Weit über der smaragdgrünen See
- Piper
- Erschienen: November 2023
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Hier muss die Frau den Mann retten
Tress wohnt mit ihrer Familie auf einem Felsen mitten im Meer. Doch die Ozeane dieser Welt sind etwas Besonderes: Sie bestehen nicht aus Wasser, sondern aus Sporen, die von Monden herunterrieseln. Tress lebt im smaragdgrünen Meer, dessen Sporen bei Wasserkontakt blitzartig zu Ranken heranwachsen. Selbst eine Berührung mit der Haut kann aufgrund des Schweißes zu einer rasant wachsenden Ranke führen, was auch mal tödlich enden kann. Vor allem wenn man Sporen aus Versehen einatmet.
In dieser gefährlichen Welt gibt es nicht viel, das Tress’ Leben bereichern könnte. Da sind zum einen die Tassen, die sie von Seefahrern geschenkt bekommt und die sie bereits zu einer großen Sammlung angehäuft hat, und zum anderen Charlie, der Sohn des Herzogs der Insel. Doch Charlie soll verheiratet werden und muss deshalb die Insel verlassen. Er verspricht Tress, zu ihr zurückzukommen und alles zu tun, um die drohende Heirat zu verhindern. Doch als Tress kein Lebenszeichen mehr von ihm hört, beginnt sie zu zweifeln. Hat sich Charlie doch in sein Schicksal gefügt? Oder steckt etwas anderes dahinter? Sie fasst den Plan, Charlie zu finden, was sie in ein riskantes Abenteuer über die beängstigenden Sporenmeere dieser Welt führt. Doch nicht nur die Sporen sind eine Gefahr für Tress: Ihre Begleiter auf der Reise sind Piraten – und die haben mit ihrer brutalen Kapitänin Krähe noch einmal ganz andere Probleme.
Sandersons Experiment geht auf
Brandon Sanderson ist in den USA ein Superstar. Mit seinen Bestsellern hat er sich einen Ruf in der Fantasy-Szene und eine treue Fangemeinde erarbeitet. 2022 hat er sich dann zu einem Experiment entschlossen: Er startete auf Kickstarter eine Kampagne, in der er per Vorverkauf Geld sammelte, um vier ungewöhnliche Geschichten in Eigenregie zu veröffentlichen, die er ganz ohne Einschränkungen von Verlagen, Lesern oder Genrekonventionen schreiben wollte. Die Kampagne war erfolgreich: Über 40 Millionen Dollar konnte Sanderson generieren und so seine Buchprojekte umsetzen. Eines davon ist „Weit über der smaragdgrünen See“. Aber hat uns Sanderson mit seinem ambitionierten Projekt zu viel versprochen? Oder konnte er seinen Ruf als Meister des Geschichtenerzählens weiter festigen?
Fantasy, wie sie sein sollte
Sanderson beweist mit Tress’ Abenteuer einmal mehr sehr eindrücklich, dass er sein Handwerk versteht. Die märchenhafte Geschichte weiß sowohl zu fesseln als auch mit einem ganz besonderen Charme zu verzaubern. Sie ist witzig, originell und rührend. Trotzdem geht es mitunter auch brutal zur Sache, denn neben den grünen Sporen gibt es auch noch rote, die bei Wasserkontakt speerförmige Auswüchse bilden. Das blutige Ergebnis in manchen Situationen kann man sich vorstellen.
Besonders den Weltenbau beherrscht Sanderson wie kein zweiter. Die Sache mit den Sporen ist nicht nur ein nettes Gimmick dieser Welt, sie hat auch enormen Einfluss auf die Handlung. Die Welt ist zwar nicht so detailreich ausgearbeitet, wie man es von anderen Fantasy-Romanen kennt, dafür konzentriert sich Sanderson auf seine originelle Idee und schöpft ihr volles Potenzial aus, was bei vielen anderen Romanen oft zu kurz kommt.
Hoid, wir lieben dich, auch mit Socken in Sandalen
Der Rettungsplot, der dem Roman zugrunde liegt, kann jedoch nicht mit vielen Überraschungen aufwarten und zieht sich in der Mitte sogar ziemlich in die Länge. Auch die Checkliste, wie man einen Roman aufbaut, kennt Sanderson offensichtlich in- und auswendig. Das ist zum einen löblich, zum anderen sind manche Wendepunkte aber so genau nach Schema F abgearbeitet, dass man beim Lesen immer genau weiß, welche Entwicklung als Nächstes kommen müsste. Trotzdem bleibt man an dem Roman dran, und das liegt nicht zuletzt an den großartigen Figuren.
Die Piraten sind nämlich eine ganz spezielle Truppe aus skurrilen Charakteren, die allesamt ihre eigenen Marotten haben. Der Schiffsarzt ist eine Art Zombie, der leidenschaftlich gern Körperteile sammelt und eine umfangreiche Sammlung an Zehennägeln besitzt. Anne, die Schiffszimmermännin, liebt das Schießen, trifft jedoch nie ihr Ziel und hat es sogar mal geschafft, den Falschen zu erschießen – der hinter ihr stand. Der Schiffsjunge Hoid ist noch einmal ein ganz besonderes Exemplar. Er wurde nämlich von einer Zauberin verflucht und ist nun geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Dafür kleidet er sich gern in eine rote Paillettenunterhose und spricht zu den unpassendsten Zeitpunkten über Käse. Er ist übrigens der Erzähler der Geschichte und ein Grund, weshalb das Ganze bei aller Tragik so urkomisch ist. Zusammen mit der sprechenden Ratte Huck muss man die Piraten einfach lieben und ist am Ende sehr traurig, wenn man sie wieder verlassen muss.
Fazit:
Brandon Sanderson hat es einfach drauf, daran besteht kein Zweifel. Und obwohl die Geschichte an manchen Stellen etwas zäh und absehbar daherkommt, entschädigen die Figuren und das Ende allemal. Wer vom Mainstream genug hat und eine ganz hinreißende, eigenwillige, humorige Geschichte lesen möchte, ist hier goldrichtig.
Brandon Sanderson, Piper
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