Insania Tenebris
- Skinless Crow
- Erschienen: Dezember 2023
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Andalusische Abseitigkeiten aus alter und neuer Zeit
Howard Philips Lovecraft (1890-1937) verdanken wir eine alternative Chronik unseres Kosmos’ als Schauplatz monumentaler Kriege, die uralte Entitäten praktisch seit dem Urknall führen. Diese Wesen sind womöglich Überlebende eines früheren Universums und unsterblich, mit buchstäblich überirdischer Stärke ausgestattet und völlig skrupellos in ihrem Wirken.
Die „Älteren Götter“, aber vor allem die „Großen Alten“ bestimmen auch die Geschicke der Menschheit. Unglücklicherweise wurde die Erde zur ‚Heimat‘ des auf diesen Planeten verbannten ‚Gottes‘ Cthulhu, der in den Tiefen des Pazifiks gleichzeitig schläft, träumt und Unheil stiftet. Gnade Gott uns Menschen, sollte er jemals erwachen! Dann würde Cthulhu seine unendliche Macht einsetzen und aus der Erde einen Ort ewigen Schreckens machen.
Solange er mehr oder weniger isoliert bleibt, kann Cthulhu nur eingeschränkt für Unheil sorgen. Dies hindert ihn nicht, seine Fähigkeiten einzusetzen, um mit menschlicher Unterstützung die Mauern seines Gefängnisses einzureißen. Cthulhu wendet sich gezielt an jene Menschen, die schwach im Charakter und böse sind. Ihnen verspricht er Unsterblichkeit und Macht, wenn sie in seinem Sinn handeln, jene Bereiche des menschlichen Alltags, der von Gerechtigkeit, Güte und Rücksicht geprägt wird, systematisch aushebeln und Böses im Geiste ihres Meisters tun. Seit es Menschen gibt, findet Cthulhu Zeitgenossen, die seinen Verlockungen nicht widerstehen. In allen Teilen dieser Erde gibt es Gruppen, die ihrem Meister dabei helfen, an seinen Gitterstäben zu rütteln.
Ungeachtet ihrer mit allen Mitteln geheimgehaltenen Machenschaften gibt es immer wieder Außenstehende, die zufällig oder auf der Suche nach ‚verbotenem‘ Wissen die Spuren Cthulhus und seiner Jünger kreuzen. In der Regel bezahlen sie dies mit einem grausigen Tod, denn besagte Jünger achten sehr sorgfältig darauf, die Geheimnisse ihres Herrn zu schützen. Notfalls taucht Cthulhu persönlich aus den Fluten auf, um für Ordnung in seinem Sinn = Tod und Verderben zu sorgen.
Zum Beispiel Andalusien
Damit ist - natürlich nur grob - jene fiktive Mythologie beschrieben, die zu Lebzeiten Lovecrafts für Faszination und Schrecken sorgte. Dies trieb giftige Blüten; viele zeitgenössische Autoren beriefen sich auf sein „kosmisches Grauen“ und arbeiteten es in ihre eigenen Werke ein. Lovecraft freute sich darüber und förderte entsprechende Ansätze. Sein früher Tod setzte dem kein Ende. Nach einer gewissen Durststrecke kam der Mythos in den 1960er Jahren zu nie gekannter Geltung.
Unzählige neue Autoren fügen seither Kapitel in Lovecrafts Chronik ein. Die Grenzen der USA als ursprünglicher Hort uralten Grauens wurden dabei gesprengt. Weltweit greifen Schriftsteller auf Lovecrafts Vorgaben zurück. Diese werden treu (bzw. sklavisch) kopiert, aber auch einfallsreich variiert. Cthulhus Wirken in der Welt wird verknüpft mit heimischer Geschichte und Kultur. Seine Jünger mögen global zwar dieselben Absichten hegen, doch ihr Vorgehen wurzelt in den jeweiligen regionalen Eigenheiten - ein Faktor, der dem eigentlich immer gleichen Ringen von Gut und Böse Leben einhaucht.
„Insania Tenebris“ verdeutlicht das. In Wort und Bild entwerfen Autoren eine Geschichte Spaniens, die nachdrücklich von Cthulhu und seinen Schergen beeinflusst wurde. Das Schwergewicht liegt auf der Provinz Córdoba im andalusischen Süden der hispanischen Halbinsel. Dort hat sich eine Gruppe von Amateurschriftstellern, die sich die „Bastarde von Abdul Alhazred“ nennen - Alhazred ist nach Lovecraft der Autor des berühmt-berüchtigten „Necronomicons“, das die Übeltaten der „Großen Alten“ festhält -, nicht nur durch ihr Wissen über, sondern auch mit eigenen erzählerischen Beiträgen zum Cthulhu-Mythos einen Namen gemacht.
Die Spuren des Bösen
Die deutsche Ausgabe von „Insania Tenebris“ (= „Wahnsinn im Dunkeln“) sammelt zwei Bände, die 2020 bzw. 2021 erschienen. Sie enthalten die Geschichten der „Bastarde“ sowie die kongenialen Zeichnungen des andalusischen Zeichners Francisco Raúlo Cáceres Anillo. Text und Bilder sind als Einheit gedacht; sie ergänzen einander und offenbaren Zusammenhänge und Hintergrundwissen, das in Worten oft nur angedeutet wird. Teil 1 („Insania Tenebris“) folgt den Spuren einiger mysteriöser Radierungen aus dem 18. Jahrhundert. Schon ihre Herkunft ist rätselhaft, und sie sind bis in die Gegenwart Auslöser für rätselhafte, grauenhafte und unheimliche Ereignisse, die darauf hinweisen, dass hier nicht nur verbotenes Wissen offenbart wird, sondern dessen Hüter auch Sorge dafür tragen, dass dieses nicht an die Öffentlichkeit dringt. Alte, verborgene oder geheime Aufzeichnungen, aber auch Zeitungsberichte, geheimdienstliche Dokumente, Fotos u. a. schriftliche Unterlagen werfen Schlaglichter auf Geschehnisse, die nur im hier vermittelten Zusammenhang einen Sinn ergeben. Während der Französischen Revolution, später auch auf dem Mond tauchen Kreaturen auf, die als Manifestationen menschlichen Wahnsinns nur mühsam kontrolliert = unterdrückt werden können; selbstverständlich mischen in dieser Parallelhistorie auch die Nazis als prominente Helfer Cthulhus mit.
Teil 2 („Insania Tenebris Profeticum“) ist eine Zusammenstellung von Berichten, Erzählungen oder Tagebucheinträgen, die bis in jene Zeit zurückreichen, als Spanien Teil des römischen Imperiums war. Weitere Texte spielen im 9. Jh., als das von den arabischen Mauren beherrschte Spanien von Wikingern überfallen wird, die allerdings auf einen Gegner stoßen, der sogar sie in Angst und Schrecken versetzt. Im 17. Jh. tritt die spanische Armee gegen Cthulhu an, und während der napoleonischen Kriege des 19. Jh., wird das Grauen durch übernatürliches Handeln auf die Spitze getrieben. Der Kreis schließt sich, als sich herausstellt, dass der Kampf gegen das „kosmische Grauen“ auch in der Gegenwart tobt.
Als Klammer dienen dem Text die Zeichnungen. Sie kommen in dieser deutschen Ausgabe aufgrund der Großformatigkeit in ihrer schwarz-weißen Pracht hervorragend zur Geltung. Raúlo Cáceres arbeitet mit Licht und Schatten und Schraffuren; er entwirft seine höllischen Spiegelungen einer parallelen Düsterwelt mit enormer Detailfreude. Seine Werke erinnern an den US-amerikanischen Comic-Meister Bernie Wrightson (1948-2016) und hier besonders an dessen Adaption des Grusel-Klassikers „Frankenstein“ (1983).
Leider dürfen hierzulande nur 666 Leser in den Genuss des drucklimitierten Werkes kommen, was schade ist, denn es dürfte wohl mehr Interessenten finden. Die Beschränkung vor allem phantastischer Titel ist ein ebenso verständliches wie ärgerliches Phänomen. Dem Verlag ermöglicht es eine präzise Vorabberechnung der anfallenden Kosten. Gleichzeitig suggeriert die Limitierung den Lesern ein potenzielles Sammlerstück, das womöglich/sicherlich im Wert steigen wird. Die künstliche Verknappung lässt echte Genrefans, die nicht kaufschnell genug waren, das Nachsehen haben; eine ärgerliche Erfahrung, die übrigens keineswegs dazu führt, beim nächsten Angebot automatisch zuzuschnappen.
Fazit:
Inhaltlich interessante, vor allem optisch imponierende Variation des modern-klassischen „Cthulhu“-Mythos, der hier mit der reichen, weit in die Vergangenheit greifenden Geschichte Andalusiens verknüpft wird. Zur Eindringlichkeit des Werks tragen die stimmungsvollen, bis ins Detail durchdachten Zeichnungen des Künstlers Raúlo Cáceres bei.
Bastarde von Abdul Alhazred, Skinless Crow
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