Der Tod der Jane Lawrence - Ein Schauerroman
- Penhaligon
- Erschienen: Februar 2024
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Wenn die Seele stirbt …
Nachdem ihre Eltern in den Wirren des Ersten Weltkriegs durch russische Gasangriffe ums Leben kamen, wächst die junge Jane Shoringfield bei den Cunninghams, Freunden der Familie, im beschaulichen Larrenton auf. Für gesellschaftliche Zwänge oder gar Gefühle hat Jane wenig über, vielmehr tickt ihr kühler Kopf nach den Gesetzen der Logik und sie legt ein Händchen für Zahlen an den Tag. Daher zeigt sie auch an einer Eheschließung wenig interessiert. Doch nun steht ein Umzug ins deutlich größere Camhurst an, wo Janes bescheidenes Einkommen nicht mehr ausreichen würde, um alleine über die Runden zu kommen. Daher macht sie dem jungen Chirurgen Augustin Lawrence ein Angebot: Die beiden gehen den Bund der Ehe ein, jedoch ohne deren emotionale Verpflichtungen, sondern eher als eine Art Geschäftsbeziehung. Jane schlägt vor, Lawrences Buchhaltung zu übernehmen und ihm sporadisch als Krankenschwester zu assistieren, sodass sie eher Angestellte denn Frau wäre. Natürlich hat sie die Sache vorher wohldurchdacht: Der mit seiner Arbeit verheiratete und zurückgezogen lebende Lawrence ist der ideale Kandidat für ein Arrangement dieser Art, welches Jane zwar finanziell absichern würde, ihr aber dennoch die Freiheit ließe, sich selbst treu zu bleiben.
Zunächst widerwillig geht Augustin auf ihren Vorschlag ein, jedoch unter einer Bedingung: Die Nächte verbringt er auf Lindridge Hall, dem Landsitz seiner Familie, und zwar allein – absolut nicht verhandelbar. Dies weckt zwar ein wenig Janes Neugier, doch stimmt sie zu. Schon kurz nach der Eheschließung muss sie auf die harte Tour lernen, dass das Handwerk ihres Gatten nicht nur blutiger, sondern auch seelisch belastender ist, als sie es erwartet hätte. Und nicht nur das: Gänzlich ungeplant entwickelt sie doch Gefühle für ihren Mann, und dieser für sie. Alles soll sich jedoch ändern, als er sie erstmalig mit nach Lindridge Hall nimmt: Das altehrwürdige, aber in die Jahre gekommene Gemäuer ist in der Tat schaurig und daher wenig einladend, sodass Jane fast froh ist, dort nicht nächtigen zu müssen. Als die Kutsche, welche sie nach Larrenton zurückbringen soll, jedoch kurz nach dem Aufbruch in einem Unwetter beschädigt wird, bleibt ihr nichts übrig, als nach Lindridge Hall zurückzukehren. Dieser schicksalsträchtige Moment wird sie in ein immer komplexer werdendes Mysterium hineinziehen:
Wieso verhält sich ihr Mann plötzlich so merkwürdig und unnahbar? Was sind die seltsamen Schattenkreaturen, welche sie ihm nachstellen sieht? Warum wird sie durchs Fenster von rot glühenden Augen beobachtet? Und wer ist Elodie, deren Name in Augustins Büchern auftaucht und die angeblich hier in diesem Haus gestorben sein soll? Je mehr Jane den Geheimnissen von Lindridge Hall auf den Grund geht, desto mehr muss sie ihre Talente einsetzen, um Dinge zu begreifen, welche ihr Verständnis von der Welt, den Naturgesetzen, von Leben und Tod auf den Kopf stellen. Wird sie sich selbst – und den Mann, den zu lieben sie gar nicht vorgehabt hatte – retten können ..?
Blut, Trauer und Angst
Neben ihrer Arbeit als Videospielentwicklerin ist Caitlin Starling Autorin mit Herzblut und verfasste bereits mehrere Romane, welche sie immer wieder in die Gefilde des Unheimlichen ziehen. Ihr Debut Die leuchtenden Toten brachte ihr sogar einen Literaturpreis ein und war für weitere nominiert. Bevor ihr neuestes Buch Last to leave the Room hierzulande erscheint, legt der penhaligon-Verlag Charlotte Lungstrass-Kapfers handwerklich solide deutsche Übersetzung des Werkes The Death of Jane Lawrence vor, welcher Anleihen an traditionelle Schauerromane mit Elementen anderer Genres kombiniert.
„Das Fleisch ist die Grenze zwischen der inneren Welt und der äußeren Wirklichkeit“
Der Tod der Jane Lawrence ist in Großbreltain, einer alternativen Version des Nachkriegsenglands, angesiedelt (was einem beim ersten Lesen leicht entgehen kann). Dies erlaubt das Nutzen von Versatzstücken aus Romance und Sci-Fi, die in einem Buch mit realistischeren Anspruch ein weniger stimmiges Bild gezeichnet hätten. Tatsächlich muss man dem Roman lassen, dass er an jeder Ecke aufs Neue überrascht und man nie genau weiß, in welche Richtung es einen im weiteren Handlungsverlauf verschlagen wird. So wähnt man sich zunächst in eine traditionelle Spukgeschichte vor einem klassischen, historischen Setting einschließlich der entsprechenden Klischees versetzt. Dann jedoch folgen erste wilde Wendungen ins Übernatürliche, als Alchemie und Magie eine Rolle zu spielen beginnen. Zentral ist dabei der Tod, seine wirkliche Bedeutung, und ob wir das Unvermeidliche verdrängen oder uns ihm gar verweigern können. Parallelen zu Mary Shelleys gotischem Meisterwerk Frankenstein können durchaus gezogen werden, Starling nutzt ihre Parabeln aber eher als Grundgerüst einer Charakterstudie, in welcher Fragen nach dem Gewicht von Schuld und Scham gestellt und Möglichkeiten aufgezeigt werden, sich davon freizumachen.
„Die Heilung wartet auf wenige, der Tod auf niemanden“
Besonders interessant liest sich Starlings origineller metaphysischer Erklärungsansatz zum Wesen der Magie. Auch blutige Schilderungen (wenn auch sehr vereinzelter) überraschend grotesker Szenen können überzeugen. Leider gelingt es dem Roman nicht, über seine Einzelaspekte hinauszuwachsen, und die Handlungsfäden entgleiten der Autorin zu sehr, um daraus ein durchweg mitreißendes Garn zu spinnen. Kaum hat man sich an ein Genre gewöhnt, lässt das nächste grüßen, sodass sich nicht alles organisch fügen will. Manche Eckpunkte (z.B. die Romanze zwischen Augustin und Jane, die benötigt wird, um die späteren Handlungen Letzterer als Protagonistin zu motivieren, aber nicht aus sich heraus überzeugt), wirken eher forciert, um auf Biegen und Brechen den weiteren Fluss der Story zu lenken. So bleibt der Grusel auf der Strecke, und zum Ende hin ermüdet der Roman trotz seiner erzählerischen Qualitäten.
Fazit:
Eines muss man dem Tod der Jane Lawrence lassen: Man weiß nie, was man kriegt. Das gilt vorm Aufschlagen des Buches ebenso wie beim Umblättern jeder Seite. Caitlin Starling hat tolle Ideen und weiß diese gekonnt sprachlich zu präsentieren, es bleibt dennoch ein fader Nachgeschmack, da das Storytelling nie richtig Fahrt aufnehmen will. Eine nicht uninteressante, aber holprige Lektüre für Fans ungewöhnlicher Genreliteratur.
Caitlin Starling, Penhaligon
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