Arabesken

  • ‎Independently published
  • Erschienen: Oktober 2023
  • 0
Arabesken
Arabesken
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2024

Alles schon dagewesen: Proto-Fantasy

Vier Erzählungen aus einer magisch-verwunschenen ‚Vergangenheit‘:

- Monarè, S. 7-46: Just zum Ritter geschlagen, zieht der junge Walter von Ilzerley hinaus in die Welt, um standesgemäß Gottes Werk zu verteidigen und das Böse zu züchtigen; viel Mut, sein scharfes Schwert und eine Prise Magie sind erforderlich, um eine in der Gefangenschaft heidnischer Sarazenen schmachtende Jungfrau zu befreien.

- Apollyona, S. 48-82: Auf der Suche nach Abenteuern gerät ein Ritter in den Bann der schönen, aber bösen Pyrenäen-Hexe, die ihn in ihre seltsamen, dämonischen Gefilde entführt und mit schaurigen Geschichten ablenkt, bis er seine heilige Mission vergisst.

- Domitia, 83-103: Als die Mutter durch einen ‚Unfall‘ stirbt, fährt ein Geist in ihren Leib. Fieberhaft sucht dieser nach jenem gut versteckten Relikt, das ihm endlich die Freiheit des Todes bietet, als die Tochter dem Eindringling auf die Schliche kommt.

- Ombra, S. 105-146: Wie es sich ziemt, zieht der junge Ritter in die Welt hinaus. Liebliche Musik lockt ihn zu einem einsamen Turm. Dort haust der Zauberer und Totenbeschwörer Mazitka, der stets bereit ist, sich für ein gutes Honorar in den Dienst böser Menschen zu stellen. Seine Schwäche ist die Liebe zur schönen Ombra, die sich auf des Ritters Seite stellt, als dessen perfide Schwiegermutter einen Gattenmord plant.

Helden und Jungfrauen, Zauberer und Bösewichte

Helden und Schurken, (schöne) Maiden und Hexen, dazu Drachen, Trolle, Geister und andere Geschöpfe der Finsternis: Die Fantasy ist ein Sammelbecken solcher und ähnlicher Archetypen. Sie verharren in ihren vorgegebenen Rollen und sorgen für selten originelles, aber bewährt spannendes und/oder emotionales Geschehen. Bücher, Comics, Filme, Streaming-Serien: Wem fallen nicht umgehend einschlägige Beispiele ein?

Zwar ist die moderne Fantasy vor allem ein Trieb jener Ära, in der entsprechende Abenteuer in Magazinen erzählt wurden. Vor allem seit der Mitte der 1920er Jahre schossen solche „Pulps“ vor allem in den USA wie Pilze aus dem Boden. „Conan“, „Tarzan“, „Jirel of Joiry“: Die Held/inn/en dieser Zeit bereiteten den Boden für jene oft oberflächliche Fantasy vor, die sich heutzutage in ziegelsteindicken Bänden über erstaunlich tolerante (bzw. leidensfähige) Leser/innen ergießt.

Diese triviale Fantasy ruht auf den Schultern oft ehrgeiziger Schriftsteller-Ahnen und reicht in erstaunlich lange vergangene Zeiten zurück. Sarah Dana Greenough (1827-1885) ist eine durchaus typische, aber (zu Unrecht) weitgehend in Vergessenheit geratene Autorin, die sich auf ältere Werke stützte, sie aber für ihre Gegenwart inhaltlich und formal so paraphrasierte, dass sich die höchstmögliche Publikumsakzeptanz einstellte.

Blick zurück in eine Welt der Ideale und Schrecken

Greenough wurde in den USA geboren, zog aber mit Richard, ihrem Ehemann (der ein recht bekannter Bildhauer war) 1848 nach Italien. Sie blieb in (Süd-) Europa, unternahm zahlreiche Reisen und verinnerlichte Geschichte und Kultur ihrer Wahlheimat, indem sie sich diese quasi aneignete und zu schreiben begann. (Wie es sich für eine rechtschaffene Ehefrau des 19. Jahrhunderts gehörte, veröffentlichte Greenough ihre Werke unter dem Namen des Gatten.) Greenoughs Gedichte und Erzählungen spielen in einer idealisierten Vergangenheit, die tief in der Welt alter Legenden, Sagen und Märchen wurzelt.

Auch „Arabesken“, die hier gesammelten, 1872 erstmals veröffentlichten vier Geschichten, transportieren ein sorgfältig auf scheinbar klassische Motive und Werte ausgerichtetes Gedanken- und Wertesystem, das sich freilich als ebenso künstlich erweist wie die Pseudo-Historien der weiter oben erwähnten ‚richtigen‘ Fantasy. Daher erkennt der Kenner/Leser des Genres vieles wieder, was auch heute mehr oder weniger präsent und typisch ist. Nicht einmal die überbordende Emotionalität - man könnte sie auch pseudo-dramatische Süßlichkeit nennen - steht dem entgegen: Wer kennt sie nicht, jene Momente akuten Fremdschämens, wenn es in einer der aktuellen Fantasy-Streamingserien ‚tragisch‘ wird?

Europa mit seiner Vorgeschichte ist eine wahre Fundgrube für Legenden, in denen Heilige, Helden und Unholde auskämpfen, was dem Menschen seit der Vertreibung aus dem Paradies auferlegt war. Die altfranzösische Rolandssage, die britische Arthus-Legende, das mittelhochdeutsche Nibelungenlied waren einige der Quellen, aus denen die Autorin schöpfte. Sie trivialisierte diese Vorlagen, überhöhte sie aber gleichzeitig, wie es die Präraffaeliten taten, deren Werke Greenough natürlich bekannt waren: Die Vertreter dieser Kunstrichtung - Schriftsteller, Dichter, Maler - beriefen sich wie sie auf die Werke des (italienischen) Mittelalters und der Renaissance.

Alles ist Realität, aber auch Symbol

Es sind die Ideale einer seltsamen, ebenso exotischen wie reglementierten Welt, mit denen uns Greenough konfrontiert. Sie wird nicht nur von Menschen bewohnt, sondern auch von Hexen, Zauberern und Ungeheuern. Diese stehen für eine unkontrollierte und ‚heidnische‘ Vergangenheit, die noch nicht überwunden ist und dem Christentum Widerstand leistet. Weiterhin gibt es in schwach besiedelten Regionen Schlupfwinkel für Unholde, und an den Ost- und Südgrenzen des Abendlandes drohen die Sarazenen = islamische Völker, die sich gegen den Missionseifer der christlichen Kirche zu wehren wissen und deshalb erst recht als ständige, düstere Bedrohung gelten.

Solche Nester des Unglaubens müssen ausgeräuchert werden, weshalb in Greenoughs Geschichten immer wieder junge Edelmänner ihre Heimatburgen verlassen. Das ritterliche Ideal verlangt den Kampf für Gott, und die „Queste“ als notwendige Prüfung des gepanzerten Kämpfers, der sich mutig dem bösen/höllischen Feind zu stellen hat. In „Monarè“ und „Ombra“ wird geliefert, während der Ritter in „Apollyona“ (tragisch) der Verlockung des Bösen erliegt; dafür wird er mit ewigen Gewissensbissen und einer drastisch verkürzten Lebensspanne bestraft: Gott ist in dieser Kunstwelt nicht nur ständig präsent, sondern auch ungemein anspruchsvoll. Wer ungeachtet seines Auftrags der Schwäche nachgibt, ist zu einem elenden Ende verdammt. In diesem Punkt gibt es keine Gnade. Das spiegelt sich auch in den Schicksalen der jeweils auftretenden Hexen, Magier und Geister wider, die zu ‚guter‘ Letzt bekommen, was sie ‚verdienen‘.

Eine gewisse Ausnahme stellt die Erzählung „Domitia“ dar. Hier fährt ein (recht böser) Geist in die Leiche einer verunfallten Mutter und lässt sich von einer Hexe beraten. Doch es geht letztendlich um Befreiung und Seelenrettung sowie die Ermöglichung eines Todes, der die Besessenheit der Mutter beendet. Deshalb stellt sich die Tochter in den Dienst des Geistes und vollendet, was der Hexe nicht gelang. So endet auch diese Geschichte ‚gut‘: Der Geist (und die Hexe) lösen sich in Luft auf, die Leiche der Mutter kann spukfrei betrauert und begraben werden.

Wucht und Wirksamkeit

Was rührselig und altbacken wirken könnte, wirkt bemerkenswert dicht, spannend und dort modern, wo die angesprochenen ‚ewigen‘ Fantasy-Werte ihre bewährte Wirkung entfalten. Irritieren mag eine Strenge, die sich weniger in den Gesetzen dieser Welt niederschlägt, sondern ein Geflecht aus moralischen, oft ungeschriebenen Vorschriften und Zeremonien prägt, das zumindest den Adel bei Schritt und Tritt begleitet: Edle Männer sollen und müssen Vorbilder sein, redliche Frauen sie dabei begleiten und entlasten. (In „Domitia“ wird die Tochter auch deshalb aktiv, weil der Vater ständig abwesend ist, weil er Heiden und intrigante Fürsten bekämpfen muss.)

Sind Frauen schön, halten sich aber nicht an die Regeln, hat man es gewiss mit Hexen oder potenziellen Gattenmördern zu tun. Ansonsten gibt es noch jene idealen „Damen“, die man(n) ritterlich, d. h. ohne (schmutzige) Hintergedanken auf ein Podest stellt, verehrt und rettet; gern lösen sich diese vor dem Finale in Nichts auf, was ihren übernatürlichen Anspruch auf eine solche Behandlung zusätzlich belegt.

Es ist erfreulich, dass diese hierzulande nie erschienenen Storys entdeckt, übersetzt und herausgegeben wurden; dies auf eine Weise, den den antiquierten Sprachduktus gleichermaßen bewahrt wie im Fluss hält. Heute sind selbst niedrige Druckauflagen erschwinglich, weshalb Liebhaber und Kenner wie Detlef Eberwein solche und andere Texte nicht nur ‚retten‘, sondern auch einer kleinen, aber interessierten Leserschaft zugänglich machen können. Handwerklich schlicht, aber solide in Buchform gegossen, ist „Arabesken“ ein Bändchen, das vorbildlich den Eifer und das Wissen hinter solchen Ausgrabungen verdeutlicht (und Lust auf weitere Eberwein-Entdeckungen macht, die im Anhang aufgelistet werden).

Fazit:

In vier Erzählungen mischen sich Aspekte alter Mythologien und Märchen mit den Stereotypen der modernen Fantasy. Der Unterhaltungswert ist ungeachtet des Alters dieser Geschichten beträchtlich, was auch an einer ebenso behutsamen wie gelungenen (und grammatikalisch ‚reinen‘) Übersetzung liegt: eine erfreuliche Lektüre-Entdeckung, die gern geteilt wird!

Arabesken

Sarah Dana Greenough, ‎Independently published

Arabesken

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Arabesken«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery