Marsfieber: Aufbruch zum roten Planeten - Phantasie und Wirklichkeit
- Droemer-Knaur
- Erschienen: September 2003
- 0
Vom Planeten des Krieges zum Planeten der Wunder
Eine Geschichte der Marsforschung in zehn Kapiteln, konterkariert durch den Einfluss des Roten Planeten auf Kunst, Literatur und Film. Die Darstellung setzt nicht in der Vorzeit oder in der Antike ein, sondern mit dem Beginn der Neuzeit oder präziser: mit dem Beginn der modernen Astronomie Ende des 16. Jahrhunderts. Die Instrumente dieser Epoche ermöglichen zum ersten Mal einen echten Blick auf den Mars und damit seine wissenschaftliche Erforschung.
Das frisch erworbene Wissen wirft weitere Fragen auf und befördert ganz neue Dimensionen des Irrtums. Wie man das, was man nicht richtig sehen kann, guten Gewissens erfindet, ist eine Lektion in „wissenschaftlicher Fantasie“: Eisfeld und Jeschke drucken viele Marskarten ab, die eine Oberfläche wiedergeben, die es niemals gab.
Der Erste Weltkrieg markiert den vorläufigen Sieg der reinen Fantasie: Der Mars ersetzt die „Grenze“, die auf Erden verloren ging. Besonders den USA macht der Verlust neuen Landes, das sich erobern und kolonisieren lässt, stark zu schaffen. Entsprechende Gelüste richten sich nun zumindest literarisch auf den Mars. Er wird zum Schauplatz turbulenter Schatzjagden, Feldzüge, Forschungsfahrten, der markigen Mannsbildern mit harten Fäusten die Gelegenheit bietet, ein Vermögen zu machen plus eine schöne Prinzessin (und legte sie auch Eier) zu retten.
Der Mars der „Pulp“-Magazine verwandelt sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einen ebenso phantastischen Film-Mars. Freilich wirkt der bei allen dramaturgischen Freizügigkeiten ‚realistischer‘ als der rote Planet der Burroughs, Bracketts oder Moores: Die Wissenschaft holt auf, leistungsstarke Erkundungssatelliten erreichen den Mars und legen offen, dass der alles andere als eine alte und trockene, aber lebenswerte Welt ist. Nun schwenkt das Pendel um, der Mars gilt als toter, von Meteoriten zerfurchter Staubball.
Noch einmal gilt es umzudenken. In den 1970er Jahren kommt es zu neuen Erkenntnissen: Der Mars war einst ein feuchter, warmer Planet, der theoretisch durchaus Leben tragen konnte - und dies womöglich noch tut, denn es gibt Nischen, die erst die hochempfindlichen Instrumente des 21. Jahrhunderts aufdecken könnten.
Ein Ausblick in die Zukunft schließt die Darstellung ab. Lässt sich der Mars „terraformen“, d. h. künstlich in eine zweite Erde verwandeln? Soll oder darf man dies überhaupt, statt sich um die Probleme der Erde zu kümmern? Hier scheiden sich die Ansichten der beiden Verfasser; sie vertreten eigene Meinungen, die sie getrennt als solche wiedergeben und gleichzeitig verdeutlichen, dass der Mars auch nach Jahrhunderten weiterhin polarisiert, die Gedanken entzündet und ein Katalysator für den menschlichen Geist ist.
Ideen sind gefährlich - und formbar
Als Idee ist die Verklammerung von Fakten und Fiktion nicht neu, aber sie wird - zumal in Deutschland - noch nicht so lange praktiziert wie zum Beispiel im Angelsächsischen, wo man sich nicht fürchtet, kompetentes Wissen publikumswirksam, d. h. unterhaltsam aufzubereiten. Kluge Männer und Frauen sind sich nicht zu schade vor Laien zu treten, um ihnen allgemein verständlich auch komplexe Sachverhalte nahe zu bringen.
In diesem Fall bietet sich dies geradezu an. Die Grenze zwischen dem realen und dem geträumten Mars verschwimmen über viele Jahrhunderte. Wo man nichts Genaues weiß, müssen Vermutungen genügen. Diese verwandeln sich bekanntlich gar zu gern in ‚Tatsachen‘; dies vor allen wenn sich Fanatiker, Medienhaie oder Wirrköpfe einer Sache annehmen. Im Falle des Mars’ begann es mit den Verfolgungen durch die Kirche (katholisch und protestantisch), die sich militant gegen ein Weltbild wehrte, das statt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt des Sonnensystems setzte, und die Abschaffung dogmatischer Denkstrukturen fürchtete, die damit einher gehen mussten.
Das änderte sich lange nicht; immerhin brachten einen gänzlich neue Theorien nicht mehr auf den Scheiterhaufen, was aber keineswegs mit dem Sieg der Wissenschaft einherging. Die Diskussion um die berühmten Marskanäle belegt es exemplarisch. Eisfeld und Jeschke rollen sie angenehm knapp, aber präzise einmal auf und enthüllen die Chronologie eines Missverständnisses, das zum Selbstläufer wurde und vor allem eines belegt: Der Mars war stets auch Platzhalter für irdisches Denken; ein Zufluchtsort für Visionen, die auf Erden keinen Platz mehr fanden.
Informationsvermittlung ist ein Talent
Dies wird auch in einem Kapitel deutlich, das die Autoren einer ganz besonderen Spezies widmen: den Spinnern, die sich einen Mars als Schauplatz außerirdisch intelligenten Lebens ausdachten, bei dessen ‚Entschlüsselung‘ sie endlich jene Rolle spielen durften, die ihnen im realen Leben verweigert wurde. Eisfeld und Jeschke stellen uns ironisch, aber nicht verächtlich die wichtigsten, manchmal tragischen Repräsentanten solcher Fantastereien vor, die selbst oder gerade die Offenlegung der Wahrheit - so beispielsweise die Entlarvung des berühmt-berüchtigten „Marsgesichts“ als simples Licht-und-Schatten-Spiel - in wüste Verschwörungstheorien treibt.
Wirklichkeit und Phantasie harmonieren in „Marsfieber“ beinahe perfekt. Erstere wird in Worte gefasst, die auch der Laie versteht. Letztere profitiert vom Wissen des Duos Wolfgang Jeschke (Schriftsteller und langjähriger Herausgeber der Science-Fiction- und Fantasy-Titel des Heyne-Verlags) und Rainer Eisfeld (Übersetzer und Kenner der Raumfahrtgeschichte).
Ein besonderes Lob verdient das Bildmaterial. Es ist zahlreich, von bestechender Qualität, prunkt mit seltenen Motiven. Allzu viele astronomische Sachbücher ertränken ihre Leser mit einer Flut stets derselben Motive: startende Raketen, Astronauten beim Weltraumspaziergang, Planeten und Monde aus allen Perspektiven. Gerade die Mars-Literatur übertreibt es mit rotsteinigen Wüsten-Panoramen, gern zum Ausklappen oder sogar dreidimensional. Aber ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte oder tausend Fotos, wenn es nur mit Bedacht gewählt wird. Das ist hier gelungen.
Ein wenig aus der Bahn getragen
Wo viel (rotes) Licht ist, gibt es auch ein wenig Schatten. So lässt sich beispielsweise darüber diskutieren, ob das Einstiegskapitel - eine eher ungelenke Hommage an Orson Welles’ „Krieg der Welten“-Hörspiel von 1938, hier aufgehängt an den „Quatermass“-Filmklassikern der britischen „Hammer“-Studios - wirklich die Nahtstelle zwischen Mars-Wirklichkeit und -Fantasie zu verdeutlichen weiß.
Überstrapaziert wird im Zusammenhang mit dem Mars-Thema die Aufdeckung der nazibraun-anrüchigen Frühzeit der US-amerikanischen Raumfahrt. Dass Wernher von Braun und sein deutsches Team während des „Dritten Reiches“ in diverse Kriegsverbrechen verstrickt waren, ist inzwischen bekannt – dies auch dank Rainer Eisfeld, der darüber geforscht und ein sehr gutes Buch veröffentlicht hat, auf das er sich hier jedoch etwas zu fest stützt.
Fazit:
Ein beispielhaftes, immer noch lesenswertes Sachbuch, das sich dem Thema von zwei Seiten kompetent nähert, Wissen ohne Scheu vor einer Forderung des Mitdenkens vermittelt und sich spannend wie ein Roman liest. Großartiges Bildmaterial rundet den positiven Eindruck ab.
Rainer Eisfeld, Wolfgang Jeschke, Droemer-Knaur
Deine Meinung zu »Marsfieber: Aufbruch zum roten Planeten - Phantasie und Wirklichkeit«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!