Der Fall Jane Eyre
- dtv
- Erschienen: Januar 2004
- 7
Unkonventionelle Fantasy bester Güte
";Der Fall Jane Eyre" ist erfrischend einzigartig. Etwas, was bestürzend wenige Fantasy-Werke von sich behaupten können. Jasper Fforde hat eine Parallelwelt geschaffen, die unserer sehr ähnelt, aber doch in entscheidenden Details sehr verschoben ist. Hier gibt es im Jahr 1985 Zeppeline statt Flugzeuge, der Krimkrieg zwischen England und dem Zarenreich Russland tobt seit 130 Jahren, Werwölfe existieren und Zeitreisen sind möglich. Vor allem aber ist Literatur in dieser Welt so wichtig, dass es riesige Fanclubs gibt und eine spezielle Geheimdienstorganisation Fälschungen und Diebstähle von Manuskripten klärt. Denn - welch ein brisanter Unterschied zu unserer Realität - ändert man ein Originalmanuskript ab, verändert sich die Geschichte in allen anderen Büchern, Auszügen und Abdrucken.
Zeitreisen, Dodos und Jane Eyre
Die patente Literatur-Spezialagentin Thursday Next jagt in dieser Parallelwelt in bester James-Bond Manier den Schurken Acheron Hades, dessen Bösartigkeit seine Passion ist: ";Güte ist Schwäche, Nettigkeit Gift, Zufriedenheit ist Mittelmaß, und Nächstenliebe ist was für Verlierer. Gemeinheiten muss man um ihrer selbst willen begehen!"
>Dem Meisterdieb ist gerade ein spektakulärer Coup gelungen, der in Thursdays Metier fällt: Aus einer verschlossenen Vitrine im Charles-Dickens-Museum hat er das Originalmanuskript ";Martin Chuzzlewit" aus der Feder Dickens entwendet. Als wäre das nicht genug, bekommt Hades ein sogenanntes ";ProsaPortal" in die Finger, die letzte Erfindung des Genies Mycroft (der zufällig auch Thursdays Onkel ist). Das Portal macht Reisen in literarische Welten möglich. Jeder kann damit wortwörtlich in Bücher abtauchen. Mit allen Konsequenzen. Prompt droht der Verbrecher in das Original-Manuskript zu reisen und Martin Chuzzlewit umzubringen, die Hauptfigur des Romans. Und um seine eigene Bösartigkeit zu toppen und ein wenig Druck aufzubauen, entführt er Jane Eyre aus dem gleichnamigen Klassiker. Thursday muss schnell handeln!
Rasante Mixtur verschiedener Genres
Thursday Next ist die Ich-Erzählerin des Romans. Aber Fforde wechselt auch, wenn es für das Verständnis nötig ist, Dinge zu erzählen, die Thursday nicht selbst erlebt, in die dritte Person. Das funktioniert ganz ausgezeichnet, auch wenn oft so getan wird, als müsse sich jeder Autor eindeutig entscheiden, wie er seine Geschichte erzählen will. Muss er nicht! Liebevoll startet jedes Kapitel mit einem pseudo-sachlichen Zitat, das die Richtung der nächsten Seiten vorgibt, Überraschungen und verblüffende Einfälle inbegriffen. Das unterhält aufs Beste.
Ein absoluter Pluspunkt ist die Hauptfigur, die man nicht mehr missen möchte. Thursday Next ist mutig, hat ihre Prinzipien, aber will vor allem sehr menschlich ihren persönlichen Weg finden in ihrer abstrusen Welt, die darin zumindest unserer aufs Haar gleicht. Die Mitdreißigerin mit dem Pferdeschwanz wirkt so echt, dass man glaubt, sie auf der Straße erkennen zu können, wenn sie vorbei käme. Sie liebt ihre leicht nervige Mutter, ihren verschrobenen Erfinder-Onkel und ihren Vater, der die Zeit anhalten kann, wenn er bei seinen Zeitreisen (er ist auf ewiger Flucht vor der ChronoGarde) mal kurz vorbeikommt. Aber einfacher wird ihr Leben durch ihre Familie auch nicht. Ihr Job ist außergewöhnlich, jedoch hat sie auch ihre ganz normalen Probleme. So erfahren wir, dass sie immer noch einer alten Liebe hinterher trauert, mit Modetrends und PR-Beraterinnen ihre Probleme hat und stur ihr Haustier Pickwick, einen geklonten Dodo, in jedes Hotelzimmer schmuggelt, damit er nicht einsam ist. Thursday Next schliddert von einer absurden Situation in die nächste, aber die Art, wie sie sich damit arrangiert, ist glaubwürdig und sehr gut ausgedacht.
Rasante Liebeserklärung ans Lesen
Jedem halbwegs passionierten Bücherwurm geht bei ";Der Fall Jane Eyre" das Herz auf, denn das Lesevergnügen ist eine einzige Liebeserklärung an die Literatur. Es kann nicht schaden, sich ein wenig mit den britischen Klassikern von Bronte, Dickens und Poe auszukennen, weil man sonst manche Anspielungen und eingestreuten Witze verpasst. Aber es ist vor allem ein Riesenspaß, eine Achterbahn voller Kniffe, Wendungen und Wortwitz. Mit offensichtlicher Begeisterung streut der Waliser Fforde kleine liebevolle Details ein, wie zum Beispiel, dass Wales in seiner Version ein unabhängiges Reich ist.
Jasper Fforde brauchte einige Anläufe bis sein Buch veröffentlicht wurde, bestimmt auch, weil es nicht in die klassischen Vampir-Romantik- oder Tolkien-Abklatsch-Schublade passt. Ein wenig erinnert der Humor an Douglas Adams, die schwungvolle Erzählart an die Artemis-Fowl-Reihe, aber vor allem ist das Buch etwas vollkommen Eigenes: ein schräger Mix aus Agentenroman und Fantasy, mit viel Liebe zur klassischen Literatur. Vielleicht sollte man ab jetzt sagen: ein typischer Fforde. Hut ab. Nur eine brennende Frage bleibt: wo kriege ich einen Dodo her?
Jasper Fforde, dtv
Deine Meinung zu »Der Fall Jane Eyre«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!