Blair Witch - Die Bekenntnisse des Rustin Parr

  • Goldmann
  • Erschienen: Oktober 2000
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Blair Witch - Die Bekenntnisse des Rustin Parr
Blair Witch - Die Bekenntnisse des Rustin Parr
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2024

Alte, böse Hexe aus Neu-England

Journalist David Stern wird an das Krankenbett seines Freundes Dominick Cazale gerufen. Der Lehrer, Bürgerrechtler und Sozialarbeiter ist ein geachteter Mann, der auch im Alter von 85 Jahren die Menschen zu beeindrucken weiß. Jetzt hat er sich und seine geliebte Ehefrau Mary mit Benzin übergossen und angezündet; eine Tragödie, die Cazales Freunde und die Polizei vor ein Rätsel stellt.

Stern weiß etwas, das Aufschluss geben könnte: Cazale war einst Priester. 1939 wurde er in das Städtchen Burkittsville im neuenglischen Maryland versetzt. Dort lebte er sich ein und war wie viele Menschen vor ihm fasziniert von der Legende um die Hexe von Blair. 1785 von den Bürgern des gleichnamigen Dorfes (auf dessen Ruinen Burkittsville errichtet wurde) verdammt und in die tiefen Wälder der Black Hills vertrieben, soll sie bittere Rache geübt, die Kinder ihrer Peiniger verschleppt und im Rahmen magischer Rituale getötet haben, bis die entsetzten Bewohner Blair verließen und ihre Stadt aufgaben.

Die Hexe aber lebte weiter: als böser Geist mit Macht über Zeit und Raum, der sogar in die Körper unglücklicher Menschen fahren kann, die in ihren Bannkreis geraten. Im Jahre 1941 kreuzte der Sonderling Rustin Parr den Weg der Hexe. In seiner einsamen Hütte im Wald ermordete er sieben Kinder und stellte sich dann der Polizei. Cazale war es, der ihm in der Nacht vor der Hinrichtung die Beichte abnahm und dabei eine ganz andere Geschichte hörte: Der zwölfjährige Kyle Brody, scheinbar das potenzielle achte Opfer, das dem Wahnsinn nahe in Parrs Folter- und Mordhöhle gefunden wurde, sei in Wahrheit der Täter gewesen - und gleichzeitig ein Werkzeug der Hexe, die in ihm einen neuen Wirtskörper gefunden habe.

Wer hätte diese Schauermär geglaubt? Der junge Cazale schwieg. Sechs Jahrzehnte später reiste er mit seiner Gattin noch einmal nach Burkittsville, um Nachforschungen anzustellen; eine verhängnisvolle Entscheidung, denn die Hexe von Blair ist noch präsent und nutzt die Gelegenheit, ihren Wirkungskreis auf die Welt außerhalb der Black Hills auszudehnen …

Sie kam, spukte - und verschwand spurlos

Diese (fiktive) Geschichte rekonstruiert Autor David Stern, der in dieser Geschichte als sein eigener Protagonist auftritt. Überraschung: Ihm gelingt ein fabelhafter kleiner Gruselschocker, der als gar nicht simples „Buch zum Film“ fein ersonnen und umgesetzt wurde. Begründet wird dies zweifellos auch durch die außergewöhnliche Geschichte der „Blair Witch“. Heute kann man kaum glauben, mit welcher Macht sie 1999 über ein Millionen-Publikum kam: ein hell, aber kurz aufleuchtender Blitzerfolg, an den sich jedoch kaum jemand erinnern konnte (oder mochte), nachdem die Erfolgshysterie abgeklungen war.

Dabei erwies sich besagte Hexe als Figur mit Präsenz, die sich auch außerhalb des künstlich entfesselten Medien-Gewitters gut behaupten konnte. Man hatte ihren Auftritt mit liebevoller Sorgfalt vorbereitet. Einige findige US-Köpfe hatten kurz vor dem Millennium damit begonnen, eine aufwändig gestaltete Website zu kreieren. Sie ‚berichtete‘ über das angebliche Verschwinden dreier Filmstudenten in den Black Hills Anno 1994, nachdem sie bei ihren Vor-Ort-Recherchen über die Hexe von Blair mehr Erfolg gehabt hatten, als ihnen zu wünschen gewesen wäre.

„Virale“ Werbung war 1999 noch neu und fiel deshalb auf einen fruchtbaren Boden. Mit fiktiven Zeitungsberichten, Polizeiprotokollen, Fotos und ähnlichen, dank bereits damals einsatztauglicher Software täuschend echt herzustellenden Dokumenten wurde das fiktive Drama inklusive eines historischen Rückblicks auf zweieinhalb Jahrhunderte Burkittsville bzw. Blair als „Mockumentary“ so mitreißend echt in Szene gesetzt, dass viele Arme im Geiste von seiner Realität überzeugt werden konnten.

Es war einmal … eine Franchise-Hexe

Einige im Wald bei Burkittsville aufgefundene Videokassetten, angeblich das Vermächtnis des unglücklichen Trios, wurden zu der Basis des „Blair Witch Project“-Kinofilms von 1999, der dieses verwackelte Material einer hingerissenen Öffentlichkeit präsentierte. Der Rest ist Geschichte: allein in den USA wurde ein dreistelliger Millionenbetrag eingespielt; es folgte die übliche, aus Geldgier geborene, miserable Schnellschuss-Fortsetzung, die dem Mythos schnell (aber nur vorläufig) ein Ende bereitete.

Das ist schade, denn die Saga besitzt ein enormes Unterhaltungspotenzial. Man hätte sich an die simple „Blair-Witch“-Regel halten sollen, die da lautet: In den Black Hills spukt eine bösartige Hexe, aber was sie dort genau treibt, bleibt ihr Geheimnis. Das ist die Quelle ihres Erfolges: Die „Blair-Witch“-Story weist viele Lücken auf, die ihre Bewunderer unter Einsatz der eigenen Vorstellungskraft füllen (müssen) - auch dies ein uraltes Rezept, das aber immer noch wunderbar funktioniert.

„Die Bekenntnisse des Rustin Parr“ sind folgerichtig keine solchen, sondern eher Andeutungen, die immer neue Fragen aufwerfen und das Rätsel letztlich vertiefen, statt es zu lösen; ein probates Mittel, das Interesse des Publikums zu fesseln. Wenn man es richtig macht, springen erfolgreiche Franchises à la „Insidious“ oder „Paranormal Activity“ dabei heraus.

Künstlicher Mythos mit hohem Unterhaltungswert

Dass daraus Anfang des 21. Jahrhunderts im Falle der Hexe von Blair nichts wurde, darf nicht Verfasser David A. Stern - sonst spezialisiert auf die zügige Produktion zweitklassiger Filmromane - vorgeworfen werden, denn er versteht sein Handwerk und ist zudem kein Neuling in den Black Hills; ebenfalls über den großen Teich ins alte Europa haben es „Blair Witch Project - Ein Dossier“ und natürlich „Blair Witch 2“, das Buch zum gleichnamigen Kinofilm aus dem Jahr 2000 geschafft.

Stern erzählt eine Geschichte mit Einleitung, Hauptteil und Finale. Das „Blair-Witch-Feeling“ beschwören dann die dem zweiten Teil - den Cazale-Aufzeichnungen - beigefügte Fotos aus Burkittsville zum Zeitpunkt des Parr-Tragödie. Von der Blair-Hexe lässt man sich immer noch gern erschrecken. Ob sie sich neu heraufbeschwören lässt oder ihre Zeit endgültig vorüber ist, muss - und wird - sich herausstellen: Nach einem ersten (erfolglosen) Relaunch-Versuch 2016 steht unsere Hexe in einer Ära, in der Kino und Fernsehen mehr und mehr vom Streaming verdrängt werden, aktuell vor einer „Neuinterpretation“, wie die diesbezüglich miteinander verbandelten Unternehmen Lionsgate und Blumhouse das Projekt bezeichnen.

Fazit:

Der künstlich ins Leben gerufene „Blair-Witch“-Mythos erfährt eine spannende Ausschmückung, die wie im Film als „Mockumentary“ präsentiert wird: geschickt gemacht und unterhaltsam.

Blair Witch - Die Bekenntnisse des Rustin Parr

David A. Stern, Goldmann

Blair Witch - Die Bekenntnisse des Rustin Parr

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