Ihr wollt es dunkler

Kurzgeschichten von Stephen King sind doch immer etwas Besonderes. Abseits seiner großen Romane beweist der US-amerikanische Bestseller-Autor in komprimierter Form seinen Ideenreichtum und das kreative Spiel mit den Genres. So auch in „Ihr wollt es dunkler“.

Psychopathen, Killer, Aliens und der ganz alltägliche Wahnsinn

Für zwei Freunde soll sich nach einer Begegnung der anderen Art ihr Leben für immer verändern. Das Aufeinandertreffen von Harold und Jack im Central Park wird leider nicht so gut verlaufen. Eine Familie auf dem Weg zu einer Beerdigung muss sich „Auf der Slide Inn Road“ gegen üble Kerle behaupten.

Wie so häufig bei Stephen King, kann man lange Zeit kaum erahnen, wo die Ereignisse hinführen werden. Auch diesmal wirft er uns in alltägliche Momente hinein. Wir lernen die Protagonisten und ihre Lebensumstände kennen. Selbst bei Geschichten mit nur geringem Seitenumfang spannt King stets eine kleine Welt auf, die uns schnell vertraut wird, selbst wenn die Grenze zum Irrationalen aufgebrochen oder überschritten wird. Aber in diese Welt wird Veränderungen Einzug halten. Uns so sind es schicksalhafte Momente oder Begegnungen, die langsam, aber stetig die Realität verändern und einen Wendepunkt markieren.

Wie kaum ein anderer Schriftsteller gestaltet King seine Figuren mit ihren Eigenschaften und Wesenszügen so lebendig. Mal sind sie schrullig, mal traumatisiert, mal gar nicht wirklich besonders und gerade dadurch so greifbar. Oder sie sind schlicht liebenswert, wie etwa in „Laurie“.  Wir lernen Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten kennen, wie „Ein Fachmann für Turbulenzen“. Andere wiederum sind gefährlich oder psychopathisch und mit ihnen rücken dann auch Leben und Tod dichter zusammen.

Natürlich müssen wir auf die Tiefe und Detailverliebtheit der Romane von King verzichten. Aber die in jeder Geschichte gut ausgearbeitet Dramaturgie, die zwischenmenschliche Interaktion und die nuancierte Dynamik der Figurenkonstellationen verleihen auch den Kurzgeschichten Substanz. Und dann ist da noch „Danny Coughlins böser Traum“. Mit über 300 Seiten Umfang doch ein eher kleinerer Roman als nur eine Kurzgeschichte. Darin träumt Danny von einer Leiche und findet sie dann auch tatsächlich. Leider ist die Polizei - insbesondere Jalbert - davon überzeugt, dass Danny der Mörder ist und will ihn unter allen Umständen drankriegen. Für Danny beginnt eine schwere Zeit und wir lesen sicherlich das packende Highlight dieser Geschichtensammlung.

So wandelt King mal wieder zwischen Krimi, Thriller, Drama, Mystery, Horror, Science-Fiction und Gesellschaftsroman. Letzteres da wir auch wieder Einblicke in Kings Amerika erhalten. Gesellschaftliche und politische Begebenheiten werden mal mehr mal weniger betont verwoben - Corona, Trump oder Vietnam zum Beispiel. Es gibt ebenso Anknüpfungen an frühere Werke. Wie immer lesenswert ist auch das Nachwort. Diesmal erfahren wir unter anderem, dass Stephen King eine der Geschichten bereits im Alter von dreißig Jahren begonnen und nun auf Drängen seines Neffen vollendet hat.

Fazit:

Stephen King beweist einmal mehr das virtuose Spiel mit den Genres. Nicht alle der facettenreichen Geschichten in „Ihr wollt es dunkler“ sind von höchster Originalität geprägt oder enden mit einem besonders raffinierten Plot. Aber sie versprühen - vielleicht wieder mehr als manch vorherige Werke - diesen ursprünglichen King-Charme. Für mich hätte es gerne noch deutlich dunkler zugehen können, aber ich habe gerne wieder Kings Hand genommen, während er mich langsam aus dem Licht geführt hat.