Imperator

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2007
  • 5
Imperator
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S.B. Tenz
72°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2006

Rom gegen den Rest der Welt

Die römische Geschichte ist und bleibt faszinierend. Dient sie als Hintergrund für einen Science Fiction Roman, ist dies allerdings schon mehr als außergewöhnlich. Stephen Baxter startet einen neuen Zyklus und lässt Roms Legionen wieder marschieren.

4 v.Chr.: In Britannien wird Nectovelin geboren. Es ist eine schwierige und schmerzhafte Geburt. Als Nectovelin endlich das Licht der Welt erblickt, murmelt die Mutter plötzlich seltsame Worte in einer ihr unbekannten Sprache. Es sind immer die gleichen Verse, die sie ständig wiederholt. Nur einer der Umstehenden erkennt, dass es sich um Latein handelt. Worte in der Sprache des mächtigsten Reichs der Erde. Geistesgegenwärtig schreibt er den Sturzbach lateinischer Wörter nieder und erkennt, dass es sich um eine Beschreibung der Zukunft handelt. Eine Schilderung von Ereignissen, die erst noch eintreten werden. Eine Prophezeiung. Die Prophezeiung des Nectovelin - ein sechzehnteiliges Gedicht.

43 n.Chr.: Der römische Kaiser Claudius (41-54 n.Chr.) mobilisiert seine Legionen und lässt diese in Britannien einmarschieren. Die Invasion beginnt. Zwar sind die römischen Legionen dem Feind zahlenmäßig unterlegen, doch kompensieren sie diesen Nachteil durch ihre einzigartigen, strategischen Fähigkeiten. Die Niederlage des Caratacus besiegelt endgültig das Schicksal Britanniens. Fortan steht das Land unter der Herrschaft des römischen Imperiums. Daraufhin deutet Nectovelin die Prophezeiung falsch und begeht einen verhängnisvollen Fehler. Während sich das kollektive Bewusstsein des Imperiums weiter ausbreitet und Britannien seiner eigenen Geschichte und Kultur immer mehr beraubt wird, gerät auch die Prophezeiung des Nectovelin langsam in Vergessenheit.

314 n.Chr.: Kaiser Konstantin sammelt in Britannien Truppen für den Krieg gegen den Osten. Das Christentum befindet sich auf dem Weg zur Staatsreligion und ein Teil der Prophezeiung scheint sich nun zu erfüllen. Der Mordanschlag auf den Kaiser.

Stephen Baxter, 1957 in England geboren, zählt zweifellos zu den weltweit wichtigsten Autoren naturwissenschaftlich-technisch orientierter Science Fiction. Er studierte Mathematik in Cambridge und hat auch einen Doktortitel als Ingenieur an der Southampton-University erworben. Zu seinen bekanntesten Werken gehört unter anderem die ";Multiversum-Trilogie";. ";Imperator"; ist der Auftakt zu seinem neuen Zyklus, ";Die Zeitverschwörung";  (Taschenbuch, 576 Seiten).

Geschichte, stark komprimiert

Lassen sich über 400 Jahre Geschichte auf knapp 600 Seiten sinnvoll zusammenfassen? Aufstieg und Niedergang des Römischen Reiches. Kaiser Claudius´ Invasion, der Zeitpunkt, an dem die britannische Geschichte beginnt, bis hin zu den großen Niederlagen der Römer bei Mursa und Adrianopolis gegen die Visigoten? Wohl kaum, wenn am Ende ein anspruchsvoller, historischer Roman dabei herauskommen soll. Dessen ungeachtet startet Stephen Baxter den Versuch - und scheitert. Dies könnte man so stehen lassen. Aber so einfach ist das nicht. Hier wird nicht Anspruch erhoben auf einen historisch korrekten Roman. Vielmehr dient ein historischer Hintergrund als Fundament für eine außergewöhnliche Geschichte, die wohl nur ein Autor wie Stephen Baxter schreiben kann. Was wiederum nicht heißen soll, dass diese außergewöhnliche Geschichte auch außergewöhnlich gut ist. Selten habe ich mich schwerer mit der Bewertung eines Romans getan. Das es sich um den ersten Band eines neuen Zyklus handelt, macht die Sache nicht einfacher. Bei einem neuen Roman Stephan Baxters ist die Erwartungshaltung entsprechend hoch. Segen und Fluch eines hochgeschätzten und weltbekannten Autors. Einerseits kann er sich natürlich nicht ständig selbst übertreffen, andererseits kann er es auch einmal riskieren völlig neue Wege zu gehen, ohne gleich an Popularität einzubüßen. Beides scheint bei vorliegendem Roman der Fall zu sein.

Baxters Schreibstil ist wie gewohnt hervorragend. Darüber muss man nicht diskutieren. Seine Kenntnisse der römischen Geschichte betreffend sind beeindruckend. Allerdings scheint er das auch bei seinen Lesern vorauszusetzen. Daher sind Kenntnisse über die römisch/britannische Geschichte zwar nicht zwingend erforderlich, aber durchaus von Vorteil.

Wenn Pikten, Skoten, Iren, Sachsen, Gallier oder Goten sich Scharmützel mit den römischen Legionen liefern, ein Kaiser auf den nächsten folgt (Usurpatoren nicht einmal mitgerechnet) und die Jahrhunderte in Windeseile vergehen, dann kann man sich leicht überfordert fühlen. Eine Identifikation mit den Protagonisten bleibt bei diesem Tempo ein Ding der Unmöglichkeit. Hat man sich gerade einmal an einen der Hauptcharaktere gewöhnt, verschwindet dieser schon wieder von der Bildfläche und ist im wahrsten Sinne des Wortes nur noch Geschichte. Wenigstens bleibt dem Leser die Vertrautheit mit dem Schauplatz Britannien erhalten, der sich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert.

Strohfeuer

Eindrucksvoll, wenn der Autor die römischen Legionen aufmarschieren lässt und diese mit ihrer taktischen Überlegenheit nahezu  jeden Gegner in die Knie zwingen. Die Disziplin und der eiserne Wille eines jeden einzelnen Legionärs sichert die Expansion des Imperiums. Die Eroberungsfeldzüge zählen somit zweifellos zu den Höhepunkten des Romans. Es scheint fast, als wäre Stephen Baxter Augenzeuge der Begebenheiten gewesen.

Ein grandioser Auftakt, aber leider nur ein kurzes Strohfeuer. Der weitere Verlauf der Erzählung ist unspektakulär und eintönig. Auf überraschende Wendungen oder interessante Ereignisse wartet der Leser von nun an vergebens. Der Bau des großen Walls unter Kaiser Hadrian (117-138 n. Chr.) mag da noch eine Ausnahmeerscheinung sein. Besonders imposant ist dies auf Grund der klischeehaften Protagonisten aber dann auch nicht. Seinen Tiefpunkt erreicht der Roman schließlich mit dem Auftritt der hinterlistigen Severa und ihrer affektierten Tochter Lepidina, die dem ganzen einen bitteren Beigeschmack einer römischen Telenovela verleihen. Intrigen und verschmähte Liebe, klischeehaft in Szene gesetzt, könnten fast schon als Vorlage für einen ";Julia-Roman"; dienen. Von diesem Tiefpunkt kann der Roman sich nicht wirklich wieder erholen.

Die spinnen, die Römer

Während der rote Faden sich durch die Jahrhunderte zieht und die Prophezeiung immer gegenwärtig ist, verliert die Erzählung immer mehr an Glaubwürdigkeit. Man muss kein Experte für römische Geschichte sein, um zu wissen, dass die Römer einer Menge Götter huldigten. Läge da nicht die Vermutung nahe, dass die Prophezeiung auch von diesen stammt? Stattdessen vermuten die Protagonisten den Ursprung der Prophezeiung in der Zukunft. Von einem ";Weber des Zeitteppichs"; ist da die Rede, in dessen Absicht es liegt, den Ablauf der Geschichte zu verändern. Nebenbei bemerkt klingt das eher nach Fantasy als nach Science Fiction. Welche Motive leiten den oder die ";Zeitverschwörer";? Die Theorien dazu werden immer abstruser. Die spinnen, die Römer, möchte man meinen. Erwähnenswert wäre da noch das vorhersehbare Attentat auf Konstantin, das im ersten Moment dramatisch und richtungsweisend scheint, im Nachhinein allerdings  eher albern und belanglos bleibt.

Am Ende bleiben jede Menge Fragen und keine Antworten. Zwar scheint sich der Kreis zu schließen, aber tatsächlich steht der Leser wieder am Anfang und darf, mäßig gespannt, auf Antworten im zweiten Band hoffen.

Fazit

";Imperator"; bietet nette Unterhaltung. Eigentlich wäre damit schon alles gesagt. Steht dem Leser nun ein weiterer Zyklus bevor, den die Welt nicht braucht? Vieles spricht dafür. Allem voran die vielen Ungereimtheiten und die mangelnde Logik, die einer glaubwürdigen Handlung im Wege stehen. Der eine oder andere mag vielleicht mal wieder ein Geschichtsbuch zur Hand nehmen, um etwaige Fakten nachzuschlagen. Ein netter Nebeneffekt, mehr nicht.

Trotzdem sollte man - auch wenn es unlogisch klingen mag - dem Folgeband eine Chance geben. Vielleicht gelingt es dem Autor tatsächlich noch das Ruder herumzureißen und alle Skeptiker - mich eingeschlossen - in ihre Schranken zu weisen. Wirklich glauben mag man daran allerdings nicht, nach dieser Lektüre. Lassen wir uns überraschen.

Imperator

Stephen Baxter, Heyne

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