Rendezvous mit Rama
- Heyne
- Erschienen: Juni 1975
- 6
Ganz großes SF-Kino - ein moderner Klassiker ohne Staubansatz
Im Jahre 2131 ist die Menschheit zwar vereint aber keineswegs einig. Im Rat der "United Planets" sitzen Vertreter der Erde, des Mondes, der Planeten Merkur und Mars sowie der Monde Ganymed, Titan und Triton: Das Sonnensystem ist bis zur Umlaufbahn des Uranus‘ besiedelt.
Die sieben Mitglieder der UP stellen auch das "Rama-Komitee", das seine Arbeit aufnimmt, nachdem ein gigantischer, offensichtlich künstlicher Himmelskörper gesichtet wird: Objekt 31/439, später benannt nach der Hindu-Göttin Rama, ist eine Raumarche von zylindrischer Form, misst stolze 50 km in der Länge und weist einen Durchmesser von 8 km auf. Seit Jahrmillionen ist dieses Schiff unterwegs, dessen Kurs direkt auf die Sonne zielt.
Ist "Rama" bemannt? Hegen die Insassen feindliche Absichten? Nur ein Raumschiff ist in der Lage an "Rama" anzudocken, bevor die Arche das Sonnensystem - hoffentlich - wieder verlässt: die "Endeavour" unter ihrem erfahrenen Commander Norton. Obwohl für eine Mission wie diese in keiner Weise ausgerüstet oder vorbereitet, steuert die "Endeavour" den künstlichen Mini-Planeten an.
Das Innere von "Rama" ist eine in vielerlei Hinsicht auf den Kopf gestellte Welt -‚Städte‘ liegen auf der Innenseite des Zylinders, und ein gewaltiges Ringmeer teilt die Landfläche wie die Bauchbinde einer Zigarre. Tot und öde wirkt die Landschaft, aber das ist ein Irrtum. "Rama" erwacht und entlässt eine faszinierende Menagerie, die nicht ganz ungefährlich ist ...
Die Zukunft außerhalb der Kristallkugel
"Science Fiction" ist ein Begriff, der erstaunlich selten seiner eigentlichen Bedeutung gerecht werden kann: Wissenschaft und Fiktion sollen sich in diesem Genre mischen, womit "Wissenschaft" die möglichst realitätsnahe Extrapolation bekannter und gesicherter technischer aber auch sozio-kultureller Aspekte einschließt. Das ist einerseits eine schwierige Kunst und andererseits ein Korsett, aus dem sich die meisten SF-Autoren schon früh befreiten. Sie ersetzten "Science" durch "Technobabbel" und gaben der "Fiction" den Vorzug.
Wunderbare Romane und Kurzgeschichten begründen die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens, zumal sich in den Jahren und Jahrzehnten der SF-Geschichte herausstellte, dass mindestens 99 von 100 Autoren mit ihren Zukunftsprognosen absolut falsch lagen. Wen wundert's, und inzwischen denken nur wenige Zeitgenossen an eine Science Fiction, die von den Dingen kündet, die da kommen werden.
Wobei Arthur C. Clarke mit "Rendezvous mit Rama" zeigt, dass diese nüchterne Betrachtung zu differenzieren ist: Der Zeitfaktor spielt eine wichtige Rolle, wenn man in die Zukunft schaut. Je weiter dieser Blick schweift, desto unsicherer wird die Trefferquote. (Allerdings sinkt auch das Risiko erwischt zu werden: Wer die Gegenwart des 4. Jahrtausends schildert, ist vor persönlicher Haftung sicher ...) Gefährlich ist es außerdem, allzu sehr in Details zu schwelgen. Die Nähe zu naturwissenschaftlichen Grundregeln ist wesentlich hilfreicher als die ‚exakte‘ Beschreibung zukünftiger oder gar außerirdischer Kulturen.
Keine Angst vor dem ungelösten Rätsel
Clarke führt uns mit "Rendezvous" in die Königsklasse der "Hard SF": Er projiziert einerseits die technischen und kulturellen Gegebenheiten seiner Gegenwart - der frühen 1970er Jahre - glaubhaft in das 22 Jahrhundert, während er Rama, die Raumarche, und das Geschehen in ihrem Inneren nur beschreibt aber selten erklärt. Für die meisten SF-Autoren ist die Aufklärung aller aufgeworfenen Rätsel ein Fetisch, der gleichzeitig die Furcht vor einem Publikum beschreibt, das angeblich genau dies fordert und offene Fragen hasst.
Es bedarf schon eines selbstbewussten und talentierten Schriftstellers, um dies als falsch zu entlarven. "Rama" ist und bleibt ein Rätsel. Die Besucher von der Erde bemühen sich in Vertretung der Leser um Erklärungen, doch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Schlüsse Vermutungen bleiben. Sie sind Fremde in einer fremden Welt, die sie mit mehr offenen Fragen verlassen als vor ihrer Ankunft. Selten wurde ratloses Stochern im Unbekannten so spannend als Plot genutzt.
Clarke bedient er sich einer nüchternen, einfachen Sprache, die er freilich mit demselben Geschick wie der Rattenfänger von Hameln seine Flöte bedient. Er schreibt ungemein plastisch; was geschieht, sorgt vor dem geistigen Auge des Lesers für die entsprechenden Bilder. Als versierter Verfasser von Sachbüchern, die sich an den astronomisch und technisch interessierten Laien wandten, wusste Clarke, wie sich komplexe Themen allgemein verständlich vermitteln lassen.
Das hat in der deutschen Fassung überlebt. In der ‚guten, alten Zeit‘ setzten deutsche Verlage auch auf Brot-und-Butter-Titel fähige Übersetzer an, die ihren Job nicht nur verstanden, sondern denen auch die Zeit zugestanden wurde, ihn ordnungsgerecht auszuüben. Ungeachtet der Frage, ob "Rendezvous mit Rama" 1975 für die deutsche Fassung gekürzt wurde - für Clarke ist beispielsweise Polygamie ein alltägliches Phänomen der Zukunft, was für den erschrockenen deutschen Michel womöglich etwas abgeschwächt wurde -, liest sich Roland Fleissners Übersetzung trotz ihres Alters frisch und flüssig.
Das Weltall ist ein Ort für Fachleute
Das perfekte Gleichgewicht zur Geschichte bilden die Figuren. Clarke wurde von der Kritik immer wieder für seine angeblich eindimensionalen und gefühlsarmen Handlungsträger gescholten. Vor allem in der Ära der "New Wave"-SF und ihrer Betonung der ‚geisteswissenschaftlichen‘ Elemente einer zukünftigen Welt hatte es Clarke mit seinen zielstrebig vorgehenden, zumindest ‚im Job‘ sicher auftretenden Protagonisten nicht einfach. Doch hinter dieser Figurenzeichnung verbarg sich Absicht. "Rendezvous mit Rama" war Clarkes Gegenentwurf zum thematisch ähnlichen Roman "Ringworld" (1970, dt. "Ringwelt") von Larry Niven. Auch dieser hatte eine künstliche Welt entworfen, die er indes mit recht ‚menschlich‘ denkenden und handelnden Protagonisten besetzte: Die Ringwelt wird von einem Raumschiff be- und untersucht, dessen Besatzung sich mindestens ebenso intensiv um diverse Konflikte wie um die Forschungsarbeit kümmert.
Diese Mischung aus ‚harter‘ SF, Abenteuer und Seifenoper ärgerte Clarke, der nicht davon ausgehen mochte, dass die Raumschiffe der Zukunft von wankelmütigen Querköpfen gesteuert wurden. Folgerichtig zeichnete er die Besatzung der "Endeavour" primär als "professionals" und erst in zweiter Linie - aber ohne diese Tatsache zu vernachlässigen - als Menschen. Commander Norton und seine Begleiter sind durchaus Individuen und keineswegs zielorientierte Roboter, aber sie stellen den Job über ihr Privatleben und Teamwork über Einzelgängertum. So funktioniert Forschung, will Clarke damit ausdrücken, und das nicht nur in der Zukunft, sondern generell. Was innerhalb "Ramas" geschieht, ist interessant genug und muss nicht durch Liebeshändel, Blastergeballer oder ähnliche künstliche Konflikte aufgepeppt werden. Logisch und auf dem Boden sorgfältig dem Schauplatz angepasster Tatsachen treibt Clarke die Ereignisse entlang eines kräftigen Roten Fadens voran.
Kürze mit zeitloser Würze
Die Rechnung geht auf. "Rendezvous mit Rama" ist ein Roman von heutzutage erstaunlich anmutender Seiten-‚Stärke‘: 300 Seiten reichen voll und ganz aus, eine großartige Geschichte zu erzählen. Clarke hatte sogar noch raffen können; das Zwischenspiel mit der Rakete, die von den ängstlichen Merkur-Bewohnern gen "Rama" gefeuert wird, wirkt ein wenig aufgesetzt.
Aber auch hier beschränkt sich Clarke auf das Wesentliche. Moderne SF-Autoren vermögen viel zu oft die Tinte nicht zu halten - sie walzen jedes Detail unendlich aus und erzeugen Mehrteil-Abenteuer von Ziegelstein-Dicke. Clarke ‚überspringt‘ Handlungssequenzen, die für das eigentliche Geschehen überflüssig sind, weil sie nur der Vorbereitung dienen und sich in ein, zwei Sätzen abhandeln lassen. So geht es ohne Ballast-Geschwätz weiter zum nächsten Höhepunkt; kein Wunder, dass "Rendezvous mit Rama" auch im 21. Jahrhundert erstaunlich modern wirkt - ein zeitloser Klassiker seines Genres, der sich noch lange Zeit als solcher behaupten wird.
Kein Happy-End, sondern ein trauriger Epilog
"Die Ramaner tun alles dreifach ..." Mit diesen Worten endet "Rendezvous mit Rama"; ein starker Schlusssatz, der nach Clarke keineswegs eine Fortsetzung ankündigte. In der Tat herrschte mehr als anderthalb Jahrzehnte Ruhe in Sachen "Rama". In dieser Zeit wurde der Schriftsteller von einer Nervenkrankheit befallen, die seinen baldigen Tod befürchten ließ. Mit "The Fountains of Paradise" (dt. "Fahrstuhl zu den Sternen") veröffentlichte er deshalb 1979 sein mutmaßlich letztes Werk.
Doch Clarke erlebte den Fortschritt, den er in seinen Geschichten so oft beschrieb, am eigenen Leib: Ein Heilmittel gegen seine Krankheit wurde gefunden, der Autor wieder gesund. Er setzte seine Karriere fort. Allerdings lässt sich eine deutliche Zäsur feststellen: Der ‚späte‘ Clarke schrieb nur noch selten selbst, sondern ließ schreiben, was angeblich so aussah, dass er Exposés lieferte, die von anderen Autoren umgesetzt wurden. Diese Heuerlinge konnten dem Altmeister selten das Wasser reichen. Auf jeden Fall trifft dies auf Gentry Lee (geb. 1942) zu, den sich Clarke als ‚Ko-Autor‘ wählte, als man ihn Ende der 1980er Jahre dazu überreden konnte, seinen Namen für eine lukrative Fortsetzung von "Rendezvous mit Rama" herzugeben.
In rascher Folge erschienen ab 1989 drei Romane, die immer seitenstärker und schlechter wurden, weil sie exakte jene Tugenden ignorierten, die den Ursprungsband kennzeichnen. Seifenoper und realitätsfernes Klischee-Abenteuer ersetzten das klare "Rama"-Konzept, was indes nur die Kritiker zu stören schien: "Rama" II-IV waren sehr erfolgreich, weil gefälliger und für den SF-Mainstream zurechtgestutzt.
Arthur C. Clarke, Heyne
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