Satellit auf falscher Bahn
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1974
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Schwerkraft als Instrument und Waffe
Im Jahr 2037 klafft die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander denn je. Die Regierung ist eher ein Regime, das die Angepassten und Gehorsamen schützt, während die Mehrheit der Menschen ein elendes, von Not und Gewalt geprägtes Leben abseits der gut geschützten Metropolen fristen muss. Der „Talisman“ scheidet die Privilegierten von den „Außenseitern“. Er wird am Handgelenk getragen und markiert den Kontostand. Fällt dieser auf Null, erlischt jedes Vorrecht, und der oder die Betreffende fällt durch das Raster und in die Welt der Außenseiter.
John Donnell gehörte bisher zu den Begünstigten. Als Techniker arbeitete er für die „G-Corporation“, die per „G-Maschine“ eine Antischwerkraft-Verbindung zwischen Erde, einer Raumstation im Orbit und dem Mond aufrechterhält. Vor zwei Jahren sollte Donnell auf der Station eine Reparatur durchführen. Dort überfielen ihn jedoch grässliche Monster, die jedoch nur er wahrgenommen hat. Nun soll er für weitere Arbeiten ins All zurückkehren, weigert sich jedoch und kündigt.
Seither ist Donnell ein Geächteter - und er wird verfolgt: Henry Keller, ein Ex-Soldat, der vor Jahren seinen „Talisman“ verlor, plant sich an der Gesellschaft zu rächen. Er sabotiert die „G-Maschine“, um die irdische Schwerkraft so zu manipulieren, dass nur er und seine Schergen sich bewegen können. Donnell soll ihnen helfen, seine Weigerung ist sein Todesurteil, doch nun und noch mehrfach mischt sich eine unbekannte Macht ein, die ihm das Leben rettet, bis sich sein unsichtbarer Helfer zu erkennen gibt …
Auf die falsche Fährte geführt
Vielleicht liegt es an der (allzu) vielversprechenden Prämisse, die wir auf dem Cover lesen: „Die neue Erde: ein Bleistift wiegt ein Pfund, ein Mensch eine halbe Tonne, und Regentropfen sind wie Geschosse …“ Wir erwarten einen SCIENCE-Fiction-Roman, dessen Verfasser die Handlung in einer interessant verfremdeten, aber naturwissenschaftlich geerdeten Kulisse verortet. Stattdessen werden wir mit einer recht beliebigen Räuberpistole abgespeist, die sich der SF allgemein und der Schwerkraft-Problematik speziell nur bedient.
Außer „Gravitor“ verfasste Hugh Darrington nur einen weiteren Roman. Er war also kein professioneller Autor, der durch den Schreibprozess reifte. „Satellit auf falscher Bahn“ - der deutsche Titel verstärkt die angesprochene Erwartungshaltung unfreiwillig und ungünstig - leidet durch den Ehrgeiz eines Schriftstellers, der sein Werk thematisch überfrachtet. Statt sich auf einige Aspekte einer zukünftigen Krise zu beschränken, versucht Darrington ein Rad zu drehen, das eindeutig zu groß für ihn ist.
Zwar spielt der Satellit des deutschen Titels durchaus eine Rolle, doch dies stellt sich erst auf den letzten Seiten heraus. Zuvor bemüht sich Darrington um eine dystopische Sicht auf Morgen; ein Thema, das in der zeitgenössischen, vom Kalten Krieg und der daraus resultierenden Gefahr einer atomaren Apokalypse geprägten Science Fiction der frühen 1970er Jahre sehr präsent war. Hinzu kam eine englische ‚Schule‘ pessimistisch gestimmter Autoren, die der Welt ein „gemütliches‘ Ende bereiteten, d. h. das Grauen versachlichten, indem sie ihren Schilderungen einen quasi dokumentarischen Unterton verliehen.
Schwerkraft als Waffe
Auch Darrington verharrt ungeachtet einiger immerhin dargestellter Gräuel innerhalb dieses Rahmens. Dadurch entsteht ein emotionaler Abstand, der den Lesern die Schrecken der erzählten Ereignisse umso eindringlicher vor Augen führen soll: Wir sollen ‚sehen‘, aber nicht durch Text und Wortwahl beeinflusst bzw. manipuliert werden, sondern zu einem eigenen Urteil gelangen, das - natürlich - angesichts der alltäglichen Brutalität des geschilderten Zukunftslebens nur negativ ausfallen kann.
Interessanterweise trifft Darrington hier (wohl eher zufällig) einen Nagel auf den Kopf. ‚Seine‘ Welt wirkt heutzutage erschreckend plausibel. In dieser Zukunft des Jahres 2037 wurden die realiter bereits fadenscheinigen Versprechen einer demokratischen Gesellschaft, die Rücksicht auf ihre Schwachen nimmt, endgültig aufgegeben. Der Bankkontostand entscheidet über die Gewährung oder den Entzug der Bürgerrechte. Die Privilegierten haben sich eingeigelt und halten die „Außenseiter“ auf Abstand; ihre größte Furcht liegt darin, selbst zum Außenseiter zu werden.
Doch Darrington nutzt dieses Szenario fast ausschließlich als bloßes Instrument der Spannungssteigerung. Zwar stellt sich die Sabotage der „G-Maschine“ als Tat einer regimefeindlichen, aber nicht wirklich regimekritischen Gruppe heraus. Ex-Major Keller und seine Männer sind keine Rebellen gegen das System und nicht einmal Terroristen, die es bekämpfen, sondern schlicht Verbrecher, die sich selbst der Herrschaft bemächtigen wollen, der - daran lässt der Verfasser keinen Zweifel - ganz sicher keine ‚gerechte Gesellschaft‘ folgen wird!
Zukunftswelt als Baustelle
Viele durchaus reizvolle Aspekte reißt Darrington zwar an, vertieft sie jedoch nicht. Die Handlung springt nicht nur von Schauplatz zu Schauplatz, sondern von Thema zu Thema. Sie spielt auf der Erde, aber auch im Weltraum, beschreibt die trügerisch schöne Welt der „Talisman“-Besitzer, schwenkt über zum „Post-Doomsday“-haften Elend der „Außenseiter“ und legt dabei ein solches Tempo vor, dass Hauptfigur Donnell buchstäblich den Anschluss verliert und seiner eigenen Geschichte hinterherjagen muss.
Als Identifikationsfigur taugt Donnell auch deshalb nicht, weil sich Darrington viel Mühe gibt, ihn nicht zum Helden zu stilisieren. Solche gebrochenen oder besser: desillusionierten Charaktere traten nicht nur in der zeitgenössischen SF verstärkt auf den Plan. Auch in Kino und Fernsehen ersetzten sie die lange dominierenden ‚Macher‘, die erst zuschlugen und dann (vielleicht) Fragen stellten. Selbstzweifel, vorgezeichnetes Scheitern und die Ohnmacht im Angesicht einer Politik und Gesellschaft, die totalistisch über das ‚Wohl‘ der Bürger wacht, wurden zu einem wichtigen Motiv.
Derartige Momente möglicher Hintergründigkeit lösen sich allerdings endgültig auf, wenn Darrington meint, sein ohnehin inkongruentes Garn final durch eine Epiphanie à la „2001 - Odyssee im Weltraum“ krönen zu müssen. Das Buch von Arthur C. Clarke und vor allem der Film von Stanley Kubrick waren kurz vor Erscheinen dieses Romans populär geworden. Auch Darrington war offenkundig beeindruckt und griff den Gedanken an eine ‚kosmische‘ Entität auf, die ihre Existenz zwar dem Menschen verdankt, doch diesen weit an Intelligenz und Macht übertrifft. Doch der Autor arbeitet hier abermals nur mit Ereignis- und Worthülsen. Möglicherweise sollten den vagen Zukunftsvisionen der jungen AI - als solche kann man dieses Wesen durchaus definieren - im Rahmen einer (nie verwirklichten) Fortsetzung Taten folgen. So läuft die Handlung ins Leere; weiterhin hochtourig und deshalb umso deutlicher!
Fazit:
Keineswegs wie angekündigt eine „Hard-Science“-orientierte Geschichte aus der Zukunft, sondern eine unausgewogene Melange aus Dystopie, Mystik und Thriller. Das hohe Handlungstempo kann die Mittelmäßigkeit der zudem überfrachteten Story nicht ausgleichen: kein Klassiker, sondern typische, von der Zeit überholte Routine-SF.
Hugh Darrington, Goldmann
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