist „Spuk in Bly Manor“ schlecht gealtert. James mag das komplizierte gesellschaftliche Gefüge seiner Zeit präzise erfasst und literarisch geadelt haben, doch wer eine gut erzählte Geschichte schätzt, den wird die Umständlichkeit irritieren, mit der die Handlung sich entwickelt. Was Peter Quint und Miss Jessel sowie Miles und Flora vorgeworfen wird, erstickt in ängstlichen Andeutungen. Dies gilt in manchen Kritikerkreisen noch immer als Prädikat, das eine ‚gute‘ Gruselgeschichte auszeichnet. Faktisch sorgen elend lange und sich wiederholende Reflexionen und Gefühlsaufwallungen sowie das schleppende Tempo für Langeweile: Kommen Sie auf den Punkt, Mr. James! Was einst die Leser mit skandalöser Wucht getroffen haben mag, regt heute niemand mehr auf.
Schrecken altert, reift und erfindet sich neu
Rhoda Broughton (1840-1920) räumt einer Rahmenhandlung, die ihre Hauptfigur in der zeitgenössischen Gesellschaft verankert, ebenso viel Raum ein wie dem Spuk, der en passant für ein Unbehagen sorgt, das vor allem in der Angst wurzelt, in einen „Skandal“ verwickelt zu werden. Dieser würde das soziale Aus für die Betroffenen bedeuten, was noch schrecklicher wäre als die Begegnung mit dem Übernatürlichen.
Laura Purcell (*1985) kehrt historisierend in die Vergangenheit zurück. Dem ging ein langer Kampf gegen Bigotterie, Muckertum und würgende Vorgaben für ein ‚ordentliches‘ weibliches Leben voraus. Purcell muss nicht mehr andeuten. Sie nennt beim Namen, was geschieht, weshalb ihre Geschichte ablenkungsfrei dem Höhepunkt entgegensteuert.
Spuk muss nicht ‚böse‘ sein, auch wenn Montague Rhodes James (1862-1936) dies wieder einmal für eine seiner großartigen, ebenso gruseligen wie humorvollen „ghost stories“ voraussetzt: Seinen Gespenstern will man wirklich nicht begegnen! Ebenso beinhart und dazu bitterernst lässt Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) ein Phantom umgehen, das im Tod wie im Leben Pechvögel in ihr Verderben lockt. „Träume im Hexenhaus“ belegt darüber hinaus, wie elegant Lovecraft reale Naturwissenschaft mit Magie und seinen SF-geprägten Cthulhu-Zyklus mit der klassischen Geistergeschichte zu verknüpfen wusste. Auch Algernon Blackwood (1869-1951) beeindruckt durch eine Studie der Angst, die er oft in seinem Werk Spukgestalt annehmen ließ. Der „Angriff auf die Seele“ richtet sich direkt = dicht und drohend auch gegen die Leser.
Nicht jeder Geist will nur das eine
Dass Verstorbene aus dem Jenseits heraus ein Auge auf ihre weltlichen Interessen richten, kann aber auch anders motiviert sein. Walter de la Mare (1873-1956) stellt uns einen Geist vor, der (bzw. die) durchaus richtig liegt mit ihrem Verdacht gegen den erbschleicherischen Neffen. Sie sucht kein Opfer, sondern einen Verbündeten in diesem Bemühen. Was den Geist in Alfred McLelland Burrages (1889-1956) großartiger Erzählung antreibt - ob er (bzw. schon wieder sie) überhaupt etwas will -, bleibt gänzlich unklar.
Ebenso rührend wie verhängnisvoll konfrontiert Nancy Averill Collins (*1959) ihren ‚Helden‘ mit einem Geist, dessen Nachtod-Bedürfnis nicht Rache, sondern Fürsorglichkeit ist. Doch der Kontakt mit dem Jenseits ist für die Lebenden riskant. Dieser Geist will nicht schaden - und ungeachtet des schaurigen Finales lässt die Autorin die Frage anklingen, ob diese Begegnung tatsächlich ein trauriges Ende genommen hat. In eine ähnliche Kerbe schlägt Mary Eleanor Wilkins Freeman (1852-1930), die ungeachtet des empfundenen Mitleids den Geist Geist = unheimlich bleiben lässt.
Robert Arthur (1909-1969) und Mary Elizabeth Counselman (1911-1995) gehen davon aus, dass Geister auf unerwartete Weise entstehen können: Glauben genug Menschen an ihre Existenz, sorgen sie für einen Nährboden, aus dem Jenseitiges sprießt. Diese Theorie bringt Spuk und literarischen Grusel harmonisch zusammen.
Fazit:
Diese wunderbare Sammlung enthält klassische Geistergeschichten, was keineswegs bedeutet, dass die Lektüre höchstens Gänsehaut erzeugt. Schon früh stellten Autor/inn/en klar: Der Kontakt mit dem Jenseits kann hässliche Konsequenzen haben - muss aber nicht, wie einfallsreich und spannend ausgeführt wird: ein Muss für alle Fans des gepflegten Schreckens!
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Laura Purcell, Charles Birkin, Henry James, Stephen King, Algernon Blackwood, Rhoda Broughton, Nancy A. Collins, Walter de la Mare, M. R. James, H. P. Lovecraft, Festa
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