Im Schatten des Blitzes: The Glass Immortals I

Brian McClellans ist ein Name, den es sich im Fantasygenre zu merken gilt. Mit seiner Powder-Mage-Reihe eroberte der US-amerikanische Autor die Herzen der Leserschaft im Sturm. Seine Fans warteten gebannt und voller Vorfreude auf das Erscheinen seiner neuen Fantasyreihe – The Glass Immortals. Der Auftaktband kommt serienmäßig mit einem schönen Farbschnitt daher und bringt mit knapp 800 Seiten einiges auf die Waage. Betrachtet man den hinteren Buchdeckel, bleiben die Augen ziemlich schnell an einem Namen haften, der wie kein Zweiter für phänomenal gute Fantasy steht – Brandon Sanderson. Dieser Maestro der modernen Fantasy-Literatur hat auf McClellans Auftaktband Lorbeeren hinterlassen, die es in sich haben:

„Ein wunderbarer Weltenbau und eine wahrhaft epische Erzählung – dies ist Brians bestes Werk bisher. Ich empfehle es von ganzen Herzen jedem, der auf der Suche nach einer neuen Lieblings-Fantasy-Reihe ist!“ (Brandon Sanderson, 2022, Buchdeckel „Im Schatten des Blitzes“, The Glass Immortals 1, Cross Cult Entertainment).

Im weiteren Verlauf werde ich Sandersons Worte auf Herz und Nieren prüfen, um festzustellen, ob sich dieser Roman die Lobeshymne verdient.

Weltenbau

Das Worldbuilding eignet sich hervorragend zu einer inhaltlichen Einordnung dieses Werkes. McClellans Markenzeichen sind Erzählungen, die sich zeitlich am 19. Jahrhundert orientieren. Kutschen rumpeln durch gepflasterte Straßen, erste Gewerkschaften vertreten das Interesse der arbeitenden Bevölkerung, und der Rauch von abgefeuerten Musketen vernebelt die Schlachtfelder des Ossanischen Reiches.

Glas ist das Fundament für die in diesem Werk verankerte Weltenschöpfung. Da wären zum einen die gefürchteten Glastänzer. Sie sind in der Lage, herkömmlichem Glas ihren Willen aufzuzwingen. So zerbersten Fensterscheiben unter ihrer Kontrolle und die Bruchstücke fegen ihren Feinden als tödliche Geschosse um die Ohren.

Hinzu kommen verschiedene Arten von Götterglas, die dem jeweiligen Träger je nach Ausprägung außergewöhnliche Fähigkeiten versprechen. Schmiedeglas verstärkt Körperkraft, Sichtglas verstärkt Sinneswahrnehmungen und Heilglas, Überraschung, beschleunigt die Heilung. Es gibt noch eine Reihe weiterer Göttergläser, die interessante Wirkungen hervorrufen und für den Anwender mächtige Werkzeuge darstellen. Das Militär zum Beispiel unterhält hartgesottene Recken, die in Götterglaspanzern über das Schlachtfeld fegen und Angst und Schrecken verbreiten.

Schauplatz des Romans ist das von mir bereits erwähnte Ossanische Reich. Regiert wird das Reich durch die Oberhäupter verschiedener Familiengilden. Im Mittelpunkt der Handlung steht Demir Grappo, Erbe der Grappo Gilde. Wegen einer Tragödie ist das einstmalige politische und militärische Genie von der Bildfläche verschwunden. Demir betritt erst wieder die Bühne, als er von der Ermordung seiner geliebten Mutter erfährt. Angetrieben durch eine Mischung aus Rache und Gerechtigkeit (hier sind die Übergänge in der Fantasyliteratur bekanntlich ziemlich fließend) versucht er, die Mörder seiner Mutter zu finden und seine Familie vor weiteren Gewaltausbrüchen zu beschützen. Demir kehrt also zurück in die Hauptstadt und stolpert im Machtzentrum des Reiches von einer Intrige zur nächsten.

Um dem Geschehen Herr zu werden, sammelt Demir Vertraute um sich. Zusammen versuchen sie alle Puzzlestücke rund um die Ermordung seiner Mutter aufzudecken und zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Demir und seine Freunde stoßen dabei auf Geheimnisse, die nicht nur die Grappo-Gilde in Gefahr bringen, sondern das ganze Ossanische Reich bedrohen. Kaum hat das Ensemble um Demir seine Ermittlungen aufgenommen, bricht ein Krieg mit dem Nachbarstaat Grent vom Zaun. Dieser Stadtstaat befindet sich in unmittelbarer Nähe zur ossanischen Hauptstadt Ossa. Das Reich und seine Legionen sind kriegerische Handlungen gewöhnt, jedoch nicht so nah vor der eigenen Haustür. Zu allem Überfluss wird außerdem der wertvollste Rohstoff zur Herstellung des allseits gebrauchten Götterglases knapp und die Gefahr einer weltweiten Wirtschaftskrise lässt die politische Situation in Ossa nicht zur Ruhe kommen. Es gibt also einiges zu tun für die Helden dieser Erzählung.

Nun, liebe Leser, jetzt haben wir die wichtigsten Fakten offengelegt. Aber wie stimmig ist das Ganze?

Diese Frage lässt sich ziemlich eindeutig beantworten. Die Magie gliedert sich gekonnt in das gewählte Setting und die vielen tollen Charaktere lassen die Leserschaft das Erzählte aus interessanten Blickwinkeln betrachten. Allen voran Demir ist ein wirklich hervorragend skizzierter Protagonist, der Stärken und Schwächen gekonnt miteinander vereint. Auch die anderen Charaktere werden aufgrund ihrer Nachvollziehbarkeit und Sympathie sofort ins Herz geschlossen. Dabei hat jeder, einschließlich Demir, mit seinen eigenen authentischen Dämonen zu kämpfen.

Episch

Die erschaffene Welt, die Magie, die Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen, sind wahrlich ein Fest für jeden Fantasyliebhaber. Brandon Sanderson hat Recht, wenn er behauptet, dass Brian McClellan sein Ideenreichtum episch zu einem Gesamtwerk vereint. Insbesondere wenn das letzte Drittel des Romans erreicht ist, entfaltet „Im Schatten des Blitzes“ ein fabelhaftes Geflecht aus Kreativität und Spannung.

Spannung ist hier ein hervorzuhebender Faktor. Abgesehen von den Höhepunkten gegen Ende des Buches schafft es der Autor, über die gesamte Distanz einen prickelnden Nervenkitzel aufrechtzuerhalten. Diese Dramatik spiegelt sich sowohl in den kleinen als auch in den großen Momenten wider. Das Zusammenspiel aus den kleinen Intrigen, dem Katz-und-Mausspiel in den Straßen Ossas, aufkeimenden Gefühlen, die unsere Protagonisten beginnen zu umwehen, und den großen Auseinandersetzungen des Ossanischen Reiches mit Demir in der Hauptrolle, ist vorzüglich miteinander verwoben. Glückerweise löst McClellan zwischendurch immer wieder kleinere Spannungsmomente auf, sodass man als Leser das Buch mit gutem Gefühl zur Seite legen kann, um durchzuatmen. Wer jetzt aus meinen Worten ein Spektakelfeuerwerk herausliest, den muss ich insoweit ein Stück weit einbremsen. Zwar gibt es diese großen und, wie bereits erwähnt, epischen Momente, die eine Musketensalve an Ereignissen abfeuern, doch lebt dieser Roman eine Prise mehr von seinen im Kleinen versteckten Details und den toll ausgestalteten Charakteren. Der Handlungsstrang darf durchaus als gemäßigt bezeichnet werden, was die gebotene Spannung aber zu keinem Zeitpunkt einbrechen lässt.

Fazit:

Wunderbarer Weltenbau? Check! Epische Erzählung? Check! Zum Glück! Ich hätte es mir ungern herausgenommen, Großmeister Sanderson zu widersprechen. Ich habe zum jetzigen Zeitpunkt lediglich die Powder-Mage-Trilogie aus der Feder McClellans gelesen. Mir fehlen dementsprechend noch ein paar Werke auf meiner Liste. Sollten sich die von mir ungelesenen Bücher auf demselben (tollen) Niveau wie die eingangs erwähnte Trilogie bewegen, unterschreibe ich Sandersons Aussage, dass „Im Schatten des Blitzes“ gleichwohl Brian McClellans bislang gelungenstes Werk sei. Dieses Buch hat wahrlich das Potential zur Lieblings-Fantasy-Reihe.