Böse Wünsche
- Festa
- Erschienen: Dezember 2023
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Wünsch’ dir was - und zahl’ dafür
Irgendwann (wohl im 18. oder frühen 19. Jahrhundert) führen die Bürger des Dorfes Amity Falls, das an einem von der Autorin nicht genannten Ort in den USA liegt, ein ruhiges Leben. Amity Falls wurde in einem fruchtbaren, aber abgeschiedenen Talkessel gegründet. Dichte Wälder umgeben den Ort. Die nächste Stadt liegt viele Tagesreisen entfernt. Im Winter ist der einzige Weg dorthin monatelang unpassierbar.
Einmal im Jahr machen sich einige Bürger auf den Weg in die Stadt, um dort alles zu beschaffen, was nicht in Amity Falls hergestellt werden kann. Auf diesen Transport kann man eigentlich nicht verzichten. Dennoch verbietet der Rat ihn, nachdem die Männer, die in diesem Herbst die Reise unternehmen sollten, in den Wäldern buchstäblich in Stücke gerissen wurden.
Alte Legenden künden davon, dass schon früher „Monster“ Amity Falls attackiert haben. Die Zeichen für eine unheimliche Belagerung mehren sich. Die Vorräte werden knapp, Unter dem Druck löst sich die scheinbar stabile und solidarische Dorfgemeinschaft auf. Misstrauen, Hass und schließlich Mord sind die Folgen.
Die junge Ellerie Downing findet heraus, dass die Konflikte von außen gezielt geschürt werden. Sie kommt den „Dunklen Beobachtern“ auf die Schliche, die ihre Opfer mit der Erfüllung sehnlicher Wünsche locken. Dafür werden Gegenleistungen fällig, und die nehmen an Drastik stetig zu. Ellerie beschließt, dass nur die direkte Konfrontation mit den „Dunklen Beobachtern“ die Situation klären kann. Sie wagt sich in den Wald und stellt sich dem mysteriösen Schrecken …
Illusion der Idylle
Das kleine Dorf als Gemeinschaft: Menschen leben miteinander in enger Beziehung, sind aufeinander angewiesen, helfen einander und stellen sich den Problemen als Kollektiv. So sieht die Theorie aus. Praktisch kann das System durchaus funktionieren, obwohl sich bei genauer Sichtung Schwachstellen ergeben: Der Mensch ist offensichtlich nicht für ein friedliches Zusammenleben geschaffen. Mit dem System liegt der angeborene Egoismus stets im Konflikt.
Solange die Gemeinschaft ‚funktioniert‘, bleiben die daraus resultierenden Folgen erträglich. In Amity Falls läuft es schon nicht mehr rund, bevor die „Dunkle Bruderschaft“ ihre Tentakel dorthin ausstreckt. Charakterschwache Menschen verstoßen gegen geschriebene Gesetze und ungeschriebene, aber ebenso wichtige Regeln. Hier ist es Elleries Zwillingsbruder Sam, der die Tochter einer Nachbarsfamilie geschwängert hat und sich seiner ‚Pflicht‘ entzieht, diese zu heiraten.
Das Sagen hat in Amity Falls eine kleine Gruppe von Ratsmitgliedern, die sich aus den führenden Familien der ursprünglichen Siedler rekrutieren. Ihre Befugnisse leiten sie aus den Verdiensten einer Vergangenheit her, in der sich besagte Siedler gegen die Feindseligkeiten einer noch nicht ‚gezähmten‘ Landschaft wehren mussten. Generationen später hat sich das System einerseits gefestigt, während es andererseits verkrustet ist: Längst bestimmen nicht mehr Intelligenz und Entschlossenheit die Zusammensetzung des Rates. Das Amt wird vererbt, und dieser Rat ist der Herausforderung durch die „Dunklen Beobachter“ nicht gewachsen.
Die Enge des ‚geregelten‘ Daseins
Zum Alltag gehört in einem solchen System die gegenseitige Kontrolle. Ablenkende Neuigkeiten sind rar in dem abgeschiedenen Ort. Man beobachtet also einander und registriert dabei jede Abweichung von gesetzlichen und moralischen Normen, die unterschiedlich definiert werden. Was für eine offene Anklage nicht ausreicht, wird unterschwellig verbreitet und diskutiert, verbreitet sich wie ein Gift und bereitet Amity Falls für die „Beobachter“ vor.
Hauptfigur Ellerie Dawning repräsentiert die Schattenseite eines solchen Lebens. Sie ist deutlich charakterfester sowie intelligenter als ihr Zwillingsbruder. Doch der ist ein Mann und wird deshalb - und nur deshalb - einst die Farm erben. Für Ellerie bleibt als ‚Ausweg‘ nur die Ehe mit einem jungen Mann, den ihr Vater sowie die Männer des Rates für sie ‚aussuchen‘ werden. Ellerie hadert mit ihrem Schicksal. Bevor die übernatürlichen Elemente die Handlung bestimmen, widmet sich Autorin Erin A. Craig ausführlich den daraus resultierenden Konflikten. Schon durch diese Vorgeschichte erweist sich „Böse Wünsche“ als thematisch zwiegespaltenes Werk.
Lange konzentriert sich das Geschehen auf die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten einer allzu isolierten Gemeinschaft. Craig spielt durch, was die Bewohner von Amity Falls beschäftigt und ablenkt, während sich die wahre Gefahr jenseits der Ortsgrenze formiert. Dem räumt die Autorin nicht nur viel Raum ein, sondern sorgt durch die Wiederholung systemimmanenter Konfliktsituationen für einen gewissen Handlungsleerlauf. Freilich muss man mit dieser Beurteilung vorsichtig sein: Viele Leser/innen schätzen gerade die Zelebrierung emotionaler Ungerechtigkeit.
Die reife Frucht wird gepflückt
Doch „Böse Wünsche“ ist auch ein Horrorroman. Im letzten Drittel lässt Autorin Craig daran keinerlei Zweifel. Das Grauen in Amity Falls ist keine Einbildung, sondern überaus real. Tatsächlich treiben unheimliche Kreaturen ihr Unwesen, und sie gehen keineswegs zimperlich vor: Irgendwann beginnt Blut nicht nur zu fließen, sondern zu strömen. Craig lässt das Böse sehr dramatisch und deutlich über Amity Falls kommen.
Die Unmittelbarkeit des Schreckens bedingt einen Stimmungsbruch. Nachträglich werden die Schichen der „Beobachter“ enthüllt, die geschickt Keile zwischen die ohnehin nervösen Bürger treibt. Craig legt außerdem das Wesen jener Kreaturen offen, die den faktisch ‚jenseitigen‘ Teil der „Beobachter“ darstellen. Hinzu kommen Männer und Frauen, die sich einst als Hilfskräfte diesen Kreaturen unterwarfen und nun als deren Lockvögel agieren.
Dass sich einer dieser Quasi-Sklaven in die dafür empfängliche Ellerie verliebt, sorgt für weitere dramatische Verwicklungen. Wieder könnte man kritisch feststellen, wie sehr dies bekannten Stereotypen folgt. Ellerie und ihr Whitaker kreisen verliebt, aber misstrauisch umeinander. Man verrät und verträgt sich, und schließlich siegt die Liebe. So etwas mag wie schon gesagt Leser/innen zusätzlich fesseln, obwohl Craig in solchen Passagen mit Klischees arbeitet. Die ‚Liebe‘ zwischen Ellerie und Whitaker wirkt etwa so glaubhaft wie die zwischen Bella und Edward aus den „Biss“-Romanen von Stephanie Meyer. Wem dies genügt, dürfte in diesen Passagen einen Mehrwert sehen. Spannender wird es - jedenfalls aus der Sicht dieses Rezensenten - dadurch nicht.
Kleine Welt, viele Fragen
Hinzu kommt die fehlende Erdung der Gesamtgeschichte. Erin Craig sieht offensichtlich ein Stilmittel darin, Zeit und Ort der Handlung im Ungewissen zu halten: Es soll die Isolation von Amity Falls unterstreichen. In diesem Talkessel kocht die Bevölkerung im eigenen Saft. Möglicherweise will Craig damit das Finale vorbereiten: Die „Beobachter“ haben sich dank Elleries Sieg längst zurückgezogen, doch die aufgestachelte Bürgerschaft benötigt keinen Ansporn mehr, sondern lebt mörderisch aus, was schon lange in ihr rumorte.
Dass nunmehr der Name „Stephen King“ fällt, hat in unserem Zusammenhang zwei Gründe. Zum einen nutzt Craig wie King einen Plot, der in den Sagen und Mythen zahlreicher Völker präsent ist und durch die Christianisierung einen zusätzlichen Schub erfuhr: Was würdest du tun, wenn dir die Beobachter/ein böser Geist/der Teufel einen Pakt anbietet? Wie weit würdest du für Geld und Macht gehen, denn selbstverständlich wäre der Preis hoch und schlösse den Seelenfrieden ein? Hinzu kommt die stets über solchen Bündnissen schwebende Warnung, dass der Teufel immer betrügt.
King hat dies 1991 in seinem Roman „Needful Things“ (dt. „In einer kleinen Stadt“) thematisiert. Dieses Buch wird nicht zu seinen Meisterwerken gezählt. Dennoch belegt King, wo er Craig überlegen ist: Die Menschen von Amity Falls bleiben Figuren, deren Schicksal uns einerseits ungerührt lässt, während sie andererseits nicht selten sogar langweilig oder lachhaft in ihrer Überspitzung wirken. Dagegen nehmen wir Anteil an Kings Personen. Er kann auf dem schmalen Grat zwischen Glaubwürdigkeit und Übertreibung balancieren, wo Craig mehrfach abrutscht. Der Horror des Alltags und der Schrecken der „Beobachter“ wollen nicht harmonisch ineinander übergehen. Dass dies der dem Werk sehr zugetanen Kritik nicht aufgefallen sein will, ist merkwürdig. Die „märchenhafte“ Grundstimmung einer Welt, in die tückisch-geschickt das Böse einfällt, kann jedenfalls dieser Rezensent nicht nachvollziehen.
Fazit:
Das Heranwachsen einer jungen Frau in einer für sie limitierten Gemeinschaft fällt mit den Attacken einer bösen Macht zusammen. Beide Aspekte - „coming of age“ und Horror - laufen nach einem breiten, oft auf der Stelle tretenden Mittelteil im letzten Drittel nicht zwingend harmonisch, aber immerhin effektvoll zusammen: gut geschrieben, oft gelungen, aber keine Einheit.
Erin A. Craig, Festa
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