Blackwater - Eine geheimnisvolle Saga: Buch 1
- Festa
- Erschienen: April 2024
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Horror kommt über eine blinde Stadt
In Perdido, US-Staat Alabama, gehen die Uhren langsam. Noch immer folgt das 1200-Seelen-Städtchen den Idealen der Konföderation, deren Untergang sich kaum im Gesellschaftsbild widerspiegelt: Ganz unten stehen nach wie vor die schwarzen ‚Mitbürger‘, die in ihrem kümmerlichen Dasein immerhin ungestört bleiben, weil niemand gegen die freundliche Tyrannei der Weißen aufbegehrt.
Die Familien Caskey, DeBordenave und Turk haben das Sagen in Perdido. Sie besitzen je eines der Sägewerke, die weit und breit praktisch die einzigen Arbeitsplätze bieten. Um den Abtransport des Holzes zu erleichtern, wurde der Ort am Ufer des Flusses Blackwater gegründet. Dieser blieb bisher innerhalb seiner Ufer, bis es in diesem Frühling des Jahres 1919 zu einer Flut kommt, die buchstäblich ganz Perdido unter Wasser setzt. Nur das Hotel ragt heraus - und dort findet man Elinor Dammert, die angeblich die Räumung der Stadt verschlafen hat.
Die junge Frau bezaubert die Bürger und wird willkommen geheißen. Nur Mary-Love Caskey hasst sie, was für Spannungen sorgt, als sich Oscar, ihr Sohn, in Elinor verliebt; bald wird geheiratet. Im Chaos des Wiederaufbaus bleibt unbemerkt, dass der Tod nach Perdido gekommen ist und reiche Beute macht ...
Die Schauerlichkeit des US-Südens
„Southern Gothic“ ist ein Subgenre des Horrors, das in den Südstaaten der USA beheimatet ist. Hier bietet vor allem die Geschichte (Spreng-) Stoff für ganz besonderen Schrecken. Im 19. Jahrhundert ruhte der wirtschaftliche Erfolg der Südstaaten buchstäblich auf den Schultern schwarzer Sklaven, die aus Afrika ‚importiert‘ und als rechtlose Arbeitskräfte ausgebeutet wurden. In diesem Umfeld entstand eine weiße ‚Aristokratie‘, die ihren Wohlstand zelebrierte und dabei einen an (ungeschriebenen) Regeln reichen Kodex entwickelte, der Unrecht und Unmenschlichkeit der Sklaverei ausblendete.
Der Untergang des konföderierten Südens im Bürgerkrieg von 1861-1865 brachte zwar das offizielle Ende der Sklaverei, doch die Folgen blieben präsent und bildeten eine ewige Wunde in einer Gesellschaft, die nur oberflächlich aus „Amerikanern“ bestand. Die ehemaligen Sklaven blieben arm und von ihren ehemaligen Herren abhängig, für die sie nunmehr schlecht entlohnt schuften mussten. Weiterhin galten sie als Menschen zweiter Klasse, die man ins soziale Abseits abdrängte und notfalls gewaltsam in unterwürfiger Abhängigkeit hielt.
Das von Autor Michael McDowell entfesselte Grauen wurzelt nicht hier. Der US-Süden dient ihm als Kulisse, wird zu einer ‚archaischen‘ Region, in der eine tropische, d. h. ungezähmte, gefährliche Wildnis direkt an die polierte Zivilisation grenzt. Hirnerweichend heiß ist es und ständig feucht. Schimmel und Schleim, Giftschlangen und Alligatoren sind allgegenwärtig. Niemand weiß, wer oder was sich in den unwegsamen Sümpfen und Feuchtwäldern verbirgt. Hier werden unheimliche ‚Götter‘ verehrt, die Menschenopfer lieben, hausen Kreaturen, die eigentlich ausgestorben sein sollten: Der Süden wird zum brodelnden Hexenkessel, dem das Grauen in tödlichen Schüben entweicht.
Der Maßstab des Urteils
Mit Perdido im Jahre 1919 stellt uns McDowell einen Winkel vor, in dem das Leben von dieser Exotik bestimmt wird. In einem ausführlichen Nachwort interpretiert Nathan Ballingrud - selbst ein Schriftsteller, der im Horror-Genre aktiv ist - das sechsteilige Mammut-Werk „Blackwater“, dessen erster Teilband hier vorgestellt wird. Interessant ist die deutliche Diskrepanz, mit der Ballingrud und dieser Rezensent den Roman sehen bzw. beurteilen; dies sei als Warnung bzw. Hinweis der nun folgenden Deutung vorangestellt, die zu oft gänzlich anderen Schlüsse kommt sowie die Absichten des Autors schlimmstenfalls eigenmächtig uminterpretiert.
Ballingrud lobt McDowell als schriftstellerischen Großmeister, dem es gelingt, den epischen Familienroman mit dem Horror zu verknüpfen. Ohne es explizit zu erwähnen, spielt er auf den Südstaaten-Roman an, der seit seiner Erstveröffentlichung 1936 (und noch mehr nach der Verfilmung von 1939) das Bild des „alten Südens“ prägt: „Gone with the Wind“ (dt. „Vom Winde verweht“). Vieles aus dem von Margaret Mitchell zelebrierten Süden taucht auch in „Blackwater“ auf. Ballingrud sieht darin die (wehmütige?) Reminiszenz an eine ältere, vermeintlich bessere Zeit: „McDowell ... stellt die Südstaatler dar, wie sie tatsächlich sind. Anders ausgedrückt, er schildert sie als menschliche Wesen. Voller schwerwiegender Fehler, oft fehlgeleitet, gelegentlich edel und genauso anfällig für Heldentum und Schurkenhaftigkeit wie jeder andere Mensch auf der Welt.“ Das ist einerseits eine Phrase und deutet McDowells Intention womöglich falsch.
Ballingrud leugnet immerhin nicht die Tatsache, dass in Perdido nur diejenigen ein angenehmes Leben führen, die reich und vor allem weiß sind. Zu Recht beklagt er außerdem, dass McDowell die Unterdrückung der schwarzen Mitbürger anklingen lässt, aber nie thematisiert sowie die schwarzen Figuren holzschnitthaft zeichnet. Ansonsten verfällt Ballingrud offenbar dem erwähnten Südstaaten-Zauber, der glorifiziert und vertuscht, was alltägliches Unrecht war; ein elementarer Faktor, den McDowell möglicherweise nicht ausdrücklich in Worte fasst, sondern trügerisch selbstverständlich (und von Ballingrud übersehen) in seine Geschichte einfließen lässt.
Die Freiheit der Mächtigen
Ballingrud lobt McDowell für seine weiblichen Figuren. In Perdido haben die Frauen das Sagen - dies freilich nur, wenn sie den weiter oben aufgelisteten „ersten Familien“ des Ortes angehören. Dies prägt den lokalen Alltag freilich nie positiv. Mary-Love Caskey und ihre Tochter Sister sind perfekte Beispiele für selbstgerechte Frauen, deren Denken und Handeln sich in dem von ihren Familien beherrschten Mikrokosmos um ureigene Bedürfnisse und (meist selbst verursachte) ‚Probleme‘ dreht. Ihre Werte folgen einer fragwürdigen Vergangenheit. Sie wurden in ihre Gunststellungen hineingeboren. Dort verharren sie; frischer Wind und neues Denken ist in Perdido geradezu verpönt. Es soll und darf sich nichts verändern, das Entscheidungsrecht beanspruchen völlig selbstverständlich Mary-Love & Co.
Die von den Frauen gelenkten Männer von Perdido sind Pappkameraden und oft Trottel. Wieder ist es Ballingrud, der McDowell u. a. für die Feinfühligkeit rühmt, mit der dieser die offenkundige Homosexualität des James Caskey thematisiert: Sie werde von seinen Mitbürgern akzeptiert. Tatsächlich wird sie einfach verschwiegen, so wie alles nach dem Willen der DeBordenaves, Turk und besonders Caskeys unterdrückt wird, was nicht in ihr starres Weltbild passt.
Als weiteren Vorteil wertet Ballingrud die Subtilität des Horrors, der sich hin und wieder regt. Elinors Geheimnis wird schon früh gelüftet; dass es in Perdido eines bleibt, liegt in erster Linie an dem von McDowell beleuchteten Starrsinn, der das örtliche Leben bestimmt. Niemand ist intelligent oder offen genug, um zu begreifen, dass etwas Böses über die Stadt gekommen ist. Dort kocht die Gesellschaft in ihrem eigenen trüben Sud, und vielleicht ist das der eigentliche Horror, der sich klug genau dort niedergelassen hat, wo man ihm nicht auf die Schliche kommen wird.
Fazit:
Auftakt eines sechsteiligen Werkes, das episch die Geschichte einer Familie beschreibt, in die sich ein Monster eingeschlichen hat. Die Verknüpfung gelingt (noch) nicht; die fiktive Chronik leidet unter dick aufgetragenen Stereotypen, während der Horror ebenso episodisch wie unbegründet ins Geschehen platzt: Großer Ehrgeiz kümmert in einer gut geschriebenen, aber unter südstaatlicher Tropenhitze dümpelnden Umsetzung.
Michael McDowell, Festa
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