20 000 Meilen unter den Meeren (Große Schmuckausgabe)
- Coppenrath
- Erschienen: September 2023
- 1
Wunder, Schrecken und Wahnsinn der Meere
Im Jahre 1867 greift auf den Meeren dieser Welt die Angst um sich: Ein riesiges Seeungeheuer scheint sich in und unter den Wogen zu tummeln. Gern würde man es fangen oder besser noch töten, denn die Kreatur weiß sich seiner Haut zu wehren und hat bereits einige Schiffe beschädigt, weil diese ihm zu nahe kamen. Die US-Regierung will dem ein Ende machen. Beladen mit allen bekannten Instrumenten für den Fisch- und Walfang sticht die Fregatte „Abraham Lincoln“ in See. Mit an Bord ist der französische Meeresbiologe Professor Pierre Aronnax, der von seinem Diener Conseil begleitet wird. Ebenfalls angeheuert wurde Ned Land, ein berühmter kanadischer Walfänger, der sich quasi nie von seiner Harpune trennt.
Nach langer, vergeblicher Suche wird das ‚Ungeheuer‘ gestellt. Es attackiert die „Abraham Lincoln“, wobei Aronnax, Conseil und Land über Bord gehen. Zu ihrer Verblüffung werden sie nicht ertränkt oder gefressen, denn das Untier stellt sich als U-Boot modernster Bauart heraus. Der Kapitän - ein mysteriöser Mann, der sich „Nemo“ nennt - nimmt die Schiffbrüchigen auf. Aronnax ist ihm als Meeresforscher wohlbekannt und willkommen. Allerdings sollen die Neuankömmlinge seine ‚Gäste‘ bleiben, denn Nemo meidet die Menschen und will das Geheimnis der „Nautilus“ - so der Name des U-Bootes - unbedingt wahren.
Er nimmt die drei Männer mit auf eine Reise, die um die ganze Erde gehen soll. Die unglaublichen Wunder einer fremden, aber faszinierenden Unterwasserwelt offenbaren sich vor allem Aronnax. Man besucht Gärten und Wälder tief unter dem Meeresspiegel, unterquert den eisigen Südpol, besucht sogar das versunkene Atlantis.
Doch Nemo besitzt eine dunkle Seite. Er führt einen Rachekrieg gegen jede Macht, die Kolonien besitzt, und schreckt dabei nicht vor brutaler Gewalt zurück. Allmählich beginnt ihn auch Aronnax zu fürchten. Er, Conseil und Land wollen flüchten, aber wie kann dies gelingen, wenn man sich fast ständig unter Wasser aufhält ...?
Die „Nautilus“ wird niemals untergehen
Schon lange wird es totgesagt, aber es wehrt sich und ist noch sehr lebendig: das gedruckte Buch! Obwohl ein Klassiker wie „Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren“ im 21. Jahrhunderten sämtliche Medien erobert hat, behauptet er sich weiterhin in Papierform. Klammern wir zunächst aus, dass die hier vorgestellte Version mit einer wahren Breitseite aus Käsewürfeln uns Lesemäuse ködert, und erinnern wir uns daran, dass die hartnäckige Präsenz eines Buches in seiner unwiderstehlichen Geschichte begründet liegt.
Natürlich hatte Jules Verne (1828-1905) das Glück, unter den Ersten der Beste zu sein, der eine Tauchfahrt durch die Ozeane dieser Welt als Thema wählte. In seinem Nachwort nennt Volker Dehs andere, längst vergessene Schriftsteller, die qualitativ jedoch nicht an jene Mischung aus Spannung, Stimmung und Informationsbegeisterung herankamen, die einen typischen Verne-Roman ausmachen. Zwar listet Aronnax eifrig über viele Seiten auf, was er durch die Sichtluken der „Nautilus“ erspäht. Aus heutiger Sicht schießt er über das Ziel hinaus, wenn er anschließend Passagen einschiebt, in denen er maritimes Sachwissen weniger verbreitet als gnadenlos auf seine Leser niederprasseln lässt; nicht grundlos wurden und werden solche Stellen in vielen Übersetzungen ersatzlos getilgt. Andererseits haben Vernes einst aktuellen Infos längst Nostalgiestaub angesetzt. Ansonsten können sie - so wie schon immer - übersprungen werden, wenn’s zu viel wird ...
Aus heutiger Sicht mag die Handlung simpel wirken: Ein U-Boot klappert unter Wasser diverse Sehenswürdigkeiten ab. Nicht immer trifft Verne den Spannungs-Nerv inzwischen strenger urteilender Leser, und das Finale kommt abrupt und bleibt unbefriedigend. Spürbar bleibt jedoch die Begeisterung für den Stoff und eine Reihe von Episoden, die sich ins kollektive Gedächtnis selbst jener eingegraben haben, die den Roman nie gelesen haben - man denke nur an den epischen Kampf gegen blutrünstige Riesenkraken!
Die Welt will gesichtet und katalogisiert werden
Es gibt einen Subtext, der die triviale Geschichte auf eine weitere Ebene bringt. Verne war ein versierter Autor, weshalb er genau wusste, dass ihm mit Kapitän Nemo ein Volltreffer gelungen war. Eine ohnehin kryptische Figur ohne jemals enthüllte Vergangenheit - dies geschieht erst 1874/75 in der ‚Fortsetzung‘ „L’Île mystérieuse“/ „Die geheimnisvolle Insel“ - baut Verne zu einem Mythos auf, wobei Nemos Motive immer rätselhafter und düsterer werden. Dass der von der Unterwasserreise lange faszinierte Aronnax sich auf die Flucht von der „Nautilus“ einlässt, liegt primär daran, dass er Nemo zu fürchten beginnt und um sein Leben bangt.
Überhaupt gibt es unerwartete Zwischentöne. Verne gilt als Repräsentant einer quasi „aufklärerischen“ Weltsicht, die davon ausging, dass die Wissenschaft die letzten noch offenen Fragen der Natur in absehbarer Zeit beantworten könnte. In der Folge würde der Mensch den Globus in ein Paradies verwandeln, Wüsten begrünen, das Polareis schmelzen und auch sonst den unwirtlichsten Winkel in eine Heimat verwandeln. Die daraus resultierenden Folgen für eine Ökologie, die dadurch brachial aus dem Gleichgewicht geriete, waren nicht nur Verne höchstens ansatzweise klar. So beklagt er zwar, dass die „nützliche“ Seekuh vor der südamerikanischen Küste überjagt und ausgerottet wird, doch im Anschluss folgt ein Gemetzel an genau dieser Tierart, um die Speisekammer der „Nautilus“ zu füllen: Solche Gegensätze zwischen Theorie und Praxis irritieren heute, und sie sind nicht selten in diesem Garn!
Andererseits findet sich auf Seite 437 auch dieser Satz über den Golfstrom: „... man kann nur hoffen, dass sich diese Regelmäßigkeit erhält, denn wenn sich ... wirklich seine Richtung und seine Geschwindigkeit ändert, wird das europäische Klima Störungen unterworfen sein, deren Konsequenzen gar nicht abzusehen sind“; er wird in dieser Übersetzung durch ein Ausrufezeichen am Buchrand hervorgehoben, denn hier ist Verne als ‚Seher‘ bekanntlich ein Volltreffer gelungen!
Ein Klassiker als Prachtausgabe
Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten gehört „Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren“ zu den Klassikern der Unterhaltungsliteratur. Allein hierzulande erschien dieser Roman in unzähligen Ausgaben. Seit das Copyright auf den Titel ausgelaufen ist, addiert sich noch eine Legion ‚privat‘ übersetzter oder herausgebrachter Versionen hinzu, die manchmal für wenig Geld angeboten werden. Deshalb muss man sich etwas einfallen lassen, um mit einem so omnipräsenten Titel doch wieder Aufmerksamkeit zu erregen! Der Verlag Coppenrath aus dem westfälischen Münster hat „Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren“ als Schmuckausgabe im „Vintage“-Stil aufgelegt. Die Textbasis stellt eine 2007 entstandene, vollständige und akkurate Übersetzung von Volker Dehs dar. Er steuert als Fachmann zu Leben und Werk von Jules Verne auch ein kundiges Nachwort bei, das Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Romans sowie dessen Bedeutung für die populäre Kultur beschreibt.
Das Buch selbst ist ein echter Brocken, 25 cm hoch, 18 cm breit und mehr als 5 Zentimeter dick. Auf hochwertiges Papier gedruckt, bringt der Band es auf ein stolzes Gewicht von mehr als 1,7 Kilogramm! Nicht nur der Buchschnitt und das Lesebändchen wurden (meerblau) gefärbt; auch sonst ist jede Papierseite farbig angelegt. Darüber hinaus ‚schwebt‘ der Text häufig über Buchseiten, die durch Farbe und/oder Muster geschmückt werden. Die Typographie kann sich von einem Abschnitt zum anderen ändern.
Unzählige Abbildungen lockern den Text auf und unterstreichen seine Wirkung. Hier griff man nicht nur auf die für den Original-Roman entstandenen Illustrationen von Alphonse de Neuville und Édouard Riou zurück, sondern wählte auch Motive aus zeitgenössischen zoologischen Nachschlagewerken aus, was vor der Erfindung bzw. Verbreitung der Fotografie erforderlich war, um das außerhalb des Wassers tote, schlaffe und entfärbte Meeresgetier ‚lebensgetreu‘ wiederzugeben. Mit eindrucksvoller Sorgfalt wurde es auf Zeichenpapier und anschließend auf die gedruckte Buchseite gebracht. Unzählige Anmerkungen vertiefen als Anhang die vom Verfasser angerissenen Themen oder erläutern Ausdrücke und Formulierungen, die heutzutage veraltet und vergessen (oder politisch unkorrekt geworden) sein könnten.
Zusätzlich stecken zwischen den Seiten insgesamt zehn lose ‚Informationsblätter‘, auf denen die Leser etwas über meereskundliche Themen wie Walfang oder U-Bootbau erfahren und sogar ein Kochrezept für einen Oktopus finden. Hilfreich ist eine aufklappbare Weltkarte, die den Kurs der „Nautilus“ über und unter den Ozeanen nachzeichnet. Sogar ein von Jules Verne persönlich an seine Leser adressierter Brief ist vorhanden, in dem der Autor die Motivation hinter dem Werk zusammenfasst und auf positive Resonanz hofft. In dieser Hinsicht wurde er weit über seine Lebenszeit hinaus nie enttäuscht, weshalb die ‚aufgerüstete‘ Fassung dieses Klassikers erst recht sein Publikum finden dürfte!
Fazit:
Ein ewiger Klassiker in schöner, vor allem bildschwerer Neuausgabe, dazu ausgezeichnet übersetzt sowie mit zahlreichen informativen Anmerkungen versehen: Hier wird Lektüre zum (mit-) erlebten Abenteuer!
Jules Verne, Coppenrath
Deine Meinung zu »20 000 Meilen unter den Meeren (Große Schmuckausgabe)«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!