Tiefseepioniere

  • Pabel
  • Erschienen: Juli 1960
  • 0
Tiefseepioniere
Tiefseepioniere
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2023

Weltenrettung vor Monstermäulern

Offiziersanwärter Jon West ist am Boden zerstört: Mit der angestrebten Laufbahn als Weltraumpilot wird es nichts. Als Alternative bliebe der Dienst in der Tiefsee: In diesem Jahr 2038 hat der Mensch die Ozeane kultiviert. Man legte Zuchtfarmen auf dem Meeresgrund an und schürft dort nach Bodenschätzen. Es gibt sogar einige Großstationen, die dem gewaltigen Druck standhalten. Selbst auf dem Boden des Philippinengrabens und damit mehr als zehn Kilometer unter Wasser ist der Mensch dauerpräsent.

Aus Mangel an Alternativen heuert Jon gemeinsam mit seinem Kumpel Steve Jaeger in der Tiefsee-Abteilung an. Aus seiner mangelnden Begeisterung macht er keinen Hehl, was ihm viel Schwierigkeiten bereitet, denn seine neuen Kameraden brennen für den Unterseedienst! Allerdings besinnt sich Jon rasch eines Besseren, als er in eine ebenso gefährliche wie abenteuerliche Welt gerät, die zahlreiche Herausforderungen für ihn bereithält.

Nicht nur der Wasserdruck ist der Gegner. Die Tiefsee ist die Heimat riesiger Meeresungeheuer, die ganze U-Boote ‚knacken‘ können! Sie lauern erst recht den Männern auf, wenn diese als Taucher ihren Außendienst versehen. Schnell gibt es unter den Neuen erste Opfer. Jon und Steve finden langsam ihren Platz und bewähren sich, weshalb sie sich dem streng geheimen „Projekt X“ anschließen dürfen.

Forscher sagen ein Erdbeben voraus, das den nordamerikanischen Kontinent in Stücke reißen wird. Um die Landbewohner, ihre Felder und Städte davor zu bewahren, soll an der dünnsten Stelle der Erdkruste mit Atombomben ein Loch gesprengt werden, um den steigenden Lava- und Gasdruck abzuleiten. Diese ‚Baustelle‘ befindet sich auf dem Boden des Philippinengrabens, und dort tragen die Freunde unter ständiger Lebensgefahr ihren Teil zum Rettungsplan bei ...

Abenteuer und Bewährung

Selbst als zynisch gewordener Mensch des 21. Jahrhunderts, der auf die harte Tour lernen musste, dass technischer und naturwissenschaftlicher Fortschritt einen hohen Preis hat, kann man eine leichte Wehmut nicht unterdrücken, liest man einen Roman wie „Tiefseepioniere“. Er entstand in der ‚unschuldigen‘ Aufbruchszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als nicht einmal der Himmel eine Grenze für den Tatmenschen darzustellen schien. Die Atomkraft galt als Segen, die brachiale Kultivierung bzw. Ausbeutung der Ozeane als Ausweg für eine an Kopfzahl immer stärker zunehmende Menschheit.

In dieser heilen Welt boten sich vor allem der Jugend aufregende Abenteuerspielplätze, die sicherlich bald Realität sein würden! In erster Linie richtete sich der Blick ins Weltall, aber beinahe ebenso attraktiv war um 1950 die weiterhin kaum bekannte Tiefsee. Was mochte sich dort unten verbergen? Konnte man es bergen und nutzen oder essen? Wie überlebt man überhaupt dort, wo einen der Wasserdruck normalerweise buchstäblich briefmarkenflach quetscht?

Diese Fragen will Autor Bryce Walton (irgendwie bzw. unterhaltsam) beantworten. Während die Weltraumfahrt gänzlich dem Militär untersteht, duldet man in der Tiefsee auch ‚Zivilisten‘. Walton sieht hier eine Quelle für Differenzen, mit denen er das Geschehen dramatisiert: Keine waggongroße Elektro-Qualle ist so gemein/gefährlich wie ein eifersüchtiger Mitmensch! Für zusätzliche Dramatik sorgt „Projekt X“, denn es geht um nichts Geringeres als die Rettung der Welt = Nordamerikas! Deshalb ist tief unter dem Meeresspiegel kein Platz für Streit. „Tiefseepioniere“ erzählt auch eine „Coming-of-Age“-Story: Aus dem jungen, ungestümen Jon West wird erst ein verantwortungsvoller Mitarbeiter und Kamerad und in der Krise schließlich ein Held.

Überall Monster!

Bryce Marvis Walton (1918-1988) lässt es an jener ‚Achtung‘ fehlen, die eine triviale, aber spannende Geschichte leicht ruiniert. „Tiefseepioniere“ verrät, dass er auch für Kino und Fernsehen schrieb, wobei er sich auf simple, aber eben rasante B-Garne à la „Captain Video and His Video Rangers“ spezialisierte. Zwar schwante der Forschung bereits 1950, dass man in der Tiefsee wohl keine Seeschlangen, Bohrschwämme oder Gigant-Hummer erwarten durfte; nur die Riesenkalmare waren belegt. Andererseits wusste man nicht genau, was in tintenschwarzen Abgründen lauerte. Walton nutzte die Gelegenheit und kreierte unbekümmert eine wahre Höllenmenagerie!

Was sich in der Tiefsee rührt, macht Jagd aufeinander und die ‚Besucher‘ vom Land. Walton ‚bläst‘ existierende Fische, Mollusken oder Krebstiere auf Monsterformat auf und lässt immer wieder Pechvögel zwischen ihre Zahnreihen, Tentakeln oder Scheren geraten; zusätzlich sind diese Ungetüme bioelektrisch und können ihre Opfer quasi ‚grillen‘ - auch dies ein Einfall zwecks Spannungssteigerung. Darüber hinaus gibt es Erdrutsche und Schlammlawinen.

Ungeachtet aller Gefahren meistert der Mensch die Tiefsee, eine beruhigende Vision, obwohl Opfer gebracht werden müssen. Dafür gibt’s ein Grab am Meeresgrund und die Hochachtung der Kameraden. Ein wahrer Mann meldet sich stets freiwillig, so formuliert Walton ein ungeschriebenes Gesetz der Tiefsee, und gibt alles - auch sein Leben - für das Team! Das prügelt sich vielleicht erst einmal, rauft sich dann jedoch zusammen. Weise Vorgesetzte sind Idealvorbilder und beeindrucken selbst renitente Jungmänner. Ein bisschen außerhalb der Norm liegen alte Haudegen wie Sam Thompson, die als Nachfahren der Wild-West-Pioniere den Dienstplan dort beugen, wo es die Erfahrung gebietet. Zumindest für einen Sam Thompson gibt es eine Nische in diesem Untersee-Mikrokosmos!

Mit großem Besteck arbeiten!

Es sind hohe Ansprüche, die der Autor der lesenden Jugend seiner Ära vermitteln sollte. „Tiefseepioniere“ entstand für den Verlag John C. Winston, der sich auf Phantastik für Heranwachsende spezialisiert hatte. Diese galten als wertvolle menschliche Ressource, die man umsichtig heranbiegen und schleifen musste, damit sie in die Welt von Morgen passten (sowie Kommunisten, Militärgegner, Systemkritiker u. a. Bösewichte in Schach hielten).

Der erwähnte Segen der Atomenergie regt einen aus heutiger Sicht grotesken ‚Plan‘ an. Doch 1950 strotzte man vor Selbstbewusstsein und Zuversicht; jedenfalls sprach aus Verfassersicht nichts dagegen, die Erdkruste mit 300 (!) gleichzeitig gezündeten Atombomben zu durchlöchern, um auf diese Weise für einen erdbebenverhindernden Druckausgleich zu sorgen. In der Realität hätte man auf diese Weise wohl nicht Nordamerika gerettet, sondern den Globus gespalten, aber ein solcher Pessimismus ist in Waltons Welt nicht vorgesehen.

Den manipulativen Unterton muss man akzeptieren oder ausblenden, wie es schon einst viele Leser getan haben dürften. „Tiefseepioniere“ bietet genug rasante Unterhaltung, um über solche und andere Mankos hinwegzutragen. Dieser Roman kann durchaus neben thematisch ähnlichen Klassikern von Jack Williamson und Frederik Pohl („Undersea“-Trilogie, 1954-1958) oder Arthur C. Clarke („The Deep Range“/„In den Tiefen des Meeres“, 1957) bestehen. Die Story hat in ihrem abgehobenen Umfeld Hand und Fuß, sie läuft stringent ab, und die Übersetzung ist zwar alt (-modisch), aber immer noch lesbar.

Fazit:

Nicht der Weltraum, sondern die Tiefsee bietet diesem routiniert auf Spannung getrimmten SF-Roman die Kulisse. Die Figuren sind einfach gestrickt, denn sie sind auch Projektionsflächen für Tugenden, die den zeitgenössischen Lesern nebenbei eingetrichtert werden sollten: dennoch ein farbenfrohes Phantastik-Abenteuer.

Tiefseepioniere

Bryce Walton, Pabel

Tiefseepioniere

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