From Below - Die Toten warten
- Festa
- Erschienen: Februar 2024
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Nicht tief genug im Meer versunken
Cove Waimarie steht das Wasser bis zum Hals. Da passt es, dass die erfahrene Dokumentarfilmerin einen Tauchgang zum Wrack der „SS Arcadia“ plant. Das luxuriöse Dampfschiff verschwand 1928 während einer Atlantiküberquerung mit beinahe 800 Besatzungsmitgliedern und Passagieren. Nur einige wirre Funksprüche wurden zuvor aufgefangen.
Fast ein Jahrhundert war die „Arcadia“ verschwunden, bis sie zufällig in einem abgelegenen Winkel der Ostsee und damit weit entfernt von ihrer Route entdeckt wurde. Niemand weiß, wieso man das Schiff hierher gesteuert hat. Nun liegt es in 100 Metern Wassertiefe. Kälte und Sauerstoffarmut haben den Verfall gebremst. Im besten Fall werden Cove und ihre fünf Begleiter eine Zeitkapsel betreten.
Die Expedition wird von Schwierigkeiten geplagt. Das Wetter ist schlecht, das Budget knapp, und die ferngesteuerte Technik streikt. Wohl oder übel wird man das Wrack ‚betreten‘ müssen. Tiefe, Wasserdruck und Kälte sind gefährlich, zumal nur Chef-Taucherin Vanna über einschlägige Unterwassererfahrung verfügt.
Tatsächlich kommt es bereits während des ersten Tauchgangs zu gefährlichen Zwischenfällen. Zudem ist die „Arcadia“ ein wenig zu perfekt erhalten: Im Inneren stößt die Filmcrew immer wieder auf Leichen, die zu allem Überfluss Spuren hässlicher Todesarten aufweisen. Immer neue, unerklärbare Funde steigern die Nervosität der Taucher, die dennoch begeistert sind: Mit diesen Bildern können sie glänzen! Zu spät bemerken sie, dass noch sehr präsent ist, was 1928 Tod und Untergang über die „Arcadia“ gebracht hat und nun die Neuankömmlinge an Bord begrüßen will ...
Stoff des Lebens & des Todes
Es ist eigentlich paradox: Obwohl das Leben im Meer entstanden ist und alle Tierarten, die an Land leben (einschließlich des Menschen), weiterhin hauptsächlich aus Wasser bestehen, ist dieses Element denkbar existenzfeindlich. Wer die Ozeane verlassen hat, um nunmehr an und mit der Luft zu leben, dem beschert die Rückkehr Probleme, wie jeder Mensch weiß, der versucht, unterhalb der Wasseroberfläche einen gurgelhässlichen Tod zu vermeiden.
Lungen sind keine Kiemen, sodass wir unter Wasser nicht atmen können, sondern unsere Luft mitnehmen müssen. Schon in wenigen Meters Tiefe beginnt sich Sauerstoff in Gift zu verwandeln, während Stickstoff den Körper in eine Sprudelflasche verwandelt, taucht man zu rasch wieder auf. Das Licht dringt nur gefiltert durch das Wasser; rasch wird es dunkel und bitterkalt. Außerhalb der Sicht lauern möglicherweise hungrige Wesen mit scharfen Zähnen, griffstarken Tentakeln oder giftigen Stacheln; sie fühlen sich pudelwohl unter Wasser, können sich auch in der Dunkelheit orientieren und profitieren von der Tatsache, dass die Schwerelosigkeit in der Tiefe Attacken aus jeder Richtung ermöglicht; ein Faktor, den der schwerkraftgewohnte Mensch sich ständig vergegenwärtigen muss.
Nichtsdestotrotz lockt es ihn dorthin, wo nicht nur Gefahren lauern, sondern Wunder und Vermögen warten. Der Mensch nutzt die Meere als Transportmedium. Schiffe mit wertvoller oder wenigstens interessanter Ladung versinken noch heute in stattlicher Zahl. Wer diese Wracks entdeckt, kann reich werden, öffnet jedoch gleichzeitig die Büchse der Pandora: Die Bergung solcher Schätze ist gefährlich, denn zu den genannten Gefahren addieren sich die Instabilität verfallender Wracks und die Enge im Inneren.
Zu viel gewagt, zu viel erfahren
Darcy Coates berücksichtigt geschickt sämtliche Faktoren, die das Wracktauchen gefährlich machen. Sie steigert die Spannung zusätzlich, indem sie eine Gruppe in die Tiefe schickt, die für einen solchen Tauchgang untauglich ist. Nicht Wissensdurst, sondern primär Geldnot motiviert die Mitglieder einer Expedition, die in jeder Hinsicht auf Kante genäht wurde. Cove Waimarie und ihre Begleiter/innen nehmen trotzdem teil. Sie ist pleite, die geplante Sendung für eine windige Produktionsfirma, die ihre ‚Mitarbeiter‘ finanziell knapphält und gern um das Honorar prellt, ihre letzte Chance. Ähnlich motiviert sind die übrigen Teilnehmer, weshalb zur Unsicherheit unter Wasser Sorgen und Ängste kommen, die zusätzlich für lebensgefährliche Ablenkung sorgen.
Schon bevor sich unter Wasser die Geister rühren, sorgt Coates für zahlreiche Zwischenfälle, die aus der Unerfahrenheit der Crew resultieren. Parallel dazu blendet sie kapitelweise zurück ins Jahr 1928 und beleuchtet, was während der letzten Fahrt an Bord der „Arcadia“ geschehen ist. Während es dort bereits wuchtig umgeht, verwandelt Coates das Wrack der Gegenwart lange spukfrei in einen unheimlichen Ort. Im dunklen, kalten Wasser hat sich die „Arcadia“ perfekt erhalten. Das bezieht die Leichen der Besatzungsmitglieder und Passagiere ein. Sie sind gerade so entstellt, dass sie erst recht für Grauen sorgen, wenn sie im trüben Wasser auf die Eindringlinge zutreiben.
Der dritte Tauchgang setzt den gruseligen Höhepunkt der Ereignisse in Gang. Die ‚Besucher‘ haben die Geister der „Arcadia“ aus ihrem ‚Schlaf‘ geweckt. Was knapp ein Jahrhundert zuvor noch über Wasser für Horror sorgte, bringt sich nun dort in Stellung, wo eine Flucht unmöglich ist; dies auch deshalb, weil Coates dafür gesorgt hat, dass sich Coves Crew tief im Inneren des Wracks befindet, als die Toten über sie kommen und der Kampf ums Überleben einsetzt.
Spuk im Reich der Orientierungslosigkeit
Große Mühe gibt sich Darcy Coates, wenn sie die „SS Arcadia“ als Schauplatz einführt. Detailliert beschreibt sie einen Ort, der diesen Aufwand lohnt: Ein Wrack unter Wasser ist per se unheimlich. Wo einst Menschen lebten, herrschen nun Verhältnisse wie auf einem fremden Planeten. Immer wieder macht Coates deutlich, wie schauerlich eine einst vertraute Welt wird, wenn Luft, Licht und vor allem Schwerkraft fehlen. Was einerseits vertraut ist, wirkt andererseits fremd und erschreckend, weil der gewohnte Bezugsrahmen fehlt.
Hinzu kommt die Klaustrophobie eines Wracks, dessen Stahlwände sich um die Eindringlinge zu schließen scheinen. Jede Bewegung wirbelt Sedimente auf und behindert die unter Wasser ohnehin eingeschränkte Sicht. Der Luftvorrat ist begrenzt und sorgt für einen Countdown, den Coates geschickt einfließen lässt, um den Spannungsdruck zu erhöhen: Den Tauchern bleibt wenig Zeit, um dem zu entkommen, was sie auf dem Grund der Ostsee unwissentlich geweckt haben!
Als sich dies offenbart, sorgt Coates für eine nerven- und leichenkrallenzerrende Verfolgungsjagd durch das düstere Wrack. Was die „Arcadia“ einst heimgesucht hat, wird nie wirklich erläutert, obwohl es einige Erklärungsansätze gibt. Coates macht es richtig, wird nicht zu explizit dort, wo exaktes Wissen weder hilfreich noch erforderlich ist. Die Ratlosigkeit der von Wasserleichen eingekreisten Taucher teilt sich den Lesern mit. Wenn es in der Tiefe zur Sache geht, regiert das Grauen (und versöhnt mit oft ärgerlichen Figuren, unter denen Welpe Aidan als Depp vom Dienst unrühmlich hervorsticht). Damit ist die Primäraufgabe eines = dieses Horrorromans erfüllt.
Fazit:
Die eigentlich generische Mär von Menschen unter lebenden Leichen gewinnt durch den eindringlich geschilderten Unterwasser-Schauplatz. Ebenfalls schaurig sind die Rückblenden, und der weitgehende Verzicht auf ‚tragische‘ (= weinerliche) Figur-Vorgeschichten, die durch gruselige Action ersetzt werden, sorgt für zusätzlichen Unterhaltungswert: So muss Handfest-Horror gestrickt sein!
Darcy Coates, Festa
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