Stephen King - Sein Werk, sein Leben, seine Inspiration
- Edition Olms
- Erschienen: September 2023
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Ein furchtbar erfolgreiches Leben
Zwei Worte = ein Name und in diesem speziellen Zusammenhang die Frage, welchen Sinn ein weiteres Buch nicht von, sondern über Stephen King haben kann? Der Mann sucht seit mehr als einem halben Jahrhundert die Buchläden dieser Welt förmlich heim, er ist ein wahrlich fruchtbarer Schriftsteller! Mindestens einen neuen Titel legt er jährlich vor, wobei ihn sowohl eine langjährige Alkohol- und Drogensucht als auch ein beinahe tödlicher Unfall nicht aus dem Takt brachte.
King liefert - und nicht nur Horror. Selbst sieht er sich als Geschichtenerzähler, die Genre-Schubladen für seine Werke suchen Kritiker und Leser aus. King selbst schert sich wenig um Grenzen. Im Vordergrund steht für ihn die Story, die es möglichst spannend voranzutreiben gilt. Auch wenn es ihm nicht immer gelang, seinen (trügerisch bescheidenen) Ansprüchen gerecht zu werden, folgten auf weniger zündende Werke wieder Höchstleistungen.
In 50 Jahren hat sich ein buchstäblich gewaltiges Œuvre angesammelt, das über Romane, Novellen und Kurzgeschichten weit hinausgeht. Schon immer war King fasziniert vom phantastischen Film, wobei er - anders als die ‚normale‘ Kritik - auch im ‚Schund‘ Storys und Bilder erkannte, die zeitgenössische Probleme aus Politik und Gesellschaft aufgriffen, spielerisch in bildhaften Horror umwandelten und dabei keineswegs aus den Augen verloren. Hinzu kommt Kings gesunder Sinn für einfach ‚nur‘ unterhaltsamen Schrecken. Vom daraus resultierenden Langmut konnte er zehren, als Film und Fernsehen auf sein Werk aufmerksam wurden: Der in Bild und Ton verwandelte Stephen King ist aus der Filmhistorie schon aufgrund der Vielzahl der entstandenen (Mach-) Werke nicht mehr wegzudenken. Wirklich gelungen ist davon freilich wenig.
Ein Jedermann hinterlässt zunehmend tiefere Spuren
Kings Leben ist relativ gut dokumentiert. Er hat selbst mehrfach ausführlich über seine schriftstellerischen Anfänge berichtet; über sein schwieriges Leben als Kind der Unterschicht, das im Alter von zwei Jahren vom Vater verlassen wurde, und über seine harten Lehrjahre als Autor, der zahlreiche Niederlagen einstecken musste, bis sich der Erfolg einstellte. Insofern hat Chronist Bev Vincent wenig gravierend Neues beizutragen, obwohl er als ausgewiesener Spezialist für Kings Leben und Werk gilt; über letzteres hat in mehreren umfangreichen und tiefschürfenden Erläuterungen und Entschlüsselungen Licht dorthin gebracht, wo King (eigentlich) die Fantasie seines Publikums (über-) forderte.
Vincent zeichnet Kings Werdegang in eher dürren Worten nach. Wenig mehr als 200 Seiten benötigt er, um den King-Kosmos darzustellen. Dabei konzentriert er sich auf das Wesentliche und gliedert Leben und Werk in sechs Kapitel. Den Haupttext begleiten dabei Textboxen, in denen Vincent bestimmte Aspekte aufgreift und vertieft. Kapitel 1 - „Der Künstler als junger Mann (1950-1969)“, S. 10-21 - beschreibt die frühen Jahre des noch ‚wortlosen‘ Autors, der schon als Schüler Geschichten schrieb (und Absagen sammelte). Heute beinahe in Vergessenheit geraten ist der Dichter King, der während seiner Universitätsjahre zur Lyrik fand.
Kapitel 2 - „Die Doubleday-Jahre (1970er)“, S. 22-69 - verfolgt den mühsamen, von Rückschlägen begleiteten Weg zum Erfolgsautor; eine Geschichte, die wie gesagt schon oft erzählt wurde, hier aber zusammengefasst wird und verdeutlicht, wie viel Dreck King schlucken musste, bevor er endlich von seiner Arbeit leben konnte. Folgerichtig ist Kapitel 3 mit „Goldene Jahre (1980er)“, S. 70-133, betitelt. Nun etablierte sich der „King of Horror“; ein ‚Prädikat‘, das er akzeptierte, weil es den ersehnten Erfolg sowie die finanzielle Erlösung zementierte. In diesen Jahren begann King auch mit der Arbeit an seinem Opus Magnum, der Saga um den Dunklen Turm.
Ein Leben auf der Kippe
King wurde multimedial omnipräsent. Unter denen, die sich auf Vorlagen aus seiner Feder stützen, gehörten immerhin Kino-Meister wie David Cronenberg, Rob Reiner, George A. Romero und natürlich Stanley Kubrick. Sein Arbeitseifer ließ nicht nach, als die Dämonen seiner jüngeren Jahre ihn einzuholen begannen. Kapitel 4 - „Experimente und Wandel (1990er)“, S. 134-167 - schildert Kings ‚Doppelleben‘: Während er als Autor weiterhin ‚funktionierte‘, begannen Alkohol und Drogen ihn und seine Familie immer stärker zu bedrängen. Zum dramatischen Wendepunkt wurde der 19. Juni 1999, als King während eines Spaziergangs von einem betrunkenen Truckfahrer niedergestreckt wurde. Schwer verletzt lag er lange im Krankenhaus, musste eine schmerzhafte Reha hinter sich bringen - und geriet in den Bann des Schmerzmittels Oxycon, dessen Rauschgift-Natur von skrupellosen Geschäftemachern so lange wie möglich verschleiert wurde. In den USA starben zahlreiche Menschen an den Folgen. King kam von dem Mittel los und ordnete sein Leben neu.
In Kapitel 5 - „Nach dem Unfall (2000er)“, S. 168-195 - beschreibt Vincent, wie King den Horror keineswegs ‚verließ‘, sondern ihn in ein Werk integrierte, das Genregrenzen endgültig ignorierte. Hinzu kamen ‚echte‘ Kriminalgeschichten oder sogar ‚belletristische‘ Romane, in denen das Übernatürliche keine Rolle spielte. King schrieb sich frei, und dass er auch ohne Blut und Schrecken fesseln kann, unterschrieb auch ein lange ablehnende, dann zögerliche und nun dem Verfasser gewogene Literaturkritik: Kapitel 6, „King und der Krimi“ (2010 und danach)“, S. 196-219.
Es bleiben noch etwa zwanzig Buchseiten, die Vincent mit Anhängen füllt. Einer kommentierten Auswahl-Bibliografie folgt eine alphabetisch sortierte Liste der „Bücher von Stephen King“. Schon ihre Länge ist eindrucksvoll, doch sie wird von „Anhang II: Kurzgeschichten und Kurz-Romane“ in den Schatten gestellt. Ebenfalls scheinbar endlos ist die Auflistung der Kino- und TV-Filme, Streaming- und Mini-Serien, die auf King-Material basieren.
Die Informationsmacht des Bildes
Was Vincent anderen King-Biografien voraus hat, ist sein Zugriff auf unzählige Fotografien, Briefe u. a. private Dokumente, die King in seinem Privatarchiv hütet. So konnte er auf unveröffentlichte Bilder zurückgreifen, die einen jungen, noch unbekannten King zeigen. Hinzu kommen Skizzen und Notizen, die das Entstehen heute klassischer King-Bestseller nicht nur begleiten, sondern auch erhellen. Es gibt Ankerpunkte im Realleben (des Verfassers), das auf interessanten, verschlungenen Wegen in das Werk vordrang. Hier kann Vincent interpretatorisch punkten.
Das selbst ‚offizielles‘ Bildmaterial wie Buch- und Filmcover, Ausschnitte aus Comics u. a. oft filigranmotiviges Motivgut voll zur Geltung kommt, verdankt es auch der bemerkenswerten Papier- und Druckqualität dieser Ausgabe. Die Details stechen buchstäblich ins Auge, die Farbe knallen, und schwarze Flächen sind deckend. Selbst kleinformatige Bilder und Zeichnungen geben ihre Inhalte augenschonend preis. Viele Motive füllen ganze Buchseiten und laden erst recht zur ausgiebigen Sichtung ein.
Fazit:
Im Vordergrund dieses Buches steht weniger die unbedingte Suche nach noch Unbekanntem, sondern die knappe, aber umfassende Zusammenfassung eines beispiellos produktiven Lebens. Auf diesem Niveau kann der Verfasser nicht nur informieren, sondern auch unterhalten, wobei eine Vielzahl ausgezeichnet wiedergegebener Abbildungen den Text unterstützt.
Bev Vincent, Edition Olms
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