Eine Reise ins Ungewisse
Paradise One stammt aus der Schmiede von Orbit UK, einem Science-Fiction- und Fantasy-Label des großen britischen Verlages Little, Brown Book Group. Orbit UK hat einige weltbekannte Bestseller-Autoren unter seinen Fittichen. Hierzu gehören z. B. James S. A. Corey, Robert Jordan, Trudi Canavan und Anthony Ryan (eine bei weitem nicht abgeschlossene Aufzählung).
David Wellington, der eng mit der Ideenschmiede von Orbit UK zusammengearbeitet hat, präsentiert uns mit Paradise One einen Roman, der auf den ersten Blick nicht allzu viel von sich preisgeben will. Doch dafür, liebe Lesenden, habt ihr ja uns, die neunmalklugen Buchkritiker der Phantastik-Couch. Ich werfe gerne einen zweiten Blick hinter die Fassade von neu erschienener Literatur und bringe Licht in das Dunkle.
Die Crew
In ferner Zukunft beginnt die Menschheit mit der Eroberung des Weltalls. Auf anderes intelligentes Leben sind die Menschen bei ihrem Kolonialisierungsvorhaben bislang nicht gestoßen.
Einer dieser zu besiedelnden Planeten ist Paradise One, der Namenspatron dieses Buches. Tausende Kolonisten machen sich voller Vorfreude auf die Reise zu ihrem neuen Zuhause. Doch eines Tages bricht der Kontakt zu Paradiese One ab. Die Brandwache, eine Art Weltraumpolizei, versucht fieberhaft, den Kontakt wiederherzustellen. Bislang jedoch ohne Erfolg. An dieser Stelle betreten unsere Protagonisten das Rampenlicht.
Alexandra Petrowa, eine Offizierin der Brandwache, hat konsequent mit ihrer Familiengeschichte zu kämpfen. Lange Jahre war ihre Mutter die Leiterin der Brandwache. Alexandra musste während ihrer Kariere immer doppelt so hart wie andere Mitarbeiter arbeiten, um das Brandmal der Vetternwirtschaft auszukurieren. Nachdem ihre Mutter pensioniert wurde, schickt die Brandwache Petrowa auf eine dem Anschein nach Routinemission zu einer entfernten Kolonie, um nach dem Rechten zu sehen.
Unterstützung erhält sie von Pilot Sam Parker. Er und Petrowa haben eine gemeinsame Vergangenheit. Auf ihrer Reise zu Paradise One kommen sich die beiden wieder näher.
Hinzu kommt der Arzt Dr. Zhang. Er hat in jüngster Vergangenheit einige traumatische Ereignisse miterlebt und ist gerade zu Anfang des Abenteuers ein eher mürrischer Zeitgenosse. Hinter dieser abwehrenden Fassade versteckt sich ein zutiefst verängstigter Mensch, der nur mit Hilfe eines Art Armbandes, das ihm diverse Medikamente verabreichen kann, seinen Alltag zu bewältigen weiß. Die Aufgaben dieses Armbandes sind jedoch wesentlich weitreichender. Um es kurz und knackig zu formulieren: Dieser kleine Armreif soll Dr. Zhang unter allen Umständen am Leben erhalten, was der Apparatur bisweilen auch eindrucksvoll gelingt, denn er ist von besonderer Bedeutung für die Mission.
Dieses Trio wird von einem Roboter mit dem Namen Rapscallion komplettiert. Anders als viele andere KIs in diesem Werk gehört Rapscallion zu einer Gattung von Maschinenwesen, die ein eigenes Naturell und gewisse Arten von Gefühlen entwickeln können. Sie haben zwar nicht die Rechenleistung wie moderne Schiff-KIs, sind jedoch gleichwohl ziemlich nützliche Zeitgenossen. Rapscallion hat sich im Laufe seines Lebens einen tollen Sinn für Sarkasmus zugelegt, der das Lesen wunderbar auflockert. Außerdem hat der Roboter ein leidenschaftliches Interesse für Modeleisenbahnen. Was für eine kongeniale Charakterzeichnung! Allein für diesen Roboter wäre der Literaturnobelpreis verdient gewesen. Aber mich fragt ja leider niemand.
Kommen wir nun zum Ernst der Sache zurück. Die Charaktere machen einen großen Teil der Geschichte aus. Sie sind gut aufeinander abgestimmt. Es macht Spaß, ihre Geheimnisse zu erkunden, und gerade zu Ende der Story gelingt es dem Autor hervorragend, den Leser am Leiden seiner Protagonisten teilhaben zu lassen.
Nichts ist wie es scheint
Als die Crew den Orbit von Paradise One erreicht, sehen sich die Protagonisten einer Gefahr gegenüber, die als beispiellos in der Historie der Menschheit zu klassifizieren ist:
Paradise One ist umgeben von Raumschiffen, die vermeintlich seelenlos durch den Weltraum gleiten. Schnell wird deutlich, dass irgendjemand oder irgendetwas Schiff-KIs und Besatzungen mit widernatürlichen Gedanken und Zwängen infiziert. Hinzu kommt, dass die Infizierten mit allen Mitteln versuchen, Petrowa und ihre Crew vom Betreten des Planeten abzuhalten.
Um die Spannung an dieser Stelle mit etwas mehr Leben zu füllen, möchte ich euch folgendes Szenario skizzieren: Unsere Helden gelangen während ihres Horrortrips auf ein Raumschiff, dessen Crew felsenfest davon überzeugt ist, einen Parasiten in sich zu tragen. Was die Infizierten daraufhin mit ihren Körpern anstellen, ist selbstmörderisch und alles andere als ästhetisch. Vielmehr möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht sagen, denn das Mysteriöse an den Vorkommnissen rund um Paradise One macht einen fundamentalen Anteil am Reiz dieses Buches aus.
In seinen besten Momenten entfaltet dieser Roman einen wahrlich grandiosen Nervenkitzel. Leider kann es dieses Niveau nicht über die gesamte Länge der Handlung halten. Insbesondere im Mittelteil des Buches führen gewisse wiederholende Handlungsweisen zu einem Abfall der aufgebauten Spannung.
Keine Sorge, liebe Leser: Insgesamt bietet Paradise One gelungene Unterhaltung. Da stört es kaum, dass es sprachlich an mancher Stelle etwas im Gebälk rumort.
Fazit:
Zusammen mit Anna Jackson, Jenni Hill und James Long, die zu den leitenden Angestellten bei Orbit UK gehören, kredenzt uns David Wellington einen spannenden Science-Fiction-Roman, der sich vor allem das Gruseln auf die Fahne geschrieben hat. Dieses Vorhaben gelingt und alle Fans von „Alien“ werden hier sicherlich auf ihre Kosten kommen.
David Wellington, Heyne
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