11 Cocktails aus meiner Giftbar

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1979
  • 0
11 Cocktails aus meiner Giftbar
11 Cocktails aus meiner Giftbar
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2023

Elf Weggabelungen zwischen Bosheit und Wahnsinn

- Roald Dahl: Sprung ins Verderben (Dip in the Pool; 1952), S. 7-17: Mr. Botibol wagt einen riskanten Sprung auf der Basis einer gänzlich falschen Entscheidung.

- Mack Morris: Kavalier der Straße (Courtesy of the Road; 1949), S. 17-22: Als seine Frau überfahren wird, wählt der trauernde Witwer eine handfeste, aber verdachtsfreie Form der Rache.

- Robert Arthur: Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein (Just a Dreamer; 1941), S. 22-38: Stets erscheint, wovon Wilfried Weem träumt; im Guten wie im Bösen.

- Joan Vatsek: Simone (Simone; 1949), S. 39-52: Sie liebt es Männer zu jagen und erweist sich als trickreiche Verfolgerin.

- Andrew Benedict:  Diskretion Ehrensache (The Wall-to-Wall Grave; 1962), S. 52-64: Die Hände will er sich nicht schmutzig machen, doch die Rache für den Tod seiner Tochter fällt dennoch schauerlich aus.

- Richard Wormser: Das Rezept (Smart Sucker; 1957), S. 65-81: Dies war ein harter Tag für Henry, und als man ihn zu allem Überfluss überfällt, platzt ihm für alle Beteiligten unerwartet der Kragen.

- Jane Rice: Der Gott der Fliegen (The Idol of the Flies; 1942), S. 81-105: Pruitt betet Beelzebub an, übersieht jedoch, dass nur der Teufel entscheidet, wen er sich holen will.

- George Mandel: Anpassung (Adjustments; 1956), S. 105-120: Sie lieben sich sehr, außer wenn er sie im Schlaf umzubringen versucht; Nacht für Nacht.

- Stuart Cloete: Kongo (Congo; 1942), S. 120-129: Auch wenn man ihn wie ein Menschenkind aufzieht, bleibt ein Gorilla unberechenbar.

- Jeremiah Digges: Das Primelhalsband (The Arbutus Collar; 1936), S. 129-138: Die gar zu lebenslustige Schwiegertochter wird auf eine Tugendprobe gestellt, die grausig endet.

- F. Scott Fitzgerald: Auf einer kurzen Heimreise (A Short Trip Home; 1927), S. 138-159: Die junge Frau wird vom Geist eines Schurken heimgesucht, der auch im Tod nicht von seinem kriminellen Tun ablassen kann.

Die Welt hat ihre Tücken

„Alfred Hitchcock präsentiert“: Diese Ankündigung weckte mehr als ein halbes Jahrhundert hohe Erwartungen, die in eine ganz bestimmte Richtung zielten. Hitchcock (1899-1980) galt als Garant für nicht nur spannende, sondern auch vertrackt geplottete Thriller, die jenseits ihres Unterhaltungswertes über einen bestimmten Subtext verfügten. In der Regel gerieten betont ‚normale‘ Zeitgenossen in bizarre Krisensituationen, die für absolute Überforderung und Schrecken sorgten. Erst nachdem der Protagonist - wir befinden uns in jener Ära, als solche Hauptfiguren männlich waren - einen Spießrutenlauf falscher Verdächtigungen, Verfolgungen durch erklärungsresistente Ordnungsmächte und/oder Gangster sowie ähnliche Heimsuchungen hinter sich hatte, klärte sich die albtraumhafte Situation final auf.

So war es in Hitchcocks Spielfilmen. In seiner viele Jahre sehr erfolgreich laufenden TV-Serie konnte so eine Krise auch übel ausgehen. Berühmt war Hitchcock für einen maliziösen Unterton, eine Ironie, die er persönlich einfließen ließ: Der beleibte, stets korrekt im Anzug gewandete Regisseur trat vor die Kamera, um scheinbar völlig unbewegt unglaubliche, groteske, abgründige Geschichten zu erzählen - ein Märchenonkel der Moderne, der sich seiner Wirkung bewusst genug war, um dieses Image auch außerhalb von Kino und Fernsehen zu vermarkten.

Die TV-Serie war der eigentliche Startschuss für eine lange Reihe gruselig-spannender Geschichten, die Hitchcock angeblich selbst gelesen und für eine Veröffentlichung ausgewählt hatte. Tatsächlich gab der geschäftstüchtige Regisseur nur seinen Namen für diese Sammelbände her. „11 Cocktails aus meiner Giftbar“ wurde beispielsweise von Robert Arthur (1909-1969) ediert, der diese Aufgabe in den 1960er Jahren mehrfach übernahm. Ob Hitchcock selbst jemals einen Blick in diese Kollektionen warf, bleibt eine offene Frage.

Das Ende soll denkbar unerwartet kommen

Der böse Höhepunkt ist das prägende Merkmal einer ‚typischen‘ Story ‚à la Hitchcock‘. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Hitchcock lehnte phantastisch-übernatürliche Auflösungen ab. Er sah das menschliche Gehirn als Brutstätte eines Horrors, der aus einer Fehlfunktion dieses Organs erwächst. Wahnsinn ist die Folge, wobei Hitchcock nicht den schäumenden Irren in den Vordergrund stellte. Scheinbar gesund und deshalb (zu) lange unerkannt treiben psychisch derangierte Männer und Frauen ihre ahnungslosen Opfer in die Enge. Mack Morris (1919-1976), Joan Vatsek (1916-1996) und Stuart Cloete (1897-1976) entwerfen diesem Vorbild folgend unterschiedliche Formen eines Wahnsinns, der im Finale triumphiert und das übliche „Happy-End“ konterkariert. Richard Wormser (1908-1977) verzichtet zwar auf ‚echte‘ Geisteskrankheit, ersetzt sie aber durch eine blinde Wut, die ebenfalls für Schrecken sorgt, zumal sie nichts Gesundes für die Zukunft der ihren Zorn ein wenig zu intensiv genießenden Hauptfigur verheißt.

Wie weit Emotionen Menschen treiben können, beschreiben besonders gelungen Andrew Benedict (d. i. Herausgeber Arthur unter einem Pseudonym) und George Mandel (1920-2021). Benedict schildert das Ende eines tochterverderbenden Schufts in einer vom trauernden Vater konstruierten Todesfalle so eindringlich, dass man beinahe Mitleid mit dem Opfer bekommt; dies auch deshalb, weil besagter Vater sich diesem nie zeigt, sondern es eiskalt (oder feige) verrecken lässt. Mandel erzählt eine Geschichte, die auch Hitchcock gefallen hätte: Ein bitterböser Krieg tobt zwischen Eheleuten, die davon nichts nach außen dringen lassen. Man fragt sich natürlich nach dem Grund, aber Mandel nennt oder weiß keinen, was die Intensität weiter erhöht.

Roald Dahl (1916-1990) findet wie so oft seinen eigenen Weg. Faktisch ist Mr. Botibol genauso verrückt wie jene nette, alte Dame, die seinen Sprung ins Meer beobachten und melden soll. Dahl kennt ‚seinen‘ Hitchcock: Botibol ist ein Kleinbürger, der den Ausbruch aus seiner erstarrten Existenz gewagt hat und sich nun vor den eigentlich überschaubaren Folgen so sehr fürchtet, dass er sich in eine absurde ‚Lösung‘ versteigt. Sehr umständlich und aus heutiger Sicht moralisierend fädelt dagegen Jeremiah Digges (d. i. Josef Berger, 1903-1971) die Bestrafung einer jungen Frau ein, deren ‚Verbrechen‘ sich in einer Lebensfreude äußert, die nicht in die steifkragige Gemeinschaft passt.

Tot, aber nicht zur Ruhe gekommen

Unter seinem Geburtsnamen trägt Robert Arthur (1909-1969) eine zweite Kurzgeschichte zu dieser Sammlung bei. Er löst die Handlung ‚übernatürlich‘ auf, greift also auf Plotelemente zurück, die buchstäblich nicht von dieser Welt sind. Arthur wählt aber kein gruseliges, sondern ein humorvolles Finale, das heute freilich moralinsauer und angestaubt wirkt: Seiner ‚bösen‘, ihm (unnatürlich) überlegenden Gattin entkommt der harmlos-schwächliche Wilfried Weem nur, weil er ihr mit Strafe aus dem Jenseits drohen kann.

Jane Rice (1913-2003) und F. Scott Fitzgerald (1896-1940) legen lupenreine Geistergeschichten vor. Rice stützt sich auf eine Tradition, deren Ursprung weit vor die moderne Phantastik reicht. Wer mit dem Teufel einen Handel eingeht, muss damit rechnen betrogen zu werden. Darin liegt eine quasi archaische Moral, die heute noch einleuchtet: Halte dich dem (hier zwecks besseren Verständnisses personifizierten) Bösen fern! Fitzgerald, der mit Klassikern wie „Der große Gatsby“ in die Literaturgeschichten einging, scheint eine sorgfältige, fast gar zu detailreich die zeitgenössische High Society beschreibende Studie zu versuchen, bis er uns schließlich mit einem gleichzeitig bösartigen und tragischen Gespenst konfrontiert.

Fazit:

Wut, Wahnsinn und Geisterspuk treiben die hier gesammelten Geschichten voran, die meist, aber nicht immer eine ironisch überhöhte Auflösung bieten. Als angeblicher Herausgeber gibt Alfred Hitchcock den Tenor vor. In der Umsetzung schwankt die Qualität zwischen Mittelmaß und Volltreffer.

11 Cocktails aus meiner Giftbar

Alfred Hitchcock, Heyne

11 Cocktails aus meiner Giftbar

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