Irrfahrt zur Venus

  • Awa-Verlag
  • Erschienen: Januar 1956
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Irrfahrt zur Venus
Irrfahrt zur Venus
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2024

Venus-Vampire gegen Erd-Pioniere

In einer nicht näher definierten Zukunft, vielleicht im 21. Jahrhundert, lernen wir die Robinsons aus Los Angeles im US-Staat Kalifornien kennen: Vater Paul, just zum Pressesprecher der Mondstadt Tycho ernannt, Mutter Helen, Kronprinz Jack (18 Jahre) und Brüderchen Frank (6) sind eine amerikanische Durchschnitts- und Bilderbuchfamilie, die fest zusammenhält und es deshalb überall schaffen wird.

Das muss sie rasch unter Beweis stellen, denn der Umzug gerät wegen eines Defekts im Bordcomputer des Raumschiffs „Aurora“ zum Fiasko. Statt auf dem Mond finden sich die Reisenden im Orbit des wolkenverhangenen Planeten Venus wieder. Schnöde lassen der Kapitän und seine Mannschaft Schiff und Passagiere im Stich. Knapp gelingt eine Bruchlandung. Die Robinsons finden sich auf einer Albtraumwelt wieder. Heiß und feucht ist es auf der Venus, und unheimliche Tiere schleichen durch die dunklen Urwälder.

Mit den aus dem Wrack geborgenen Lebensmitteln richtet sich die Familie in einer Höhle ein. Wichtiger ist der Fund zweier Gewehre, da sich herausstellt, dass es auf der Venus (halb-) intelligentes Leben gibt: riesige Fledermäuse, die sich von Blut ernähren! Sie halten sich harmlose Dinosaurier als Spender, aber in der langen Venusnacht werden sie ihre Schlupfwinkel verlassen und auf Erdmenschen-Jagd gehen.

Auch sonst wartet die Venus-Natur mit unfreundlichen Überraschungen auf. Außerdem scheint es auf zu spuken: Immer wieder tauchen geheimnisvolle Warnungen auf, die ein Mensch geschrieben haben muss. Hält sich irgendwo in der Wildnis ein weiterer Erdling und damit ein potenzieller Verbündeter auf? Die Antwort auf diese Frage wird wichtig, als die Vampire den Unterschlupf der Robinsons entdecken ...

Märchenwelt für Abenteurer

Jugendliche Leser dürfen nach Ansicht des Verfassers intellektuell keineswegs überfordert werden. Philip Latham legt die Latte daher niedrig, steckt sein schriftstellerisches Talent in eine astronomische Robinsonade und singt ansonsten das Loblied einer Hochtechnologie, die der Menschheit endlich Frieden und Glück beschert hat. Die gesellschaftliche Entwicklung ist dagegen irgendwann in den 1950er Jahren steckengeblieben. Lathams Welt der Zukunft orientiert sich an den USA der Eisenhower-Ära. Ihre Ideale werden propagiert, und das mit einer plumpen Direktheit, die heute eher amüsiert als ärgert. Freilich darf man das Latham nur bedingt zum Vorwurf machen. Auch begabtere Schriftsteller-Kollegen entdeckten die „Social Fiction“ erst sehr viel später. Insofern ist „Irrfahrt zur Venus“ das Relikt einer Epoche, in der man fest daran glaubte, dass Technik = Fortschritt und Weltfrieden bedeutet.

„Science“ Fiction will Latham bieten und schwadroniert in einem langen Nachwort über seine Verantwortung den Lesern gegenüber, denen er keine haltlosen Spekulationen liefern will. Das möchte man ihm glauben, wenn man weiß, dass sich hinter „Philip Latham“ der Astronom Robert Shirley Richardson (1902-1981) verbarg, der eine Reihe fachkundiger Sachbücher schrieb und es eigentlich besser gewusst haben muss. Schon vor einem halben Jahrhundert wusste man immerhin, dass dort oben mit romantischen Urwelten schwerlich zu rechnen ist; in der Tat ist die Venus ein Höllenplanet mit einer mörderisch heißen Giftgas-Atmosphäre.

Latham entwarf streng wissenschaftlich - so brüstet er sich - eine Alternativ-Ökologie, die als Abenteuerspielplatz funktioniert. Vergisst man den Unfug vom pädagogischen Auftrag, bereitet „Irrfahrt zur Venus“ dasselbe Vergnügen wie ein alter SF-Filmheuler der 1950er Jahre. So war das möglicherweise nicht von Latham geplant, aber es hält sein krudes Werk, das zwischen den Zeilen unfreiwillig viel über Zeit und Leute aussagt, auch heute am Leben.

Jugend braucht strenge Führung!

Selten erschien einem die Zukunft vergänglicher. Die Robinsons (Achtung: Hieb mit dem Zaunpfahl!) bieten ein herzzerreißendes (und hirnerweichendes) Abbild der mittelständischen US-Ideal-Familie. Strebsam, einig, obrigkeitshörig, dazu weiß und unverzagt an den amerikanischen Traum glaubend, wird sie jedes Hindernis meistern: Holzhammer-Pädagogik und die dreiste Manipulation des Lesers zu seinem Besten (= dem Erhalt bestehender Verhältnisse) waren prägende Merkmale der zeitgenössischen Jugendliteratur.

Jack Robinson gehört einem pfadfinderähnlichen „Astronauten-Club“ an, liest in seiner Freizeit im Lexikon und mäht für Mutti den Rasen. 18 Jahre ‚alt‘ ist er, aber ein vorbildlicher junger Mann, der fleißig lernt und profanen Ablenkungen wie hartem Rock und bösen Mädchen keinerlei Aufmerksamkeit schenkt: Aus solchem Holz sollte der US-Amerikaner geschnitzt sein - besonders am Kopf!

Dass im Robinson-Rudel Vater Paul der Alpha-Rüde ist, wird von niemand in Frage gestellt. Überhaupt herrscht stets eitel Einklang in dieser Familie, was sich die Leser ebenfalls zum Vorbild nehmen sollen. Paul weiß auch in aussichtsloser Lage, was als nächstes zu tun ist. Jack konkurriert nicht mit ihm, sondern ergänzt ihn; als Team schützen Vater und Sohn das Allerheiligste der menschlichen Zivilisation: die Familie.

„The family that stays together …“

Das ist ein harter Job, denn Hilfe von Helen können sie nicht erwarten; tun sie auch nicht. Helen ist Ehefrau und Mutter. Das ist ihre Aufgabe im Leben, die sie mehr als genug fordert. Für Heldentaten auf fremden Planeten gibt es da weder geistig noch körperlich Kapazitäten. Das führt zu absurden Situationen wie dieser: Jagdausflüge und Erkundungsstreifzüge können nur von Paul oder Jack allein unternommen werden. Zwar verfügen die Robinsons über zwei Gewehre, aber es ist nicht daran zu denken, sich eines zu greifen, zu zweit loszuziehen und die zurückbleibende Helen zu bewaffnen, denn „Ich habe ebenso viel Angst vor dem Gewehr, wie ich vor einem Venusbewohner hätte“. (Die krude Übersetzung komplettiert den „Facepalm“-Effekt.)

Auch sonst misstraut sie allem, das ihren engen Horizont und damit ihren Seelenfrieden bedroht. Sohn Jack darf daher für die Anwendung seines angelesenen Wissens nur spärlichen Beifall erwarten: „‚Schon wieder dieses schreckliche Lexikon‘, sagte Mrs. Robinson klagend. ‚Lauter unangenehme Dinge stehen in solchen Büchern.‘“

Bleibt noch Bram Simmons, der lange unsichtbare fünfte Kämpfer gegen die Venus. Wohl mehr aus Versehen ist Latham hier eine Figur mit ambivalenter Persönlichkeit geglückt - kein „mad scientist“, sondern ein Aussteiger, der sich anders als die Robinsons tatsächlich auf der Venus akklimatisiert hat. Ohne Feuer und Flinte hat er sich den Vampiren angeschlossen und sogar Freundschaft mit ihrem König geschlossen. Deshalb bleibt er schließlich bei ihnen, auch wenn ihn die Robinsons und ihre Retter für übergeschnappt halten; sie werden niemals Simmons‘ Beweggründe verstehen, denn fremde Welten müssen bezwungen und ‚zivilisiert‘ werden.

Spaß als Risikofaktor

„Irrfahrt zur Venus“ ist SF-Lesefutter von kaum durchschnittlicher Qualität. Schmutz & Schund hießen (neben den Kommunisten) die Schreckgespenster dieser Ära. Junge Leute sollten lesen, aber gefälligst dabei lernen. Alles andere war verschwendete Zeit oder gar sittenloses und verdächtiges Vergnügen. Da hatte es ein Genre schwer, dessen Protagonisten im Weltraum umherflogen. Ein Feigenblatt musste gefunden werden. Dabei wurde diesseits wie jenseits des Atlantiks zum Wohle des Profits gelogen, dass sich die Balken bogen.

Erstaunlich, dass angesichts solch’ systematischen Spaßverderbens überhaupt jemand zu diesem Buch griff! Dabei machte Verfasser Latham in seinem Nachwort selbst keinen Hehl daraus, dass er um der Story willen kräftig ‚extrapoliert‘ hatte. Auch der beflissene Anhang „Angaben und Zahlen zum Nachdenken“ - eine Art Grundkurs in Astrophysik - macht „Irrfahrt zur Venus“ nicht zur ‚guten‘ Literatur (was immer dies sein mag). SF konnte und kann niemals Blick in die reale Zukunft sein, sondern bleibt ein der Gegenwart verhaftetes Gedankenspiel. „Irrfahrt zur Venus“ macht diesen Aspekt so deutlich wie selten.

Fazit:

Science Fiction-Roman „für die Jugend“ der 1950er Jahre, d. h. verfasst für die (männliche) Generation der Zukunft. Schlicht in der Story und schablonenhaft in der Figurenzeichnung, kann „Irrfahrt zur Venus“ aufgrund der bizarren Venus-Welt unterhalten, bei deren Entwurf der Verfasser noch im kleinsten Detail daneben liegt.

Irrfahrt zur Venus

Philip Latham, Awa-Verlag

Irrfahrt zur Venus

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