Die vergessene Stadt
- Pabel
- Erschienen: Oktober 1960
- 1
Vom alten Ägypten tief ins Weltall
Nach einer anstrengenden Expedition durch Nordafrika wollen sich die Geologen D. W. Lawrence und Dr. Cummings in Ägyptens Hauptstadt Kairo erholen. Dort treffen sie den berühmten Altertumsforscher Lord Hanavan, der gemeinsam mit Professor Milroy, einem Spezialisten für alte bzw. tote Sprachen, einem historischen Rätsel auf den Grund gehen will.
Zur Zeit der antiken Pharaonen, doch bereits unter dem Druck des aufstrebenden römischen Imperiums, war eine Gruppe ägyptischer Siedler den Nils aufwärts in eine damals noch völlig unerschlossene Region gezogen. Dort hatte sie angeblich eine technisch weit fortgeschrittene Zivilisation gefunden und sich ihr angeschlossen. Der Wissenschaft ist diese „lost colony“ unbekannt. Hanavan überredet Lawrence und Cummings, an einer Expedition teilzunehmen, die nach Spuren suchen wird. Der Abenteurer Harry Hawkins und der deutsche Biologie Ludwig Pfeiffler schließen sich an.
Die Reise ist lang und gefährlich. Schon in Kairo wollen Feinde die Expedition verhindern. Ein uralter Kult versucht das Geheimnis der Vergangenheit um jeden Preis zu schützen. Immer wieder kommt es zu Sabotageakten. Als sich die Forscher nicht abschrecken lassen, werden die Attacken handfester.
Dennoch erreicht man das Ziel - und gerät buchstäblich in eine andere Welt! Die fremde Macht ist weiterhin präsent. Sie stammt aus dem Weltall und unterhält auf der Erde eine Kolonie. Man will unerkannt bleiben, sodass die Ankömmlinge zwar unverletzt bleiben, aber nicht mehr in Freiheit gelangen sollen. Um dies zu unterstreichen, werden sie auf einen Planeten der Sonne Alpha Centauri gebracht, der - im Originaltitel klingt es an - weit jenseits der Plutobahn durch das All kreist.
Immun gegen bohrende Blicke
Eine echte Entdeckung erwartet wieder einmal jene, die sich in die Niederungen der deutschsprachigen Science Fiction hinab wagen. Was in den „Utopia-Großbänden“ einst (und diesem Fall 1960) erschien, gehörte zumindest in der zeitgenössischen Erscheinung nicht zu den verlegerischen Großtaten. Auf Seitennorm gebracht, also zusammengekürzt und meist von überforderten und unterbezahlten Übersetzern eingedeutscht, war man als Leser dennoch froh, überhaupt mit der geliebten Genreware bedacht zu werden. „Die vergessene Stadt“ belegt, dass man manchmal durchaus gut bedient wurde.
Zuvor ein Wort der Warnung - oder der Erleichterung: „Schlechte Science Fiction“ wurde viel zu lange von Kritikern definiert, die in der Lektüre ausschließlich einen Weg zu persönlicher Erkenntnis und Fortbildung sahen. Lese aufmerksam, um zu lernen - und fühle dich schlecht, wenn dich eine Geschichte ‚nur‘ interessiert, weil sie gut = spannend erzählt wird, ihr aber ein „tieferer Sinn“ fehlt. Von bornierter Pseudo-Intellektualität wurde gerade die SF-Kritik lange dominiert; hier spielt auch die Unsicherheit eines Genres mit, das ohnehin als „minderwertig“ galt. Seine Kritiker scheinen diese Periode nie vergessen zu haben - und wurden im Streit um den literarischen Wert der SF zu notorischen Spielverderbern und Spaßbremsen.
„Die vergessene Stadt“ ist sicherlich kein Meisterwerk. Seine Meriten gewinnt dieses Werk auf einem anderen Sektor, der endlich seine Existenzberechtigung unter Beweis stellen darf: Diese Lektüre bereitet einen Heidenspaß! Das Werk wurde 1932 in der Sommerausgabe von „Wonder Stories Quarterly“ (Vol. 3, Nr. 4) veröffentlicht, einem der erfolgreicheren unter den vielen kurzlebigen, aber oft unvergessenen „Pulp“-Magazine vom Anfang dieser „Goldenen Ära“ kunterbunter, einfallsreicher, naiver, bis zum Platzen mit dem „Sense of Wonder“ aufgeladener Geschichten. (Zahlreiche, oft großformatige Zeichnungen des „Pulps“-Künstlers Frank R. Paul trugen zur „Beyond-Pluto“-Grandezza bei.)
Wer war er?
So tief man das Internet auch durchpflügt: Niemand scheint zu wissen, wer „John Scott Campbell“ war, der in den 1930er Jahren einige wenige, aber schon damals und auch heute geschätzte SF-Abenteuer-Storys veröffentlichte, um dann so spurlos zu verschwinden, wie er aufgetaucht war. (In der genannten „Wonder-Stories“-Ausgabe gibt es eine Strichzeichnung. Das Porträt zeigt einen jungen Mann, doch der begleitende Text ist ohne Informationsgehalt.)
Dieser John Campbell ist jedenfalls nicht mit seinem Zeitgenossen John Wood Campbell, jr. (1910-1971) identisch, der als Autor (u. a. „Who Goes There“/„Das Ding aus einer anderen Welt“) und langjähriger Herausgeber des legendären Magazins „Astounding“/„Analog“ in die SF-Geschichte einging. Dennoch wusste auch John Scott Campbell offenkundig, wie man ein spannendes Garn zu spinnen hatte.
Auf so einen Aufhänger für ein krachendes Trivial-Epos muss man erst einmal kommen: Campbell gibt zwar den Startschuss für seine in einem gigantischen Weltraumkrieg gipfelnde „space opera“ auf der Erde. Quasi in den Fußstapfen eines Henry Rider Haggard (1856-1925) lässt er eine Gruppe abenteuerlustiger Forscher in die afrikanische ‚Wildnis‘ vordringen, die es 1932 aus ‚zivilisierter‘ Sicht noch gab. (Nicht nur) Afrika bot noch „weiße“, d. h. unbekannte Landstriche, in die sich spannende Seltsamkeiten platzieren ließen. Ein unbesteigbarer Tafelberg war ideal. Oben konnte man alles finden - überlebende Dinosaurier und Urzeitmenschen („The Lost World“/„Die vergessene Welt“, 1912, von Arthur Conan Doyle), einen Schlupfwinkel des Dämonen Pazuzu (im Film „Exorzist II - The Heretic“/„Der Ketzer“ von 1977) oder eben eine außerirdische Stadtkolonie.
Keine Pause, kein Pardon
1922 hatte Howard Carters Entdeckung des ungeplünderten Grabes von Tutanchamun das Interesse an der altägyptischen Geschichte weltweit angefacht. Viele (Drehbuch-) Autoren griffen dankbar diese Vorlage auf. Auch Campbell beginnt sein Garn mit einem historischen Rätsel, an das sich eine riskante Erkundungsfahrt anschließt. Dabei sind die zeitgenössisch üblichen, d. h. wackeren und weißen Eroberer englischer und US-amerikanischer Herkunft, zu denen sich ein kauziger deutscher Professor gesellt, der durch seine Schussseligkeiten für biedere Heiterkeit sorgt. Ganz klassisch arbeitet man sich durch „giftige Sümpfe“, über „steile Klippen“ und natürlich durch von mordlüsternen „Wilden“ bevölkerte „Urwälder“ voran, überlebt dabei übliche Gefahren - und tappt plötzlich in eine Stadt der Zukunft!
Abrupt ändert sich der Tonfall. Das sorgfältig entwickelte Mystery-Abenteuer explodiert buchstäblich zur grenzenlosen Science FICTION; die Versalien sind hier Absicht, denn von nun an gibt Autor Campbell Vollgas! In „Beyond Pluto“ spielt Zeit wenig und Raum gar keine Rolle. Die Technik zu beider Bezwingung existiert, und die Erdlinge, die erst einmal rat- und ahnungslos auf diese Bühne stolpern, finden rasch wieder zu sich und sind bald eifrig und entscheidend an diversen Kriegsfronten aktiv. Ein erzböser, bisher unbesiegbarer Diktator setzt wortwörtlich Himmel und Hölle in Bewegung, doch 1932 waren die Schurken ihren aufrechten Helden-Gegnern nur bedingt gewachsen.
Die Handlung setzt sich über Naturgesetze und Plausibilität hinweg. Es wird gehandelt; Schicksal (oder Pech), wer der Gerechtigkeit dabei in den Weg gerät, denn wo gehobelt wird, fallen Späne = ‚Kollateralopfer‘. Diese Welt teilt sich in „gut“ und „böse“, und es ist das gute Recht der „Guten“, die Strolche so nachdrücklich auszutilgen, dass man zukünftig nicht mehr auf sie achtgeben muss!
Fazit:
SF-Abenteuer aus der großen Zeit der US-Pulps: ganz im Zeitgeist, also politisch unkorrekt und simpel geschrieben, aber spannend und ohne jegliche (Ehr-) Furcht vor Naturgesetzen u. a. lästigen Vorgaben für eine möglichst rasante Handlung.
John Scott Campbell, Pabel
Deine Meinung zu »Die vergessene Stadt«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!