Das große Abenteuer des Mutanten
- Moewig
- Erschienen: Januar 1966
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Chance eines postatomaren Neuanfangs
Ein dritter Weltkrieg ließ im Jahre 2050 die Zivilisation untergehen. Nicht alle Menschen fielen den Atomexplosionen oder der radioaktiven Strahlung zum Opfer. Zwei Jahrhunderte nach der Katastrophe hat sich in Nordamerika eine primitive, aber stabile Bevölkerung mit den Verhältnissen arrangiert. Die Technik von einst ist vergessen, man ernährt sich von Landwirtschaft und Jagd. Hin und wieder unternimmt man Züge in die zerstörten Städte. Sie bergen immer noch wertvolle Schätze, sind aber gefährlich, denn „Wilde“ und „Tiermenschen“, durch Strahlung hervorgebrachte Mutanten, die hier hausen, garantieren einen schnellen, grausamen Tod.
Im gebirgigen Mittelwesten der einstigen USA lebt Fors vom Puma-Clan. Der junge Mann ist unzufrieden, sein Stamm lehnt ihn ab: Fors ist ein Mutant und vermag in der Dunkelheit zu sehen. Nachdem er abermals nicht als „Sternenmann“, d. h. Kundschafter seines Stammes, angenommen wurde, verlässt er sein Dorf. Zusammen mit Lura, der großen Raubkatze, mit der er sich telepathisch verständigen kann, will er jene Stadt finden, die einst sein Vater gesucht hat; dieser überlebte die Expedition nicht.
Seine Odyssee führt Fors durch die Ruinen lange versunkener und vergessener Orte. Er muss auf der Hut sein: Offenbar wird er von seinem Stamm als Dieb und Abtrünniger verfolgt. Außerdem treibt ein unbekannter, ebenso brutaler wie ungewöhnlich intelligenter „Tiermensch“ sein Unwesen. Doch Fors schlägt sich durch. Lura passt auf ihn auf, und er kann sich ein Wildpferd fangen und zähmen. Der schwarzhäutige Arskane aus dem Süden wird sein Reisegefährte und Freund.
Die neuen Freunde kommen einer großen Gefahr auf die Spur: Seit einiger Zeit verlassen die Tiermenschen ihre Schlupfwinkel und rüsten zum Kampf! Ihre zukünftigen Opfer sind ahnungslos, denn weil gerade miteinander beschäftigt. Die Bewohner der Berge beobachten misstrauisch die Ankunft der Süd-Menschen, die zusätzlich von den Prärie-Jägern belauert werden. Fors, Arskane (und Lura) versuchen zwischen den Fronten einen Krieg zu verhindern, während die Tiermenschen sich sammeln, um die Überlebenden auszulöschen ...
Nach der Stunde Null
Der Zweite Weltkrieg hatte global die Vernichtungskraft moderner Waffen sowie die Gefahr durch mörderische Gewaltregime unter Beweis gestellt. Man gelobte Besserung, d. h. die zukünftige Vermeidung gefährlicher Entwicklungen. Diese Haltung währte nicht einmal bis 1950, dann entbrannte ein „Kalter Krieg“ zwischen dem westlichen „Kapitalismus“ und dem östlichen „Kommunismus“. Er stand im Zeichen der Atom- und Wasserstoffbombe, die beiden Blöcken zur Verfügung stand.
Ein dritter Weltkrieg würde die Erde zerstören; dies war zumindest denjenigen Zeitgenossen klar, die nicht dazu bereit waren, ‚kollaterale‘ Personenschäden in Millionenhöhe zu akzeptieren. Doch ihre Stimmen verklangen allmählich, als in den USA der 1950er Jahre der Kampf gegen den Kommunismus buchstäblich von Staats wegen geführt und die Bevölkerung darauf eingeschworen wurde.
Andre Norton (1912-2005), geboren als Alice Mary Norton, machte 1952 ihre Ablehnung dieses scheinbaren Dogmas deutlich. Schon seit den 1930er Jahren war sie als ebenso fleißige wie wandlungsfähige Autorin aktiv, die nicht nur Phantastik, sondern auch Western schrieb. Ihr Pseudonym war ein Zugeständnis an jene zeitgenössischen Vorurteile, nach denen a) das Publikum der genannten Genres aus (jungen und Frauen eher fürchtenden) Männern bestand, weshalb b) nur Männer wissen konnten, was diese Leser wünschten.
Der Moment der Entscheidung
Wie Leigh Brackett oder C. L. Moore belegte Norton nachdrücklich die Wertlosigkeit dieses Urteils. Sie beherzigte eine grundsätzliche Tugend des Unterhaltungsromans, indem sie nicht - was man weiblichen Autoren gern unterstellte - das Abenteuer als Folie für Herz-Schmerz-Romanzen missbrauchte. Norton kannte dessen Regeln und setzte sie akkurat ein, um abenteuerliche Geschichten zu schreiben, in die sie Botschaften einfließen ließ, statt sie ihrem Publikum um die Ohren (bzw. Augen) zu hauen.
„Das große Abenteuer des Mutanten“ leidet unter einem deutschen Titel, der einst Leser mit der zu dieser Zeit üblichen Plumpheit locken sollte. „Starman’s Son“ legt den Blick deutlich fester auf das Grundthema dieses Romans von 1952. Norton beginnt gemächlich und stellt uns die Welt dieses 23. Jahrhunderts detailliert vor. Sie schickt ihren Helden, den typischen, also jungen und gegen verkrustete Gesetze und Regeln aufbegehrenden Außenseiter, auf eine Queste. Diese Reise wird ihn reifen lassen, sodass er vorbereitet ist, wenn die finale Krise jemanden fordert, der jenseits etablierter Denkmuster agieren kann.
Fors ist nicht nur ein ‚Rebell‘, sondern auch ein Mutant, was ihn in eine natürlich dramatisierte Konfliktsituation bringt: Die Radioaktivität nach dem Dritten Weltkrieg hat die genetische Ordnung nachdrücklich durcheinandergewirbelt. Faktisch ist Fors ein ‚Verwandter‘ der „Tiermenschen“, die es in dieser Beziehung härter getroffen hat. Norton deutet dies nicht nur an; an einer Stelle stellt sie klar, dass die „Tiermenschen“ wie alle Bewohner der Erde Opfer der Apokalypse sind. Dass sie dies durch die Handlung nachdrücklich konterkariert, ist der elementare Mangel des Romans.
Alle (Menschen) sind und werden Brüder/Schwestern ...
Im letzten Drittel wird es ein wenig melodramatisch. Norton gibt sich viel Mühe, drei Fraktionen einer künftigen (US-) Menschheit miteinander zu vereinen. Sie geht recht didaktisch vor: Die Präriebewohner sind Jäger und Sammler, die Menschen des Südens Viehzüchter und Landwirte, und der „Puma“-Clan stellt die Vertreter der Naturwissenschaften. Darüber hinaus sind die Südmenschen schwarzhäutig, was der Autorin die Gelegenheit gibt, über die Gefahr eines auch in der Zukunft schwelenden Rassismus’ zu sinnieren.
Fors/Norton versöhnt schließlich die nicht feindlichen, sondern vorsichtigen Gruppen. Der Blick nach vorn ist positiv und optimistisch, obwohl der Hang des Menschen zum Konflikt nicht verschwiegen wird. Alles wird gut - aber da gibt es zumindest aus heutiger Sicht einen gewaltigen Haken: Die „Tiermenschen“ bleiben in dieser schönen, neuen Welt ausdrücklich vor. Sie sind offensichtlich ebenso bösartig wie hässlich und taugen deshalb ausgezeichnet als kollektives Schreckgespenst. Der Pakt zwischen den Menschen kommt auch und vor allem deshalb zu Stande, weil die „Tiermenschen“ zurückgeschlagen, aber nicht besiegt (oder ausgerottet) wurden. Hier endet der schöne Traum von zukünftiger Gemeinsamkeit: Norton mochte zwar den Frieden inszenieren, doch dies folgte jenen Gedankenbildern, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts die Menschen prägten: Ohne Feind bleibt der Mensch nicht friedlich!
Hier erlischt die Toleranz, die Norton ansonsten (ein wenig zu inbrünstig) beschwört. Hinzu kommt Nortons auch in anderen Werken thematisierte, heute womöglich als „sozial aneignend“ zu kritisierende Liebe zur Kultur der „Indianer“, die man damals noch so nennen durfte. Strenge, aber gerechte und in sich ruhende ‚Naturmenschen‘ reden und handeln betont (politisch) korrekt, wie man es u. a. aus den „Ethno-Western“ späterer Jahrzehnte kennt (und fürchtet): „Das große Abenteuer des Mutanten“ ist gut geschriebene (sowie übersetzte) und spannende, aber eben auch tüchtig angestaubte Science-Fiction.
Fazit:
Positiv gestimmter „Post-Doomsday“-Roman, der jenen Moment der Zukunft beschreibt, an dem sich die Dinge für die Menschheit zum Besseren wenden (könnten): spannend vor routiniert beschriebenen, Neu-Natur-, Ruinen- und Strahlenkulissen spielende, mit interessanten Figuren besetzte und stimmungsvolle SF.
Andre Norton, Moewig
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