Galaxis Science Fiction 2
- Moewig
- Erschienen: April 1958
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Sehnsucht nach den ganz großen Fernen
Die zweite deutschsprachige Ausgabe des US-Magazins „Galaxy“ präsentiert eine kurze und fünf längere SF-Storys sowie einen populärwissenschaftlichen Artikel:
- Lothar Heinecke: Das Observatorium, S. 2/3
- Frederik Pohl: Die Kartographen (The Mapmakers; 1955), S. 4-38: Das bordinterne Navigationssystem wurde zerstört, weshalb Raumschiff „Terra II“ nach dem Sprung durch den Hyperraum irgendwo in den Weiten des Universums und damit faktisch unrettbar verloren ist.
- Jerome Bixby: Zen (Zen; 1952), S. 38-46: Wider alle Wahrscheinlich findet das letzte männliche Wesen einer untergegangenen Weltraum-Intelligenz dank Menschenhand ein weibliches Gegenstück; die gute Tat zeitigt unerwartete Folgen.
- Alan E. Nourse: Gluthölle Merkur (Brightside Crossing; 1956), S. 46-71: Die Querung des sonnennächsten Planeten bei ‚Tageslicht‘ wird zur lebensgefährlichen Obsession, der immer neue Abenteurer verfallen.
- Lothar Heinecke: Im nächsten Heft ..., S. 71
- Willy Ley: Das Ding von einem anderen Stern (For Your Information: Let's Build an Extraterrestrial!; 1956), S. 72-84
- Michael Shaara: Die Verlassenen des Alls (Orphans of the Void; 1952), S. 84-105: Sie haben vor Äonen ihre Schöpfer und Herren verloren und warten auf ihre Rückkehr, als ein menschliches Raumschiff auf ihrem Planeten landet.
- Roger Dee: Die Nacht brach an (Pet Farm; 1954), S. 195-115: Die Landung auf einer ehemaligen ‚Versuchskolonie‘ außerirdischer Feinde lässt die zwar vorsichtigen, aber dennoch zu wagemutigen Erdmenschen in eine immer noch offene Falle tappen.
- Bascom Jones, Jr.: Liebe macht blind (Blind Spot; 1955), S. 115-125: Ein Mars-Mann vergisst, dass er als „Mensch zweiter Klasse“ gilt.
- Lothar Heinecke: Der literarische Test, S. 127
Die Erde an Bord beim Flug ins Weltall
Sauer- und Treibstoff, Wasser und Nahrungsmittel, Ersatzteile ... Lang ist die Liste der Dinge, die der Mensch an Bord haben muss, wenn er sich ins Weltall begibt. Hinzu kommt die eigene Person, die bekanntlich nicht so ‚funktioniert‘ wie die Technik. Zwischenmenschliche Probleme wird man auch in ferner Zukunft dorthin exportieren, wo der Aufenthalt ohnehin gefährlich genug ist. Diese Tatsache sorgt dafür, dass die in dieser Sammlung erscheinenden Geschichten erstaunlich zugänglich sind.
Frederik Pohl (1919-2013) gießt so viele Ideen in seine Erzählung, dass moderne Autoren daraus sicherlich eine mehrtausendseitige Fortsetzungsgeschichte pressen würden. Als Pohl sein Garn 1955 spann, gingen Autoren noch freigiebig mit ihren Einfällen um, mit denen sie nicht selten literarisch unbeackertes Neuland betraten. ((So schildert Pohl ein Raumschiff, dessen Besatzung aus Männern und Frauen bzw. „Mädchen“ besteht). „Die Kartographen“ fesselt auf „Action“ fixierte Leser mit der dramatischen Havarie eines (allerliebst analog funktionierenden) Raumschiffs - weil Elektrizität während des Hypersprungs verboten ist, wird das Innere mit Kerosinlaternen beleuchtet -, findet aber darüber hinaus zu ‚wahrer‘ Science Fiction: Die scheinbare Katastrophe entpuppt sich als Moment der Erkenntnis. Zukünftig wird die Raumfahrt sich elementar ändern, weil die Menschen gelernt haben, dass man sich auf die Gesetze des Universums einlassen muss, statt sich diese zu unterwerfen.
Roger Dee Aycock (1914-2004) gehört nicht zu den großen Namen der Science Fiction. Sein Beitrag zeigt, dass sich dieses Urteil nicht auf die Qualität eines Werkes niederschlagen muss. „Die Nacht brach an“ folgt keiner durch Entdeckergeist und/oder Eroberungswillen verschmolzenen Crew, sondern erzählt von fähigen, aber müden bzw. desillusionierten, manchmal streitsüchtigen Profis, die ungeachtet ihres Erfahrungsschatzes in eine Falle laufen. (Die Story ist Mittelstück einer dreiteiligen Serie, die weitere Erlebnisse der Gruppe schildert.)
Auch Bascom Jones, Jr. (1924-1994) ist vom Autoren-Radar verschwunden. Seine Geschichte ist düster und übt Kritik an einer sozialen Diskriminierung, die in den 1950er Jahren gelebte Realität war. Unter diesem Aspekt muss man „Liebe macht blind“ lesen, denn heute birgt die ‚schockierende‘ Final-Auflösung keine Überraschung mehr; man rechnet mit ihr, weshalb die ohnehin per Zaunpfahl-Wink erteilte ‚Lehre‘ ausbleibt.
Falscher Ehrgeiz ist weltraumtauglich
Ende Mai 1953 wurde erstmals der Mount Everest bestiegen. Der höchste Berg dieser Erde hatte sich lange gewehrt; mehrere Expeditionen waren verlustreich gescheitert. Vor allem das Desaster von 1924 hatte sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben, weil mit George Mallory und Andrew Irvine gleich zwei Lichtgestalten der internationalen Bergsteigerelite umgekommen waren. Sie stehen in einer Reihe ähnlich ‚glorreicher‘, für ihr Vaterland gestorbener Entdecker-‚Helden‘. In dieser Liste hält Robert F. Scott, der im Januar 1912 ‚nur‘ als zweiter Mann den Südpol erreicht hatte und auf dem Rückweg mit allen Begleitern gestorben war, theatralisch-tragisch die Spitzenposition.
Alan Edward Nourse (1928-1992) nimmt den (Un-) Geist solchen Entdeckertums, das tatsächlich eine Eroberung ist, kritisch unter die Lupe. Er transportiert es in die Zukunft und auf einen fernen Planeten, wo weiterhin ein als Forschergeist maskierter Ehrgeiz Menschen antreibt, die nicht erleben, sondern besiegen wollen. Nourse findet die ideale Kulisse: Die Überquerung der zum Zeitpunkt der intensivsten Sonnenstrahlung mehr als 400° heißen Merkur-Tagseite ist eine faktisch sinnlose Herausforderung, die nur unter ‚sportlichen‘ Gesichtspunkten zu rechtfertigen ist. Die unter Missachtung sämtlicher Warnsignale begonnene Höllenfahrt scheitert mehrfach tödlich. Niemand lernt daraus; selbst der an Leib und Seele schwer versehrte Überlebende will wieder mit, als die nächste ‚Expedition‘ startet.
Michael Joseph Shaara (1928-1988) erzählt im SF-Gewand die alte Geschichte einer „lost race“, die der Realität verlorenging, in einer Nische lange unentdeckt blieb und auf sich selbst beschränkt war. Weil wie gesagt eine SF-Geschichte erzählt wird, sind es keine Lebewesen, die dieses Schicksal erfahren, sondern Roboter, die als dramatische Zugabe ein Selbstbewusstsein entwickeln. Ihre vergebliche Wacht wirkt dadurch besonders traurig, doch glücklicherweise kommen Menschen, die gern in die Bresche springen und die Sehnsucht der Roboter nutzen, um diese nun für sie schuften zu lassen: Was heute zynisch wirkt, mag damals tröstlich geklungen haben ...
Sägespäne einer Sammlung
Jerome Bixby (1923-1998), der als Autor in sämtlichen Genres der populären Unterhaltungsliteratur aktiv war (und auch Drehbücher für Kinofilme und TV-Serien wie „Raumschiff Enterprise“ verfasste), bedient jene Leser, die Storys mit finalem „Aha!“-Effekt lieben. Die Auflösung nicht tragisch wie bei Shaara, sondern ‚humorvoll‘; ein Adjektiv, das in ‚Als-ob‘-Anführungsstriche gesetzt werden muss, weil viele Jahrzehnte später oft nicht mehr komisch sein darf, worüber unsere Ahnen noch lachten. Hier ist es der (mit keinem Wort explizit angesprochene) sexuelle Aspekt, der als in der Tat leerlaufender Treibriemen das Alter der ansonsten routiniert geschriebenen Kurzgeschichte unterstreicht.
Willy Ley (1906-1969) nicht nur für die US-Ausgabe des Magazins „Galaxy“ tätig - ein studierter, anerkannter Physiker, der sich ungeachtet seiner Mitarbeit an diversen US-Raumfahrtprojekten ‚herabließ‘, SF-Fans, aber auch ‚normalen‘ Menschen komplexe astronomische Sachverhalte allgemeinverständlich vorzustellen. Während die Technik der Zukunft auf solider Basis extrapoliert wurde, zeugt Leys hier präsentierter Text von jener Ahnungslosigkeit, die in Sachen extraterrestrischer Biologie und Biochemie herrschte. Seine Vorstellungen außerirdischen Lebens sind eng an irdische Vorbilder gebunden, wirken heute altbacken und komisch. Aber erst viele Jahre nach Ley entdeckte man Leben dort, wo es nach tradierten naturwissenschaftlichen Regeln nicht existieren konnte. Doch in stockdunkel-eisiger Tiefsee oder brodelnden, giftigen Quellen kriechen Kreaturen umher, die dies theoretisch auch auf anderen Planeten oder Monden unseres Sonnensystems könnten.
Insgesamt bietet auch die zweite Ausgabe des deutschen „Galaxis“-Magazins mehrheitlich Unterhaltung mit ‚doppeltem Boden‘, der einen oft kritischen, auf zeitgenössische Missstände zielenden Subtext trägt. Die Erzählungen sind weniger alt als gut gereift, weshalb von der Zeit überholte Irrtümer und Fehleinschätzungen sich harmonisch ins Gesamtbild fügen.
Fazit:
Gute = unterhaltsame SF-Storys und ein inhaltlich von der Zeit/witzig widerlegter ‚wissenschaftlicher‘ Artikel sorgen dafür, dass auch die zweite Ausgabe des ‚deutschen‘ „Galaxis“-Magazins seinen Lektürewert nicht eingebüßt hat.
Lothar Heinecke, Moewig
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