Die Geschichte der Zukunft
- Heyne
- Erschienen: Mai 2015
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Die Zukunft wartet - holt sie euch!
Science Fiction-Schriftsteller sind Schöpfer par excellence: Mit jeder Geschichte, jedem Roman lassen sie eigene Welten entstehen, formen sie nach ihren Vorstellungen und bevölkern sie mit Lebewesen, deren Gestalt und Verhalten allein durch ihre Fantasie bestimmt wird. Einige Autoren gehen auf diesem Weg noch ein Stück weiter. Sie machen sich gezielt Gedanken darüber, wie sich die Menschheit in den nächsten zehn, hundert, tausend oder Milliarden Jahren (wenn A. E. van Vogt das Sagen hat) entwickeln könnte. Ihr Ehrgeiz geht dahin, eine fiktive Historie zu entwerfen, die womöglich in der Realität der Gegenwart beginnt und den Bogen bis in eine ferne Zukunft spannt.
Die Herausforderung ist gewaltig, gilt es doch, jene politischen, soziologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte zu berücksichtigen, die eine Gesellschaft funktionieren lassen. Hilfreich sind auch biologische (wenn zum Beispiel glaubhaft beschrieben werden soll, wie der Mensch sich allmählich in ein Riesenhirn mit drittem Handy-Arm verwandelt), physikalische (sollte der Autor die Sonne explodieren oder wahlweise erlöschen lassen) und andere naturwissenschaftliche Grundkenntnisse.
Eigentlich muss man also alles wissen, um der sich selbst gestellten Aufgabe gerecht werden zu können. Dies übersteigt verständlicherweise die Kapazität selbst eines genialen Menschenhirns, und so ist den epochalen SF-Chroniken der Zukunft stets eines gemeinsam: Sie sind immer genauso fortschrittlich wie das Weltbild ihres Schöpfers und ziemlich rasch veraltet. Auch oder sogar besonders für das Verständnis der „Geschichte der Zukunft“ muss man dies im Hinterkopf behalten. (Heinlein hat es selbst bereits 1953 unter dem Titel „Concerning Stories Never Written: Postscript [Revolt in 2100]“ thematisiert.)
Die Zukunft benötigt Taten statt Worte
Hatte Robert Anson Heinlein (1907-1988) seine „Future History“ schon geplant, als er sie 1939 mit der Kurzgeschichte „Life-Line“ (dt. „Lebenslinien“) einläutete? In diesem Jahr hatte er den zu seinen Lebzeiten nie veröffentlichten Debütroman „For Us, the Living. A Comedy of Customs* (dt. „Die Nachgeborenen“/„2086 - Sturz in die Zukunft“) geschrieben, aus dem er zahlreiche Ideen für die „Future History“ übernahm. Auf den Gedanken eines Panoramas der Zukunft dürfte er endgültig gekommen sein, nachdem Isaac Asimov (1920-1992) seinen „Foundation“-Zyklus (1942-1949 im Magazin, 1951-1953 als Buch) vorlegte, der von Publikum und Kritik gleichermaßen enthusiastisch aufgenommen wurde.
Anders als Asimov (aber ähnlich wie Poul Anderson mit seinem Reigen um die „Psychotechnische“ bzw. „Polesotechnische Liga“) schuf Heinlein keinen stringenten, in sich geschlossenen Zyklus, sondern eine Sammlung lose verbundener Romane und Erzählungen, die vor dem Hintergrund einer möglichen Zukunft spielen. Sie stellen ein Kompendium aller Motive der Science Fiction dar und werden von einem der Großen des Genres auf der Höhe seiner Fähigkeiten präsentiert.
Die „Future History“ ermöglicht den Rückblick auf eine Epoche, in der die Welt zwar nicht ‚besser‘ war, es aber möglich schien, sie auf der Erde wie im All mit Entschlossenheit, einer guten Schulbildung und einem simplen Rechenschieber zu meistern und zu formen. Heinleins Zukunft ist die ins Gigantische vergrößerte (und vergröberte) „new frontier“ einer weiterhin vom Pioniergeist des 19. Jahrhunderts geprägten USA. Harte Arbeit, Gottvertrauen und ausgeprägtes Misstrauen gegen alle Autoritäten, die sich gegen solche Tugenden wenden, bilden die Pfeiler, auf denen diese Welt (in sich) ruht. Der „Amerikanische Traum“, nach dem es jede/r ‚schafft‘, wenn er oder sie sich genug bemüht, ist der Kitt, der sie zusammenhält.
„Verständlich“ steht über „Vision“
Charakteristisch für den Schriftsteller Robert A. Heinlein ist eine Mischung aus harten Fakten und Redensarten oder Aphorismen (bzw. Binsenweisheiten). Hört nicht auf das, was „die Experten“ sagen, sondern auf den gesunden Menschenverstand, ruft Heinlein; eine Aussage, die Volkes Ohr seit jeher erfreut. Gnade Gott allerdings jenen, die Heinleins Standards nicht genügen können oder wollen, denn seine Welt ist eine „Welt der Fähigen und der Mitläufer“, wie es Brian W. Aldiss in seinem Standardwerk „Trillion Year Spree: The History of Science Fiction“ (dt. „Der Milliarden Jahre Traum“) 1986 giftig, aber durchaus plausibel ausdrückte. Heinlein selbst sah dies anders und verurteilte Duckmäuser und Drückeberger, aber auch Fanatiker, Krisengewinnler und Heuchler.
Komplexe Sachverhalte sind möglichst einfach dargestellt. Sie wirken verständlich und werden vom Leser erleichtert und dankbar auf- und - geht es nach Heinlein - übernommen. Oft sind es junge und/oder naive, aber ‚gute‘ Männer, die stellvertretend mit einem Entscheidungsdilemma oder einer Krise konfrontiert werden, sich ihr stellen und an der schwierigen Bewältigung wachsen, wobei der eigentliche Wert dieser Erfahrung im Dienst an der Allgemeinheit wurzelt. Dies mag didaktisch oder sogar manipulativ wirken, aber während des knappen Vierteljahrhunderts, in dem Heinlein seine „Future History“ schrieb, hielt er die Balance zwischen (scheinbarer) „Science“ und „Fiction“ fast immer perfekt. Diese (Handwerks-) Kunst stellt zweifellos das eigentliche Geheimnis seines immensen Erfolges dar.
Auch heute mindert das Wissen um das nur manchmal visionäre Zukunftsbild des Robert A. Heinlein das Vergnügen an den hier gesammelten Romanen und Erzählungen ebenso wenig wie die offensichtlichen Anachronismen, die aus der „Future History“ eine Alternativwelt-Historie über eine (vergangene) Zukunft werden ließen. Obwohl der Holzhammer-Pragmatismus vor allem in politischen Fragen oft schlucken lässt, erstaunen parallel dazu Ideen, die einst revolutionär gewesen sein müssen. Schon 1940 ließ Heinlein keineswegs nur Männer aktiv werden, sondern stellte ihnen (vergleichsweise) gleichberechtigte Frauen an die Seite, selbst wenn es gefährlich wurde! Für diesen Schriftsteller galt, was eigentlich ein Paradox ist: Heinlein war rechtsliberal!
Ende und überflüssiger Epilog
Die „Future History“ lief in den 1950er Jahren aus. Mit dem Erfolg von „Starship Troopers“ (1959; dt. „Sternenkrieger“) und „Stranger in a Strange World“ (1961; dt. „Ein Mann in einer fremden Welt“) wurde Heinlein als Schriftsteller allmählich etabliert und ‚erwachsen‘, später langweilig und schließlich (wohl auch als Folge einer schweren Hirnkrankheit) kindisch.
Zur „Future History“ gibt es einen traurigen Epilog, von dem Heinleins Schriftsteller-Kollege Damon Knight noch nichts wissen konnte, als er 1967 ein enthusiastisches Vorwort zur Originalausgabe der vorliegenden Sammlung schrieb. In seinen späten Jahren begann Heinlein damit, sämtliche SF-Geschichten, die er jemals geschrieben hatte, in einen gemeinsamen Handlungsbogen einzufügen. Wieder folgte er Asimov, der das mit enormem Erfolg in seinem „Foundation-Robot“-Zylus vorexerziert hatte. Leider war Heinlein an diesem Punkt seiner Karriere schon nicht mehr in der Lage, die gravierenden Mängel des Projektes zu erkennen. Stattdessen ging er mit der Raffinesse eines Mannes vor, der die Teile eines Puzzles mit dem Hammer einpasst.
Mit „The Cat Who Walks Through Walls“ (1985; dt. „Die Katze, die durch Wände geht“) würfelte er die wichtigsten Helden aus fünfzig Schriftsteller-Jahren in einer ebenso wirren wie langatmigen Geschichte zusammen. Auch Lazarus Long, später Heinleins Alter Ego und an prominenter Position in der „Future History“ vertreten („Methuselah's Children“, 1941; dt. „Methusalems Kinder“), tauchte hier wieder aus der Versenkung auf (und wiederholte dies in Heinleins letztem Roman „To Sail Beyond the Sunset“, 1987; dt. „Segeln im Sonnenwind“, einer literarischen Bankrotterklärung) und durfte vor allem eines demonstrieren: Der einst ebenso konservative wie liberale Geschichtenerzähler Heinlein, der elementare SF hervorgebracht hatte - war zum reaktionären Schwätzer herabgesunken.
Fazit:
Großartige Sammlung ebensolcher Science Fiction, die ungeachtet zeitgenössischer (= „politisch nicht korrekter“) Elemente vier Romane und 17 Erzählungen eines lange Zeit nicht nur produktiven, sondern vor Ideen sprühenden und positiv eigenwilligen Schriftstellers präsentiert.
Robert A. Heinlein, Heyne
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